122 II 49
7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Mai 1996 i.S. C. gegen Fremdenpolizei und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (Haftrichter) (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 13b Abs. 1 lit. c
und Art. 13c Abs. 3
in Verbindung mit Art. 13d Abs. 2
ANAG; Untertauchensgefahr und Haftbedingungen bei der Ausschaffungshaft.
- Konkrete Umstände, die auf eine Untertauchensgefahr schliessen lassen (Zusammenfassung der Rechtsprechung; E. 2a). Untertauchensgefahr bejaht bei einem Ausländer, der bereits einmal untergetaucht bzw. einer Vorladung der Fremdenpolizei grundlos nicht nachgekommen ist und die Beschaffung der Reisepapiere aktiv erschwert hat (E. 2b).
- Bundesrechtliche Anforderungen an die Haftbedingungen (Zusammenfassung der Rechtsprechung, E. 5a); Prüfung der Haftbedingungen im konkreten Fall (E. 5b).
Regeste (fr):
- Art. 13b al. 1 let. c et art. 13c al. 3 en relation avec l'art. 13d al. 2 LSEE; risque de fuite et conditions de la détention en vue du refoulement.
- Indices concrets faisant craindre que l'étranger entend se soustraire au refoulement (résumé de la jurisprudence; consid. 2a). Danger de fuite réalisé lorsque l'étranger a déjà tenté de se soustraire au refoulement, ou n'a pas, sans raisons valables, donné suite à une convocation de la police des étrangers et a activement compliqué l'obtention de documents de voyage (consid. 2b).
- Exigences du droit fédéral relatives aux conditions de détention (résumé de la jurisprudence, consid. 5a); examen des conditions de détention dans le cas concret (consid. 5b).
Regesto (it):
- Art. 13b cpv. 1 lett. c e art. 13c cpv. 3 in relazione con l'art. 13d cpv. 2 LDDS; rischio di fuga e condizioni della carcerazione in vista di sfratto.
- Indizi concreti che fanno temere che lo straniero intende sottrarsi allo sfratto (riassunto della giurisprudenza; consid. 2a). Rischio di fuga ammesso laddove lo straniero abbia già tentato di sottrarsi allo sfratto o, senza validi motivi, non abbia dato seguito ad una convocazione della polizia degli stranieri e abbia attivamente ostacolato l'ottundimento dei documenti di viaggio (consid. 2b).
- Esigenze poste dal diritto federale alle condizioni di carcerazione (riassunto della giurisprudenza; consid. 5a); verifica delle condizioni di carcerazione nel caso concreto (consid. 5b).
Sachverhalt ab Seite 50
BGE 122 II 49 S. 50
Der nach eigenen Angaben aus Liberia stammende C. (geb. 15. Mai 1970) reiste am 10. Oktober 1995 in die Schweiz ein und ersuchte hier tags darauf um Asyl. Das Bundesamt für Flüchtlinge lehnte am 23. November 1995 sein Gesuch ab, wies ihn aus der Schweiz weg und forderte ihn auf, diese bis zum 7. Dezember 1995 zu verlassen. In der Folge verschwand C. ohne Adressangabe. Am 13. Dezember 1995 wurde C. in Zürich angehalten und wegen 12 Gramm Kokain, die er auf sich trug, in Untersuchungshaft genommen. Am 27. März 1996 verurteilte ihn der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich unter anderem wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu vier Monaten Gefängnis bedingt und ordnete seine sofortige Haftentlassung und Zuführung an die Fremdenpolizei Zürich an. Diese überstellte C. am 29. März 1996 zuständigkeitshalber der Fremdenpolizei des Kantons Luzern, die ihn in Ausschaffungshaft nahm. Noch gleichentags prüfte das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Haftanordnung und bestätigte diese bis zum 26. Juni 1996. Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Sinne der Erwägungen ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausschaffungshaft gestützt auf Art. 13b Abs. 1 lit. c
