118 V 283
35. Auszug aus dem Urteil vom 22. Oktober 1992 i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen S. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
Regeste (de):
- Art. 9 Abs. 1
SR 832.202 Ordinanza del 20 dicembre 1982 sull'assicurazione contro gli infortuni (OAINF)
OAINF Art. 9 Lesioni corporali parificabili ai postumi d'infortunio - Non costituiscono una lesione corporale ai sensi dell'articolo 6 capoverso 2 della legge i danni non imputabili all'infortunio causati alle strutture applicate in seguito a malattia che sostituiscono una parte del corpo o una funzione fisiologica.
- Bei der Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte medizinische Massnahme den gesetzlichen Unfallbegriff erfüllt, kommt der Indikation zum Eingriff keine Rechtserheblichkeit zu.
Regeste (fr):
- Art. 9 al. 1 OLAA: Notion d'accident, facteur extérieur extraordinaire.
- L'indication de l'intervention chirurgicale n'est pas un critère juridiquement pertinent pour juger si un acte médical déterminé répond à la définition légale de l'accident.
Regesto (it):
- Art. 9 cpv. 1 OAINF: Nozione di infortunio, fattore esterno straordinario.
- L'indicazione dell'intervento chirurgico non è criterio giuridico determinante per stabilire se un atto medico determinato risponda alla definizione legale di infortunio.
Erwägungen ab Seite 283
BGE 118 V 283 S. 283
Aus den Erwägungen:
2. a) Gemäss Art. 9 Abs. 1
SR 832.202 Ordinanza del 20 dicembre 1982 sull'assicurazione contro gli infortuni (OAINF) OAINF Art. 9 Lesioni corporali parificabili ai postumi d'infortunio - Non costituiscono una lesione corporale ai sensi dell'articolo 6 capoverso 2 della legge i danni non imputabili all'infortunio causati alle strutture applicate in seguito a malattia che sostituiscono una parte del corpo o una funzione fisiologica. |
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Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen oder Üblichen überschreitet. Ob dies zutrifft, beurteilt sich im Einzelfall, wobei grundsätzlich nur die objektiven Verumständungen in Betracht fallen (BGE 116 V 138 Erw. 3b und 147 Erw. 2a mit Hinweisen). b) Diese Grundsätze zum Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit gelten auch, wenn zu beurteilen ist, ob ein ärztlicher Eingriff den gesetzlichen Unfallbegriff erfüllt. Die Frage, ob eine ärztliche Vorkehr als mehr oder weniger ungewöhnlicher äusserer Faktor zu betrachten sei, ist aufgrund objektiver medizinischer Kriterien zu beantworten. Sie ist nur dann zu bejahen, wenn die ärztliche Vorkehr als solche den Charakter des ungewöhnlichen äusseren Faktors aufweist; denn das Merkmal der Aussergewöhnlichkeit bezieht sich nach der Definition des Unfallbegriffs nicht auf die Wirkungen des äusseren Faktors, sondern allein auf diesen selber. Nach der Praxis ist es mit dem Erfordernis der Aussergewöhnlichkeit streng zu nehmen, wenn eine medizinische Massnahme in Frage steht. Damit eine solche Vorkehr als ungewöhnlicher äusserer Faktor qualifiziert werden kann, muss ihre Vornahme unter den jeweils gegebenen Umständen vom medizinisch Üblichen ganz erheblich abweichen und zudem, objektiv betrachtet, entsprechend grosse Risiken in sich schliessen. Im Rahmen einer Krankheitsbehandlung, für welche der Unfallversicherer nicht leistungspflichtig ist, kann ein Behandlungsfehler ausnahmsweise den Unfallbegriff erfüllen, nämlich wenn es sich um grobe und ausserordentliche Verwechslungen und Ungeschicklichkeiten oder sogar um absichtliche Schädigungen handelt, mit denen niemand rechnet noch zu rechnen braucht. Ob ein Unfall im Sinne des obligatorischen Unfallversicherungsrechts vorliegt, beurteilt sich unabhängig davon, ob der beteiligte Mediziner einen Kunstfehler begangen hat, der eine (zivil- oder öffentlichrechtliche) Haftung begründet. Ebensowenig besteht eine Bindung an eine allfällige strafrechtliche Beurteilung des ärztlichen Verhaltens (RKUV 1988 Nr. U 36 S. 46 f. mit zahlreichen Hinweisen; vgl. auch MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 180 ff.).
