120 Ib 257
37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. September 1994 i.S. B. gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG und Art. 8 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
- Halbgeschwister können sich im Hinblick auf einen Familiennachzug in die Schweiz unter Umständen auf Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
- Kriterien für die Bemessung der Abhängigkeit eines Jugendlichen von seiner Halbschwester; Festlegung des massgeblichen Zeitpunkts (E. 1e-f).
- Anwendung dieser Kriterien auf den zu beurteilenden Fall (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 100 let. b ch. 3 OJ et art. 8 par. 1 CEDH; recevabilité du recours de droit administratif contre le refus d'approuver une autorisation de séjour d'un étranger.
- Les demi-frères et demi-soeurs peuvent, à certaines conditions, se réclamer de l'art. 8 CEDH en vue d'un regroupement familial en Suisse. Cela est notamment possible lorsqu'un adulte ayant un droit de présence en Suisse a la charge de l'un de ses demi-frères ou demi-soeurs qui se trouve dans un état de dépendance par rapport à lui (consid. 1c-d).
- Critères pour mesurer la dépendance d'un adolescent à l'égard de sa demi-soeur; fixation du moment déterminant (consid. 1e-f).
- Application de ces critères au cas particulier (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 100 lett. b n. 3 OG e art. 8 n. 1 CEDU; ammissibilità di un ricorso di diritto amministrativo contro il rifiuto dell'approvazione di un permesso di dimora di uno straniero.
- A determinate condizioni, i fratellastri e le sorellastre possono invocare l'art. 8 CEDU, al fine di un ricongiungimento familiare in Svizzera. In particolare, ciò è possibile quando un adulto, che dispone del diritto di risiedere in Svizzera, si occupa della cura di un fratellastro o di una sorellastra che dipende da lui (consid. 1c-d).
- Criteri per misurare la dipendenza di un adolescente nei confronti della sua sorellastra; fissazione del momento determinante (consid. 1e-f).
- Applicazione dei criteri al caso particolare (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 258
BGE 120 Ib 257 S. 258
Die 1959 geborene, ursprünglich philippinische Staatsangehörige L. erwarb durch Heirat mit einem Schweizer Bürger die schweizerische Staatsangehörigkeit. Sie lebt sei 1981 in der Schweiz. 1987 hat sie sich von ihrem Ehemann getrennt. Im Dezember 1991 brachte sie einen Sohn schweizerischer Nationalität zur Welt, welchen sie allein betreut. Am 2. September 1991 stellte L. ein Gesuch um Niederlassungsbewilligung für ihren 1975 geborenen Halbbruder philippinischer Staatsangehörigkeit, B. Sie machte geltend, ihre gemeinsame Mutter, bei welcher B. auf den Philippinen gelebt habe, sei am 17. März 1990 gestorben. Seither sei er auf sich allein gestellt gewesen, bis er am 21. Juli 1991 mit einem Besuchervisum zu ihr in die Schweiz gekommen sei. Ausser ihr habe er keine weiteren Verwandten, welche für seine Erziehung und Ausbildung sorgen könnten. Sie selbst sei dazu bereit. Das Gesuch wurde am 6. November 1991 von der Fremdenpolizei des Kantons Bern und auf Beschwerde hin am 13. Mai 1992 von der Polizeidirektion des Kantons Bern abgewiesen. Mit Urteil vom 21. Dezember 1992 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern eine dagegen gerichtete Beschwerde gestützt auf Art. 8
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Mit Verfügung vom 25. Februar 1993 verweigerte das Bundesamt seine Zustimmung zur Aufenthaltsbewilligung und setzte B. eine Frist zum Verlassen der Schweiz. Eine Beschwerde an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement blieb erfolglos. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 7. September 1993 an das Bundesgericht stellt B. folgende Anträge: "1. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.
2. Die Zustimmung zu der dem Beschwerdeführer vom
Kanton Bern erteilten Aufenthaltsbewilligung sei zu erteilen.