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BGE 122 II 49 S. 51
die Tatsache, dass er keine Papiere besitzt und nur mangelhaft an deren Beschaffung mitwirkt (statt vieler: unveröffentlichtes Urteil vom 25. März 1996 i.S. M.M., E. 2a). Die Passivität des Ausländers kann jedoch, gleich wie das Fehlen eines festen Aufenthaltsorts oder die Mittellosigkeit, ein weiterer Hinweis dafür sein, dass er sich der Ausschaffung entziehen will (unveröffentlichte Urteile vom 20. Juni 1995 i.S. M., E. 4a, vom 14. Juli 1995 i.S. M., E. 2a, und vom 4. Oktober 1995 i.S. B., E. 4d). Je länger die passive Haltung andauert und je beharrlicher sie ist, desto stärker ist sie als Indiz zu gewichten, welches - zusammen mit andern Umständen - zur Bejahung des Haftgrunds von Art. 13b Abs. 1 lit. c
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BGE 122 II 49 S. 52
angehalten; dabei trug er (in handelsüblichen Portionen abgepackt bzw. eine grössere Menge in einem separaten Plastiksack) 12 Gramm Kokain auf sich. Seine Erklärung, er habe sich am 7. Dezember 1995 einzig "ferienhalber während ein paar Tagen aus dem Zentrum Sonnenhof in Emmenbrücke entfernt", erscheint unter diesen Umständen abwegig. Der Beschwerdeführer hat sich bei der Abklärung seiner Identität und der Beschaffung der Papiere überdies nicht nur passiv verhalten, sondern diese aktiv erschwert: Im Asylverfahren reichte er nach den Feststellungen des Bundesamts für Flüchtlinge die Kopie einer gefälschten Flüchtlingsbestätigung des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) ein. Trotz seinen wiederholten Beteuerungen, aus Liberia zu stammen, vereitelte er am 21. März 1996 die Ausstellung eines liberianischen "Laissez-Passer", indem er sich weigerte, die von ihm behauptete Staatsangehörigkeit unterschriftlich zu bestätigen, weil der Konsul "auf der Seite der Polizei" stehe. Am 29. März 1996 erklärte er sich der Fremdenpolizei gegenüber erneut nicht bereit, seine Behauptung, liberianischer Staatsangehöriger zu sein, schriftlich zu bestätigen; am 15. April 1996 erklärte er, auf keinen Fall nach Liberia zurückkehren zu wollen. Vor diesem Hintergrund erscheinen seine Beteuerungen vor dem Verwaltungsgericht, sich beim liberianischen Konsul die nötigen Papiere zu beschaffen und sich an eine Meldepflicht zu halten, unglaubwürdig. c) Ist der Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. c
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5. a) Bei der Überprüfung des Entscheids über die Anordnung der Ausschaffungshaft hat die richterliche Behörde schliesslich auch die Umstände des Haftvollzugs zu berücksichtigen (Art. 13c Abs. 3
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BGE 122 II 49 S. 53
diese Anforderungen gestützt auf die Ausführungen in der Botschaft des Bundesrats (BBl 1994 I 326) und den parlamentarischen Beratungen in mehreren Entscheiden inzwischen konkretisiert: Bei der ausländerrechtlichen Haft geht es einzig um die Sicherung des Wegweisungsverfahrens und den Vollzug des entsprechenden Entscheids. Die Trennung von Ausländern in Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft von andern Häftlingen soll äusserlich zeigen, dass die Haft nicht wegen des Verdachts einer Straftat angeordnet wurde, sondern einen rein administrativen