120 V 33
5. Auszug aus dem Urteil vom 21. Februar 1994 in Sachen OSKA Kranken- und Unfallversicherung gegen I. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
Regeste (de):
- Art. 1 Abs. 2
und Art. 4
KUVG.
- Im Zusammenhang mit der Mitteilung kasseninternen Rechts an die Krankenversicherten gilt in bezug auf den Nachweis derjenigen Tatsachen, von denen die Beurteilung der Zustellung abhängt, der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.
Regeste (fr):
- Art. 1er al. 2 et art. 4 LAMA.
- La preuve des faits propres à établir la notification aux assurés des communications concernant la réglementation interne d'une caisse-maladie est soumise à la règle de la vraisemblance prépondérante.
Regesto (it):
- Art. 1 cpv. 2 e art. 4 LAMI.
- La prova dei fatti idonei all'accertamento della notificazione agli assicurati delle comunicazioni concernenti la regolamentazione interna di una cassa malati è sottoposta alla regola della verosimiglianza preponderante.
Sachverhalt ab Seite 33
BGE 120 V 33 S. 33
A.- I. war Mitglied der OSKA Kranken- und Unfallversicherung (im folgenden OSKA genannt). Mit Schreiben an die OSKA vom 26. Juni 1990 kündigte er das Mitgliedschaftsverhältnis und erklärte den Austritt aus der Kasse auf Ende Juli 1990. Darauf erwiderte ihm die OSKA, die Kündigungsfrist betrage nach den Versicherungsbedingungen nicht wie früher nur einen, sondern neu drei Monate. I. wandte dagegen ein, von der Änderung der Kündigungsfrist nie erfahren zu haben. Demzufolge weigerte er sich, die Prämienbetreffnisse für die Monate August und September 1990 im Betrage von Fr. 491.40 zu entrichten. Mit Verfügung vom 19. Juni 1991 verpflichtete ihn die OSKA zur Bezahlung des genannten Betrages; zugleich beseitigte sie den in der vorangegangenen Betreibung von I. erhobenen Rechtsvorschlag.
BGE 120 V 33 S. 34
B.- In Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 18. November 1991 die angefochtene Kassenverfügung auf.
C.- Die OSKA erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides, Wiederherstellung ihrer Verfügung vom 19. Juni 1991 und Erteilung der definitiven Rechtsöffnung. I. beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, indem er sich die Erwägungen der Vorinstanz zu eigen macht. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst sich dem Antrag der OSKA an. Auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsentscheides und der Anträge wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Streitig ist, ob für den erklärten Kassenaustritt die alte einmonatige oder die neue dreimonatige Kündigungsfrist gilt. Im einzelnen geht es darum, ob die entsprechende Statuten- oder Reglementsänderung dem Beschwerdegegner gehörig bekanntgemacht wurde. a) Die Krankenkassen können ihre Versicherungsbedingungen innerhalb der gesetzlichen Schranken jederzeit veränderten Bedürfnissen anpassen. Eine die Stellung der betroffenen Mitglieder wesentlich beeinträchtigende Änderung wird für diese indes nur verbindlich, wenn ihnen die neue Regelung auch bekanntgemacht wird. Unterlässt die Kasse dies und befindet sich der Versicherte deshalb bezüglich seiner Rechte und Pflichten in einem Irrtum, kann ihm die neue Ordnung nicht entgegengehalten werden. Zwischen dem Interesse an einer gesunden Kassenführung einerseits und der Respektierung der Rechte der Versicherten anderseits ist ein billiger Ausgleich zu wahren (BGE 107 V 162 Erw. 2; RKUV 1990 Nr. K 833 S. 29 Erw. 1b und Nr. K 848 S. 314 Erw. 1, je mit Hinweisen). Als geeignetste Methode für die Bekanntmachung von Änderungen der Versicherungsbedingungen ist grundsätzlich die individuelle Mitteilung an jeden einzelnen Versicherten zu betrachten (BGE 96 V 97). Da diese jedoch häufig mit einem unverhältnismässigen Aufwand finanzieller und administrativer Art verbunden ist, kommen nach der Rechtsprechung des
BGE 120 V 33 S. 35
Eidg. Versicherungsgerichts für die zureichende Anzeige geänderter Regelungen auch andere Informationsweisen in Frage. Es reicht indes nicht aus, dass den Versicherten lediglich die Möglichkeit eingeräumt wird, die Versicherungsbedingungen jederzeit beim Arbeitgeber oder bei der Kasse einzusehen, da den einzelnen Mitgliedern nicht zugemutet werden kann, sich mehr oder weniger regelmässig nach allfälligen Änderungen zu erkundigen (BGE 107 V 165 Erw. 3c). Eine mitteilungsbedürftige Änderung der Versicherungsbedingungen muss bei ihrer Bekanntgabe klar als solche erkennbar sein (RKUV 1990 Nr. K 833 S. 29 Erw. 1b mit Hinweisen).
