125 II 377
36. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. August 1999 i.S. B. gegen Amt für Ausländerfragen des Kantons Appenzell Innerrhoden und Bezirksgericht Appenzell (Strafgericht) (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 13a
ANAG, Art. 13b
ANAG und 13c Abs. 5 lit. a ANAG; ausländerrechtliche Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft.
- Pflicht zur Führung eines Protokolls über die Haftrichterverhandlung (E. 1).
- Abgrenzung von Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft (E. 2).
- Haftgrund der Missachtung einer Eingrenzung (E. 3).
- Verhältnismässigkeit der Haft (E. 4).
- Voraussetzung der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs (E. 5).
Regeste (fr):
- Art. 13a LSEE, art. 13b LSEE et art. 13c al. 5 lettre a LSEE; détention préparatoire et détention en vue du renvoi ou d'expulsion des étrangers.
- Obligation de tenir un procès-verbal de la procédure devant le juge de la détention (consid. 1).
- Distinction entre la détention préparatoire et la détention en vue du renvoi ou d'expulsion (consid. 2).
- Violation de l'assignation à un certain territoire comme motif de détention (consid. 3).
- Proportionnalité de la détention (consid. 4).
- Possibilité d'exécuter le renvoi - ou l'expulsion - comme condition de la détention (consid. 5).
Regesto (it):
- Art. 13a LDDS, art. 13b LDDS e art, 13c cpv. 5 lett. a LDDS; carcerazione preparatoria e carcerazione in vista dell'allontanamento o dell'espulsione di uno straniero.
- Obbligo di tenere un verbale dell'audizione davanti all'autorità giudiziaria competente ad esaminare la legalità e l'adeguatezza della carcerazione (consid. 1).
- Distinzione tra carcerazione preparatoria e carcerazione in vista di sfratto (consid. 2).
- Violazione del divieto di abbandonare un determinato territorio, quale motivo di carcerazione (consid. 3).
- Proporzionalità della carcerazione (consid. 4).
- Possibilità di porre in esecuzione l'allontanamento - oppure l'espulsione - , quale condizione necessaria per la carcerazione (consid. 5).
Sachverhalt ab Seite 377
BGE 125 II 377 S. 377
Der türkische Staatsangehörige kurdischer Ethnie B., geb. 1973, reiste am 25. November 1996 in die Schweiz ein und stellte ein Asyl- gesuch. Am 15. Januar 1999 lehnte das Bundesamt für Flüchtlinge das Asylgesuch ab, wies B. aus der Schweiz weg und setzte ihm eine Ausreisefrist bis zum 30. April 1999. Am 19. Februar 1999 erhob B. Beschwerde bei der Schweizerischen Asylrekurskommission. Am 25. Februar 1999 teilte die Asylrekurskommission B. mit, er
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könne den Beschwerdeentscheid, gestützt auf die gesetzliche Regelung, in der Schweiz abwarten. B. verschwand mehrmals aus dem Zentrum für Asylbewerber, dem er zugewiesen worden war, und blieb für die Behörden unerreichbar, so am 20. Oktober 1997 für einen Tag, am 7. Oktober 1998 für acht Tage, am 18. März 1999 für 26 Tage und am 11. Juni 1999 für 22 Tage. Vom 22. Oktober bis zum 1. Dezember 1997, vom 25. Februar bis zum 24. April 1998, vom 6. Mai bis zum 18. September 1998 sowie vom 12. April 1999 auf unbestimmte Zeit auferlegte ihm das Amt für Ausländerfragen des Kantons Appenzell Innerrhoden eine tägliche Meldepflicht. Am 27. Februar 1998 verfügte das Amt sodann die Eingrenzung auf den Kanton Appenzell Innerrhoden, welche am 23. Juli 1998 wieder aufgehoben wurde. Am 13. April 1999 ordnete das Amt für Ausländerfragen die erneute Eingrenzung auf den Kanton Appenzell Innerrhoden an. Am 11. Juni 1999 verschwand B. erneut. Nachdem die Asylrekurskommission am 2. Juli 1999 deswegen seinen Rechtsvertreter angeschrieben und in Aussicht gestellt hatte, das Beschwerdeverfahren in Asylsachen abzuschreiben, tauchte B. wieder auf. Am 6. Juli 1999 verfügte das Amt für Ausländerfragen die Vorbereitungshaft. Der Einzelrichter am Bezirksgericht Appenzell (Strafgericht) als Haftrichter prüfte und bestätigte die Haft am 7. Juli 1999. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 29. Juli 1999 an das Bundesgericht beantragt B., der Haftentscheid des Einzelrichters am Bezirksgericht Appenzell sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Das Bezirksgericht Appenzell hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Amt für Ausländerfragen liess sich ohne ausdrücklichen Antrag zur Sache vernehmen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat innert gesetzter Frist nicht Stellung genommen. B. nahm die Gelegenheit wahr, sich nochmals zur Sache zu äussern. Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Gemäss Art. 13c Abs. 2
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durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen. Über die Verhandlung ist ein schriftliches Protokoll zu erstellen (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 16. März 1998 i.S. Beka). Im vorliegenden Fall findet sich in den Akten kein Protokoll der Haftrichterverhandlung. Über diesen Mangel kann jedoch ausnahmsweise hinweggesehen werden, nachdem der Beschwerdeführer das Fehlen des Protokolls nicht rügt und auch keine Sachfragen strittig sind, deren Klärung ein solches Protokoll voraussetzen. Namentlich stellt sich auch nicht die Frage, ob der Beschwerdeführer unzulässige neue tatsächliche Vorbringen geltend macht.
2. a) Nach Art. 13a
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in Vorbereitungshaft befindet; diesfalls sind also auch die Haftgründe von Art. 13a lit. a
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c) Im vorliegenden Fall hat das Amt für Ausländerfragen am 6. Juli 1999 Vorbereitungshaft verfügt, und der Haftrichter hat diese am 7. Juli 1999 genehmigt. Der Beschwerdeführer hat nicht nachträglich um Asyl ersucht, sondern sein Asylbegehren lange Zeit vor der Haft gestellt. Am 15. Januar 1999, d.h. lange vor Anordnung der ausländerrechtlichen Administrativhaft, wurde er durch das Bundesamt für Flüchtlinge erstinstanzlich weggewiesen. Dieser Entscheid ist zwar noch nicht rechtskräftig, und der Beschwerdeführer darf den Beschwerdeentscheid in der Schweiz abwarten; das ändert aber nichts daran, dass Vorbereitungshaft nicht mehr zulässig ist und nur
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noch Ausschaffungshaft angeordnet werden kann. Die kantonalen Behörden haben dies verkannt. Es stellt sich die Frage, ob das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid insoweit korrigieren kann, als es anstelle von Vorbereitungshaft die Zulässigkeit von Ausschaffungshaft prüft. Das erschiene allenfalls als problematisch, wenn das Bundesgericht gänzlich neue Voraussetzungen zu prüfen hätte, namentlich nicht nur die Haftart, sondern auch den Haftgrund substituieren müsste. Die angefochtene Haft stützt sich jedoch auf einen Haftgrund (Missachtung einer Eingrenzung), der für beide Haftarten gilt (vgl. Art. 13a lit. b
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d) Für den Beschwerdeführer sind demnach nicht die Regeln der Vorbereitungs-, sondern diejenigen der Ausschaffungshaft anwendbar. Das kann (künftig einmal) Auswirkungen zeitigen auf die allfällige Frage der Verlängerung der Haft und deren zeitliche Höchstdauer. Für die hier zu behandelnde Frage der Zulässigkeit der erstmaligen Haftanordnung ergeben sich jedoch keine Differenzen.