Hintergrund hat. Diesem Gebot entsprechen am besten spezifisch auf die Bedürfnisse der ausländerrechtlichen Haft eingerichtete Gebäulichkeiten. Eine Trennung auf der Ebene der Zellen genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, wohl aber die Unterbringung in getrennten Abteilungen derselben Anstalt, wenn die getroffene Lösung dem Zweck der getrennten Unterbringung Rechnung trägt und ein abweichendes freieres Haftregime (Gemeinschaftsräumlichkeiten, Besuchsausübung, Freizeitaktivitäten) zulässt (unveröffentlichte Urteile vom 11. Dezember 1995 i.S. M., E. 2 u. 3, vom 27. Februar 1996 i.S. S.A., E. 3, und vom 18. April 1996 i.S. S.A., E. 4). Gewisse unvermeidliche Überschneidungen bei der Benützung der Infrastruktur müssen sich dabei auf ein Minimum beschränken. Unbedenklich ist die zeitlich verschobene Benützung der gleichen Räumlichkeiten (z.B. beim Spaziergang) durch verschiedene Häftlingskategorien. Bauliche, organisatorische und personelle Gegebenheiten sind trotz der sich allenfalls aus den Erfordernissen des Anstaltsbetriebs oder aus Sicherheitsgründen ergebenden Sachzwänge anzupassen, soweit dies die verfassungsrechtlichen Minimalforderungen an den Haftvollzug gebieten (unveröffentlichtes Urteil vom 23. August 1995 i.S. M.; ANDREAS ZÜND, Rechtsprechung des Bundesgerichts, a.a.O., S. 90 ff.). Dem Häftling muss in diesem Sinn nebst einer geeigneten Unterbringung ein täglicher einstündiger Spaziergang im Freien gewährt werden, ohne dass er dabei mit Untersuchungshäftlingen in Kontakt kommt. Zudem ist ihm "soweit möglich", d.h. im Rahmen der den Behörden zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten, eine geeignete Tätigkeit anzubieten, wenn er sich um diese aktiv bemüht (vgl. unveröffentlichtes Urteil vom 18. April 1996 i.S. S.A., E. 4c); bei kurzer Haftdauer kann hiervon abgesehen werden (BBl 1994 I 326 f.; unveröffentlichtes Urteil vom 27. Februar 1996 i.S. S.A., E. 3b). b) aa) Der Beschwerdeführer kritisiert in erster Linie die Hausordnung für das Amtsgefängnis Willisau im Zusammenhang mit der Besuchsregelung, dem
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Postverkehr, der Benützung eines Fernsehapparats und den Beschäftigungsmöglichkeiten. Die entsprechenden Regelungen gingen über die für die Ausschaffungshaft nötigen Einschränkungen hinaus und gewährten der inhaftierten Person nicht die dem Zweck der Haft entsprechende im kantonalen Recht geforderte "grösstmögliche Freiheit" (vgl. § 13k der luzernischen Verordnung zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer und zum Asylgesetz [Fassung vom 23. Januar 1995]). bb) Die Kritik ist nicht stichhaltig, weshalb dahingestellt bleiben kann, ob und wieweit die Rüge einer Verletzung des kantonalen Vollzugsrechts vorliegend zu berücksichtigen ist: Gegenstand der Haftprüfung bilden nicht einzelne Bestimmungen der Hausordnung für das Amtsgefängnis Willisau, sondern die konkreten Haftbedingungen des Beschwerdeführers. Diese entsprechen nach dem angefochtenen Entscheid und dem vom Bundesgericht eingeholten Bericht des Militär-, Polizei- und Umweltschutzdepartements den dargelegten bundesrechtlichen Minimalanforderungen. Vom Samstag, 30. März 1996, 09.45 Uhr, bis zum Montag, 1. April 1996, 08.45 Uhr, befand sich der Beschwerdeführer im Ausschaffungsgefängnis Schüpfheim, das dann wegen Umbauarbeiten bis Pfingsten geschlossen wurde. In der Folge bezog er eine vollständig sanierte Einzelzelle im