124 I 97
13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. März 1998 i.S. X. gegen Obergericht (Justizkommission) des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege; Bedürftigkeit (Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Mit Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Unter bestimmten Umständen ist ein gegen beide Ehegatten ergangener kantonaler Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege auch aufzuheben, soweit er den Ehegatten betrifft, der ihn nicht angefochten hat; Umstände des konkreten Falles (E. 4).
Regeste (fr):
- Droit à l'assistance judiciaire; indigence (art. 4 Cst.).
- Contrevient à l'art. 4 Cst. la pratique consistant à considérer comme n'étant pas indigent le propriétaire d'une voiture qui ne présente pas un caractère de bien de compétence, indépendamment du point de savoir si sa situation de fortune, valeur du véhicule incluse, lui permet de payer les frais judiciaires de manière totale ou partielle (consid. 3).
- Dans certaines circonstances, une décision cantonale relative à l'assistance judiciaire, rendue à l'encontre de chacun des conjoints, doit aussi être annulée dans la mesure où elle concerne celui qui ne l'a pas attaquée; circonstances du cas concret (consid. 4).
Regesto (it):
- Diritto all'assistenza giudiziaria; indigenza (art. 4 Cost.).
- Non è compatibile con l'art. 4 Cost. la prassi secondo cui il possessore di un'automobile, che non risulta avere natura impignorabile, non è indigente indipendentemente dalla questione di sapere se la sua situazione patrimoniale, incluso il valore dell'autovettura, gli permetterebbe di pagare totalmente o in parte i costi del processo (consid. 3).
- In determinate circostanze una decisione cantonale concernente l'assistenza giudiziaria emanata nei confronti di entrambi i coniugi dev'essere annullata anche nella misura in cui tocca il coniuge che non l'ha impugnata; circostanze del concreto caso (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 98
BGE 124 I 97 S. 98
Im Ehescheidungsverfahren ersuchten X. und Y. um unentgeltliche Rechtspflege. Das Amtsgerichtspräsidium Hochdorf und auf Beschwerde hin das Obergericht des Kantons Luzern bewilligten sie ihnen indessen nur teilweise, nämlich insoweit, als der Erlös aus dem Verkauf des nicht als Kompetenzstück betrachteten gemeinsamen Autos, hälftig aufgeteilt auf die Parteien, für die Aufwendungen nicht ausreichen würde. Für den Nachweis des Verkaufes, von dem die unentgeltliche Rechtspflege insgesamt abhängig sein sollte, wurde den Parteien eine inzwischen abgelaufene Frist gesetzt.
X. führt staatsrechtliche Beschwerde, unter anderem wegen Verletzung von Art. 4
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Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. a) Das Obergericht bejahte grundsätzlich die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin, ging aber von der Überlegung aus, der Besitzer eines Autos, auf das er nicht angewiesen sei, könne sich nicht auf seine Mittellosigkeit berufen, solange er über den im Fahrzeug verkörperten Vermögenswert verfüge und ausserdem in der Lage sei, die folglich nicht zum Notbedarf gehörenden Betriebs- und Unterhaltskosten aufzubringen. Bevor er Hilfe vom Staat erwarten könne, müsse er einbringen, was er an eigenen Vermögenswerten entbehren könne, nämlich eben den erzielbaren Verkaufserlös des Autos. Im vorliegenden Fall habe das Auto freilich nur noch einen geringen, von der Beschwerdeführerin auf Fr. 534.-- bezifferten Wert, den einzubringen dennoch zumutbar sei, um so mehr, als der Ehemann als Miteigentümer die Verkaufsverpflichtung akzeptiert habe. Sei ein Nettoerlös nicht erzielbar, so entfalle auch jegliche Beschränkung der zugesicherten unentgeltlichen Rechtspflege. b) Als bedürftig gilt, wer die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne jene Mittel anzugreifen, deren er zur Dekkung des notwendigen Lebensunterhalts für sich und seine Familie bedarf; dabei sind die Einkommens- wie die Vermögensverhältnisse in Betracht zu ziehen (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181 mit Hinweisen). Art. 4
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BGE 124 I 97 S. 99
was der Vergleich von Einkommen und anrechenbarem Notbedarf ergibt, als nicht bedürftig gilt (BGE 124 I 1 E. 2c S. 4). Verletzt wird Art. 4
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BGE 124 I 97 S. 100
dem Grundbedarf kann der zivilprozessuale Notbedarf den individuellen Zwangsbedarf übersteigen; überdies können vorhandene Mittel teilweise anders als gemäss den im Grundbedarf enthaltenen Einzelelementen verbraucht werden, indem beispielsweise für Verköstigung weniger als veranschlagt ausgegeben wird. Diese Folge ist als systemimmanent hinzunehmen, um so mehr, als durch die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege keinerlei Verpflichtung erwächst, die Mittel nur oder nicht anders denn jenen Elementen entsprechend zu verwenden. Der als bedürftig Ausgewiesene bleibt so oder so prozessarm, ob er die ihm im Rahmen pauschaler Berechnungen zugestandenen Mittel für den notwendigen oder den nicht als notwendig erachteten Lebensunterhalt, also etwa für den Betrieb eines Autos ohne Kompetenzcharakter, für Sport oder Unterhaltung ausgibt; soweit er sie nicht für lebensnotwendige Bedürfnisse einsetzt, sind sie deshalb auch nicht in den Prozess einzubringen. Bestimmte Kategorien der Mittelverwendung für nicht notwendigen Lebensunterhalt wie die Kosten für Betrieb und Unterhalt eines Autos herauszugreifen und sie zum alleinigen, die unentgeltliche Rechtspflege ausschliessenden Kriterium zu machen, wäre ohnehin willkürlich (BGE 124 I 1 E. 2c S. 4).
4. Der Entscheid des Obergerichts ist zwar lediglich von der Beschwerdeführerin, nicht auch von ihrem Ehemann angefochten worden, allerdings mit dem uneingeschränkten Antrag, ihn aufzuheben. Durch den Entscheid ist die unentgeltliche Rechtspflege des einen mit derjenigen des andern insofern unlösbar verknüpft worden, als der Verkauf des Autos bei beiden Bedingung für die Bewilligung darstellt; für beide wird einerseits nach unbenutztem Ablauf der für den Verkauf gesetzten Frist definitiver Verzicht auf die unentgeltliche Rechtspflege angenommen; anderseits bestimmt der Verkaufserlös bei beiden den Umfang der unentgeltlichen Rechtspflege, und zwar bei der Beschwerdeführerin bezüglich der Anwalts-, bei ihrem Ehemann bezüglich der Gerichts- und Beweiskosten. Da der Wagen überdies im Miteigentum beider Parteien steht, kann er nur verkauft werden, wenn beide gemeinsam handeln. Es geht daher nicht an, den Entscheid lediglich insoweit aufzuheben, als ihn die Beschwerdeführerin angefochten hat.