BGE 120 Ib 257 S. 259
eventualiter:
Das Bundesamt für Ausländerfragen sei anzuweisen, die Zustimmung zu der vom Kanton Bern erteilten Aufenthaltsbewilligung zu erteilen." In seiner Vernehmlassung vom 22. September 1993 schliesst das Departement auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Mit Verfügung vom 4. Oktober 1993 gestattete der Präsident der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts B. die Anwesenheit in der Schweiz für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. a) Gemäss Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG ist auf dem Gebiete der Fremdenpolizei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Die zuständigen Behörden entscheiden über die Bewilligung des Aufenthalts im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland nach freiem Ermessen (Art. 4
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c) Hingegen leitet der Beschwerdeführer ein Anwesenheitsrecht aus Art. 8 Ziff. 1
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BGE 120 Ib 257 S. 260
Familienlebens. Darauf kann sich der Ausländer berufen, der nahe Verwandte mit einem gefestigten Anwesenheitsrecht (Schweizer Bürgerrecht oder Niederlassungsbewilligung) in der Schweiz hat; wird ihm selber die Anwesenheit in der Schweiz untersagt, kann dies Art. 8
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BGE 120 Ib 257 S. 261
Menschenrechtskonvention, Art. 8, Köln/Berlin/Bonn/München 1992, Rz. 388 ff.). Das heisst nun aber nicht, dass in diesen Fällen immer ein Anspruch auf fremdenpolizeiliche Bewilligungen für die jeweiligen Angehörigen besteht. Das Bundesgericht hat als familiäre Beziehung, welche gestützt auf Art. 8
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Das Bundesgericht hatte bereits einmal über die Abhängigkeit einer Frau von ihren Eltern zu entscheiden, welche das 18. Lebensjahr überschritten hatte
BGE 120 Ib 257 S. 262
und sich daher für die Nachreise zu ihren Eltern nicht mehr auf Art. 17 Abs. 2
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BGE 120 Ib 257 S. 263
unbefristet bewilligt, wenn im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung die Voraussetzungen erfüllt sind. Bei einer auf Art. 8
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2. a) Die Halbschwester des Beschwerdeführers hat vor Jahren die häusliche Gemeinschaft mit Mutter und Halbbruder aus eigenem Willen verlassen, um mit ihrem Ehemann in der Schweiz zu leben. Mit ihren Angehörigen auf den Philippinen hat sie den Kontakt bewahrt und sie auch regelmässig besucht. Die Beziehung zwischen den Halbgeschwistern blieb somit intakt und wurde im Rahmen des Üblichen gepflegt. Dass die beiden Halbgeschwister vor der Einreise des Beschwerdeführers nicht in Hausgemeinschaft lebten, schliesst eine Berufung auf Art. 8
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BGE 120 Ib 257 S. 264
Wohnort wieder abgereist war und den Beschwerdeführer allein zurückgelassen hatte, geriet dieser - angesichts seines damaligen Alters wenig überraschend - in Schwierigkeiten. Bei Gesuchseinreichung war er somit auf eine gewisse persönliche Betreuung durch seine Halbschwester angewiesen. Diese konnte im übrigen bisher auch ausgeübt werden, da dem Beschwerdeführer bis anhin der Aufenthalt immer wieder provisorisch bis zur Beendigung des vorliegenden Verfahrens bewilligt worden war. Im Dezember 1992, als der Beschwerdeführer bereits mehr als 17 Jahre alt war, hat das Verwaltungsgericht des Kantons Bern noch festgehalten, dieser mache gemessen an seinem Alter einen recht kindlichen Eindruck und brauche den Rückhalt bei einem vertrauten Menschen. Bei Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht war der Beschwerdeführer aber bereits 18jährig; inzwischen hat er gar das 19. Lebensjahr überschritten. Auch wenn das Verwaltungsgericht des Kantons Bern dem Beschwerdeführer eine Anwesenheitsbewilligung nur für die Dauer der Minderjährigkeit erteilen zu wollen scheint und dieser sowohl nach schweizerischem wie auch nach philippinischem Recht, nach welchem die Volljährigkeit mit vollendetem 21. Lebensjahr eintritt (vgl. ALEXANDER BERGMANN/MURAD FERID, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Philippinen, 114. Lieferung, Frankfurt 1993, S. 21 und 43), noch nicht mündig ist, hat er doch bereits vor Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht die Grenze von 18 Jahren überschritten. Er befindet sich somit in einem Alter, in welchem gemeinhin eine weitgehende Selbständigkeit erreicht wird.
Wohl mag der Beschwerdeführer noch auf eine gewisse Unterstützung durch seine Halbschwester angewiesen sein. In seinem Alter sind Jugendliche in der Regel jedoch in persönlicher Hinsicht genügend gereift, um selbständig leben zu können. Häufig wohnen sie denn auch getrennt von ihrer Familie und üben die persönlichen Kontakte auf Distanz oder durch gegenseitige Besuche aus. Es ist nicht ersichtlich, weshalb nicht auch der Beschwerdeführer, der sich nunmehr im entsprechenden Alter befindet, sich sollte verselbständigen können. Allfällige finanzielle Unterstützung kann die Halbschwester von der Schweiz aus gewähren. Die üblichen persönlichen Beziehungen zwischen Geschwistern lassen sich durch briefliche und telefonische Kontakte sowie durch gelegentliche gegenseitige Besuche aufrechterhalten. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Behörden solche Kontakte durch
BGE 120 Ib 257 S. 265
fremdenpolizeiliche Massnahmen behindern werden. Hinweise für eine über das Übliche hinausgehende Abhängigkeit des Beschwerdeführers von seiner Halbschwester liegen nicht vor, selbst wenn das Verhältnis aufgrund der besonderen Ausgangslage enger als üblich sein sollte. c) Daraus ergibt sich, dass die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Halbschwester unabhängig davon, ob es auf den Zeitpunkt der Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder der Urteilsfällung durch das Bundesgericht ankommt, nicht mehr unter dem Schutz von Art. 8
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