Amtsgefängnis Willisau. Dort ist er mit anderen Ausschaffungshäftlingen im zweiten Stock untergebracht, während sich die Straf- und Untersuchungsgefangenen im ersten Stock befinden. Für die Vorbereitungs- und Ausschaffungshäftlinge stehen bis zur Eröffnung des eigentlichen Ausschaffungsgefängnisses Schüpfheim (Ende Mai 1996) fünf Einzelzellen, ein Duschraum, ein Aufenthaltsraum mit Kochnische und ein grosser Gang zur Verfügung. Der tägliche einstündige Spaziergang im Freien erfolgt - von Untersuchungs- und Strafgefangenen getrennt - auf dem Gefängnisdach. Das Verwaltungsgericht verband seine Haftgenehmigung ausdrücklich mit der Auflage, dem Beschwerdeführer sei täglich mindestens ein einstündiger Spaziergang zu gewähren; überdies sei ihm eine geeignete Arbeit zu ermöglichen. Seit dem 11. April 1996 stellt er seiner Ausbildung entsprechend Entwürfe für die Farbgebung der Wände und Türen des neuen Amtsgefängnisses Willisau her, wofür er ein Peculium von Fr. 15.-- pro Tag erhält; weitere Arbeiten hält das Zeughaus Luzern für ihn zur Verfügung. Zwar wird seine Post gemäss der allgemeinen Hausordnung geöffnet, doch dient die Kontrolle nicht der Zensur der Briefe selber; sie stellt vielmehr bloss sicher, dass auf diesem Weg (mit Blick auf die Beziehungen des
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Beschwerdeführers zur Zürcher Szene) keine Drogen eingeschmuggelt werden. Sollte, wie der Beschwerdeführer in seiner Replik geltend macht, auch seine ausgehende Post kontrolliert werden, wäre dies künftig zu unterlassen, soweit hierfür keine besondere Veranlassung besteht. Ebenfalls der Verhinderung des Drogenschmuggels dient die Beaufsichtigung der Privatbesuche. Diese erfolgt locker und den Umständen angemessen, indem lediglich die Verbindungstür zwischen dem Besuchsraum und dem angrenzenden Büro offengelassen wird. Eine inhaltliche Kontrolle der Gespräche ist meist bereits aus sprachlichen Gründen nicht möglich. Besuche von Anwälten und Amtspersonen werden nicht überwacht. Der Beschwerdeführer kann schliesslich im Gemeinschaftsraum, zu dem er grundsätzlich freien Zutritt hat, kostenlos fernsehen; zu bezahlen wäre lediglich die Miete für ein Zusatzgerät in der eigenen Zelle. Telefongespräche werden ihm grosszügig gestattet; dass er Privatgespräche dabei selber zu begleichen hat, ist nicht zu beanstanden, solange der Kontakt mit seinem Anwalt sichergestellt bleibt. Das Vorbringen, er habe nicht, wie er dies gewünscht habe, mit einem Seelsorger sprechen können, ist neu und deshalb im vorliegenden Verfahren an sich unbeachtlich. Dennoch rechtfertigt sich die Feststellung, dass keinerlei Veranlassung bestehen dürfte, ihm dies zu verweigern. cc) Zusammenfassend ergibt sich, dass die bestehende Gefängnisordnung im Einzelfall ohne weiteres ein den bundesrechtlichen Anforderungen entsprechendes Haftregime zulässt; die Lösung hat mit Blick auf die Eröffnung des Ausschaffungsgefängnisses Schüpfheim zudem nur provisorischen Charakter, weshalb sich eine weitergehende spezifische Regelung der Haftbedingungen für Ausschaffungshäftlinge im Amtsgefängnis Willisau zurzeit nicht aufdrängt. Wie das Bundesgericht ausgeführt hat, ist den Kantonen, wenn sie die bundesrechtlichen Minimalanforderungen erfüllen, eine gewisse Frist zur Verwirklichung der übrigen Besonderheiten bei den Haftbedingungen für die administrativen Einsperrungen zuzugestehen (unveröffentlichtes Urteil vom 18. April 1996 i.S. S.A., E. 4c).