b) Selbst wenn dies aufgrund der bisherigen - ausschliesslich zu den leistungsbezogenen Änderungen der Versicherungsbedingungen ergangenen - Rechtsprechung (BGE 107 V 163 Erw. 3; RKUV 1990 Nr. K 848 S. 314 Erw. 1b, 1987 Nr. K 734 S. 209) nicht ohne weiteres auf der Hand liegen mag, muss davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Beschwerdegegners durch die Verlängerung der Kündigungsfrist von einem auf drei Monate wesentlich berührt wird. Denn mit dieser Neuordnung der Austrittsmodalitäten wird das betroffene Kassenmitglied in seinem Handlungsspielraum als Rechtssubjekt in nicht zu vernachlässigender Weise eingeschränkt. Dies gilt um so mehr, wenn daneben weitere - seinen Interessen zuwiderlaufende - Neuerungen in Kraft treten, die von ihm während der verlängerten Kündigungsfrist hinzunehmen wären. Somit muss auch in Fällen wie dem vorliegenden auf dem Erfordernis der gehörigen Bekanntgabe der Änderung beharrt werden, und es kann den Ausführungen des BSV nicht beigepflichtet werden, welches in seiner Vernehmlassung Gegenteiliges zu behaupten scheint. c) Die Beschwerdeführerin hat die auf den 1. Oktober 1989 in Kraft getretene Änderung der Kündigungsfrist in der im Monat zuvor erschienenen Ausgabe ihres eigenen Publikationsorgans ("Intakt" Nr. 3/89) unter Beilage der neuen Allgemeinen Versicherungsbedingungen kundgetan. Diese statutenkonforme Publikation in der Kassenzeitung genügt grundsätzlich den Anforderungen an die gehörige Bekanntgabe (RKUV 1990 Nr. K 833 S. 30 Erw. 2 und Nr. K 848 S. 316), was auch vom Beschwerdegegner nicht bestritten wird. Dieser macht vielmehr einzig geltend, die entsprechende Ausgabe des kasseneigenen Publikationsorgans nie nachweislich erhalten zu haben.
3. a) Das kantonale Gericht hat in Würdigung der ihm vorliegenden Akten festgehalten, es sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen,
BGE 120 V 33 S. 36
dass der Beschwerdegegner die mit gewöhnlicher Post versandte Ausgabe "Intakt" Nr. 3/89 erhalten habe. An diese - unbestrittene - Tatsachenfeststellung bleibt das Eidg. Versicherungsgericht nach Art. 105 Abs. 2
![](media/link.gif)
Diese Passage kann in der Tat nicht anders verstanden werden, als die Vorinstanz dies getan hat, dass nämlich das Eidg. Versicherungsgericht für die gehörige Zustellung der Kassenzeitschrift im Ergebnis nur den vollen Beweis (Sicherheitsbeweis) gelten lassen wollte (zu den verschiedenen Beweismassen: BGE 119 V 9 und BGE 118 II 238 Erw. 3c, je mit Hinweisen; ferner BGE 117 V 265 f.).