3. a) Für die Ausschaffungshaft muss einer der in Art. 13b Abs. 1
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BGE 125 II 377 S. 382
Am 13. April 1999 hat das Amt für Ausländerfragen verfügt, der Beschwerdeführer dürfe das Gebiet von Appenzell Innerrhoden auf unbestimmte Zeit nicht mehr verlassen. Der Beschwerdeführer macht nunmehr im Wesentlichen geltend, diese Eingrenzungsverfügung sei unverhältnismässig gewesen und lasse sich daher nicht als Grundlage für die Haft beiziehen. Art. 13e
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Verfügung, namentlich eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung. Es mag zwar fraglich und umstritten sein, in welchem Masse der Beschwerdeführer tatsächlich im Sinne von Art. 13e
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4. a) Wie alle Massnahmen, welche in die persönliche Freiheit eingreifen, muss auch die Anordnung von Ausschaffungshaft verhältnismässig sein (BGE 119 Ib 193 E. 2c S. 198; vgl. auch BGE 122 II 148 E. 3 S. 153). Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, in seinem Fall sei die Haftanordnung unverhältnismässig, da er sich keiner schweren Verstösse gegen die ihm auferlegte Eingrenzung schuldig gemacht habe. b) Dem Beschwerdeführer wurde aufgrund seines Verhaltens mehrfach eine tägliche Meldepflicht auferlegt. Eine erste Eingrenzungsverfügung erging am 27. Februar 1998; sie wurde am 23. Juli 1998 wieder aufgehoben. Nach erneutem zweimaligem Verschwinden ordnete das Amt am 12. April 1999 wieder eine tägliche Meldepflicht an. Nachdem sich der Beschwerdeführer von Beginn an nicht daran gehalten hatte, wurde tags darauf die Eingrenzung verfügt. Nach nochmaligem Untertauchen erging der Haftentscheid. Gegen den Beschwerdeführer wurden somit zunehmend einschneidendere Massnahmen ergriffen. Diese erwiesen sich jeweils als erforderlich, nachdem er die vorangegangenen milderen Vorkehren wiederholt beharrlich missachtet hatte. Angesichts dieser Vorgeschichte konnte die Haft den Beschwerdeführer denn auch kaum unvorbereitet getroffen haben. Ein Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip liegt damit nicht vor.
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5. a) Gemäss Art. 13c Abs. 5 lit. a
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b) Im vorliegenden Fall ist zwar die Asylbeschwerde des Beschwerdeführers vor der Asylrekurskommission noch hängig, und es gibt keine Hinweise dafür, wann die Rekurskommission entscheiden wird. Das macht aber den Vollzug der erstinstanzlichen Wegweisung noch nicht undurchführbar. Es gibt vorerst keine triftigen Gründe dafür, dass die Ausschaffung sich nicht innert der gesetzlich vorgesehenen Haftdauer - die bei der erstmaligen Anordnung theoretisch neun Monate erreichen kann - durchführen liesse. Aufgrund der Sachlage, wie sie vor dem Haftrichter bestanden hat, kann demnach gegenwärtig nicht davon ausgegangen werden, der Vollzug der Wegweisung sei nicht innert absehbarer Frist möglich. Sollten von der Asylrekurskommission allerdings entsprechende Hinweise kommen oder sollte sich zeigen, dass die Behörden unter Einschluss der Asylrekurskommission den vorliegenden Fall im Hinblick auf die Wegweisung des Beschwerdeführers bzw. den Vollzug derselben nicht beförderlich behandeln, wäre dieser Punkt gegebenenfalls anders zu beurteilen. Je nach der weiteren Entwicklung des Falles werden die kantonalen Behörden diese Frage neu zu prüfen und allenfalls der geänderten Sachlage im Rahmen eines Haftentlassungsgesuchs (vgl. BGE 124 II 1 E. 3a S. 5 f.), der eventuellen Haftverlängerung (vgl. Art. 13b Abs. 2
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