3. Im vorliegenden Fall geht aus den Akten, insbesondere den Gutachten der Dres. W. vom 15. Mai 1989 und Sch. vom 22. April 1988, hervor und ist unbestritten, dass für die durchgeführte Carotisangiographie bei richtiger Interpretation der CT-Aufnahmen keine Indikation bestand. Es kann diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen des kantonalen Gerichts verwiesen und festgestellt
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werden, dass die Vornahme der Carotisangiographie medizinisch nicht indiziert war. a) Die Vorinstanz erwog, bei der Beurteilung der Frage, ob die medizinische Massnahme einen ungewöhnlichen äusseren Faktor darstelle, komme der Indikation zum Eingriff eine zentrale Bedeutung zu. Die fehlende Indikation sei bereits ein gewichtiges Indiz für die Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors im Sinne einer erheblichen Abweichung vom medizinisch Üblichen. Es bedürfe anschliessend nur noch eines kleinen, sich realisierenden Risikos, damit der Unfallbegriff erfüllt sei. Es bestehe folglich eine Wechselwirkung zwischen Indikation und Risiko: Je weniger der Eingriff an sich gerechtfertigt sei, desto kleiner seien die Risiken, welche dem Arzt bei dessen Durchführung zugebilligt werden dürften. Erfolge der Eingriff hingegen zu Recht, müssten auch grössere Risiken zugestanden werden. Für die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt stellt die Indikation kein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen der Kranken- und der Unfallversicherung dar. Die medizinische Massnahme sei in der Regel das Ergebnis einer Vielzahl von Entscheidungen über gesundheitsrelevante Fragen. Der Einbezug der Indikation in die unfallversicherungsrechtliche Beurteilung hätte zur Folge, dass jeweils die Krankengeschichte daraufhin analysiert werden müsste, welche Entscheide des medizinischen Personals am Misserfolg einer Behandlung beteiligt sein könnten. Im übrigen setze der Unfallbegriff ein aktives Tun oder Unterlassen des medizinischen Personals voraus. Die Indikation sei nur die innere Begründung für dieses Tun und deshalb für den Unfallbegriff entbehrlich. b) Der Auffassung der Anstalt ist beizupflichten. Damit eine medizinische Massnahme als ungewöhnlicher äusserer Faktor qualifiziert werden kann, muss praxisgemäss ihre Vornahme unter den gegebenen Umständen vom medizinisch Üblichen ganz erheblich abweichen (Erw. 2b). Entscheidend ist mithin, ob der Eingriff als solcher das Begriffsmerkmal der Aussergewöhnlichkeit erfüllt. Dagegen kommt der Indikation (dem "Angezeigtsein") in diesem Zusammenhang weder für sich allein noch im Verein mit anderen Umständen (wie ärztliche Fehlleistungen bei der Durchführung der Massnahme) irgendwelche Bedeutung zu. Bei der Indikation handelt es sich nicht um einen äusseren Faktor, sondern lediglich um den - auf vorgängigen ärztlichen Abklärungen und Erkenntnissen beruhenden - Grund, im Einzelfall ein bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Verfahren zur Anwendung zu bringen. Erweist sich
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die Indikation für einen im Rahmen der Krankheitsbehandlung erfolgten Eingriff im nachhinein als falsch, liegt eine blosse Fehlbehandlung vor. Hierfür hat der Unfallversicherer nicht aufzukommen, es sei denn, die (nicht indizierte) Vorkehr selber überschreite die Schwelle der Aussergewöhnlichkeit.