BGE 120 V 33 S. 37
c) Eine erneute Prüfung ergibt, dass am Beweismass, wie es in RKUV 1990 Nr. K 848 S. 315 Erw. 2 mit Bezug auf die Zustellung wesentlicher Statuten- oder Reglementsänderungen wenigstens sinngemäss verlangt worden ist, nicht festgehalten werden kann. Denn anders als dort, wo der Nachweis von Tatsachen über die rechtzeitige Ausübung eines fristgebundenen, verwirkungsbedrohten Rechts im Prozess in Frage steht, in welchem Zusammenhang die Rechtsprechung den blossen Wahrscheinlichkeitsbeweis nicht genügen lässt (BGE 119 V 10), geht es hier ebenfalls um eine für das Sozialversicherungsrecht typische Erscheinung der Massenverwaltung. Diesen Eigenarten gilt es aus Rücksicht auf die Durchführungsorgane, mit Blick auf die Gewährleistung eines - im Interesse sämtlicher Versicherter liegenden - wirksamen Verwaltungsbetriebes Rechnung zu tragen (vgl. etwa zur Begründungsdichte: RKUV 1993 Nr. U 175 S. 201 Erw. 4a/aa; ZAK 1989 S. 465 Erw. 4a), so namentlich auch in beweisrechtlicher Hinsicht. Dementsprechend hat das Eidg. Versicherungsgericht vor kurzem ausdrücklich festgehalten, dass die als sozialversicherungsrechtliche Besonderheit zu verstehende Regel des Beweisgrades der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht nur bei der Feststellung der für den materiellen Leistungsanspruch erheblichen Tatsachen, sondern ebenso bei andern Erscheinungen der Massenverwaltung anwendbar sein soll (BGE 119 V 9 Mitte; vgl. auch MAURER, Bundessozialversicherungsrecht, 1993, § 8 B I 3, S. 80, der sich mit seinen Zweifeln an der Gesetzmässigkeit von Art. 141 Abs. 3
![](media/link.gif)
SR 831.101 Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV) AHVV Art. 141 Kontenauszüge - 1 Der Versicherte hat das Recht, bei jeder Ausgleichskasse, die für ihn ein individuelles Konto führt, einen Auszug über die darin gemachten Eintragungen unter Angabe allfälliger Arbeitgeber zu verlangen. Der Kontoauszug wird unentgeltlich abgegeben.454 |
|
1 | Der Versicherte hat das Recht, bei jeder Ausgleichskasse, die für ihn ein individuelles Konto führt, einen Auszug über die darin gemachten Eintragungen unter Angabe allfälliger Arbeitgeber zu verlangen. Der Kontoauszug wird unentgeltlich abgegeben.454 |
1bis | Der Versicherte kann überdies bei der für den Beitragsbezug zuständigen oder einer andern Ausgleichskasse Auszüge aus sämtlichen bei den einzelnen Ausgleichskassen für ihn geführten individuellen Konten verlangen. Versicherte im Ausland richten ihr Gesuch an die Schweizerische Ausgleichskasse.455 |
2 | Versicherte können innert 30 Tagen seit Zustellung des Kontenauszuges bei der Ausgleichskasse eine Berichtigung verlangen. Die Ausgleichskasse entscheidet mit Verfügung.456 |
3 | Wird kein Kontenauszug oder keine Berichtigung verlangt, oder wird das Berichtigungsbegehren abgelehnt, so kann bei Eintritt des Versicherungsfalles die Berichtigung von Eintragungen im individuellen Konto nur verlangt werden, soweit deren Unrichtigkeit offenkundig ist oder dafür der volle Beweis erbracht wird.457 |