Urteilskopf

117 V 351

48. Auszug aus dem Urteil vom 20. November 1991 i.S. C. gegen Krankenkassen und Schiedsgericht KVG/UVG des Kantons X
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Erwägungen ab Seite 351

BGE 117 V 351 S. 351

Aus den Erwägungen:

2. Nach ständiger Rechtsprechung werden im Bereich der Sozialversicherung grundsätzlich keine Verzugszinsen geschuldet, sofern sie nicht gesetzlich vorgesehen sind (BGE 113 V 50 Erw. 2a mit Hinweisen; ZAK 1988 S. 260 Erw. 2d, 1987 S. 158 Erw. 6; ARV 1988 S. 85 Erw. 5). Dieser Grundsatz gilt indessen nicht ausnahmslos. So hat das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt Verzugszinsen zugesprochen, wenn "besondere Umstände" vorlagen. Solche Umstände erachtete das Gericht als gegeben bei widerrechtlichen
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oder trölerischen Machenschaften der Verwaltungsorgane (BGE 101 V 118). In BGE BGE 108 V 19 f. Erw. 4b hat es diese Praxis bestätigt und ergänzend festgestellt, für die ausnahmsweise Verzugszinspflicht bedürfe es neben der Rechtswidrigkeit auch eines schuldhaften Verhaltens der Verwaltung (oder einer Rekursbehörde). Dabei hat das Gericht es abgelehnt, die Verzugszinspflicht generell für bestimmte Gruppen von Fällen (etwa gerichtlich festgestellte Rechtsverzögerungen) zu bejahen. Wegleitend dafür war die Überlegung, dass die Auferlegung von Verzugszinsen im Sozialversicherungsrecht nur ausnahmsweise und in Einzelfällen gerechtfertigt ist, bei denen das Rechtsempfinden in besonderer Weise tangiert ist (BGE 113 V 50 Erw. 2a; ZAK 1990 S. 42 Erw. 3). Diese Grundsätze sind auch in schiedsgerichtlichen Forderungsstreitigkeiten aus geltend gemachter Überarztung in der Krankenversicherung zu befolgen (vgl. BGE BGE 103 V 156 Erw. 7), wobei in solchen Fällen bei der Beurteilung des Verzugszinsanspruchs eine über die Folgen verspäteter Zahlung allenfalls getroffene Abmachung zwischen den kompetenten Vertragspartnern zu beachten ist (RKUV 1984 Nr. K 573 S. 82).
3. Gemäss dem auf einem Gesamtgerichtsbeschluss beruhenden Urteil P. vom 4. März 1982 (BGE 108 V 19 f. Erw. 4b) fällt die ausnahmsweise Bejahung der Verzugszinspflicht nicht nur bei einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten der Verwaltung, sondern auch bei einem solchen Gebaren einer Rekursbehörde in Betracht. Diese Rechtsprechung bedarf der Präzisierung. Sind gerichtliche Behörden dafür verantwortlich, dass einer Partei Leistungen oder Forderungen in rechtswidriger Weise übermässig lange vorenthalten werden, kann der Partei daraus ein Schaden entstehen. Dadurch wird unter Umständen ein Staatshaftungsgrund gesetzt. Für den Ausgleich eines solchen Schadens unter dem Rechtstitel "Verzugszins" eine Ausgleichskasse, eine Krankenkasse oder einen anderen Sozialversicherungsträger haftbar zu machen, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Verzögert eine Krankenkasse widerrechtlich und schuldhaft die Auszahlung einer Leistung, ist dieses Verhalten kausal für den dem Versicherten entstehenden Zinsverlust. Lässt sich hingegen ein Gericht eine schwerwiegende Rechtsverzögerung zuschulden kommen, sind auf seiten der Krankenkasse die Voraussetzungen für die Verzugszinspflicht - Rechtswidrigkeit und Verschulden - nicht erfüllt. Die Krankenkasse kann daher nicht für den entstandenen Schaden belangt werden. Die bisherige Rechtsprechung ist daher gemäss Beschluss
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des Gesamtgerichts in dem Sinne zu präzisieren, dass die ausnahmsweise Zusprechung von Verzugszinsen in der Sozialversicherung nur in Betracht fällt, wenn die Verwaltung eine rechtswidrige und schuldhafte Handlung oder Unterlassung begangen hat. Ersatzansprüche, die aus Rechtsverzögerungen oder anderen Handlungen einer gerichtlichen Behörde abgeleitet werden, sind mittels Klage aus Staatshaftung geltend zu machen. Forderungen aus Staatshaftung - gestützt auf das Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes oder auf kantonales Recht - fallen jedoch nicht in die sachliche Zuständigkeit des Eidg. Versicherungsgerichts (BGE 108 V 20 Erw. 4c in fine; vgl. auch BGE 116 V 327).
4. a) Im vorliegenden Fall hatte das Eidg. Versicherungsgericht die Sache mit Urteil vom 22. April 1982 zu weiteren Abklärungen und neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. In der Folge vergingen über fünf Jahre, bis das Schiedsgericht das Verfahren am 17. Juli 1987 mit einer Anfrage an das Konkordat der Schweizerischen Krankenkassen wiederaufnahm. Nachdem das Konkordat sich ausserstande erklärt hatte, diese Anfrage zu beantworten, dauerte es wiederum mehr als eineinhalb Jahre, bis die Beweisabnahme am 28. März 1989 mit einem Gesuch um Bereitstellung von Unterlagen an die Krankenkassen fortgesetzt wurde. Dieser Ablauf zeigt, dass die Verantwortung für die überaus lange Verfahrensdauer beim Schiedsgericht liegt. Für den dem Beschwerdeführer aus dieser Rechtsverzögerung entstehenden Zinsverlust können nach dem Gesagten nicht die Krankenkassen unter dem Titel "Verzugszins" belangt werden. b) Eine gesetzliche Verzugszinsregelung für schiedsgerichtliche Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Ärzten im Sinne von Art. 25 KUVG besteht nicht. Sodann sieht der im vorliegenden Fall massgebende Vertrag zwischen Ärzten und Krankenkassen des Kantons X bei verspäteter Zahlung der Arztrechnungen keine Verzugszinspflicht vor. Der Beschwerdeführer hat somit keinen Anspruch auf Verzugszinsen zu Lasten der Beschwerdegegnerinnen. Allfällige Schadenersatzansprüche hätte er mittels Klage aus Staatshaftung gegen den Kanton X geltend zu machen.
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Document : 117 V 351
Date : 20 novembre 1991
Publié : 31 décembre 1992
Source : Tribunal fédéral
Statut : 117 V 351
Domaine : ATF - Droit des assurances sociales (jusqu'en 2006: TFA)
Objet : Art. 25 et 30bis al. 1 LAMA, art. 85 al. 1 LAVS, art. 69 LAI. Le versement à titre exceptionnel d'intérêts moratoires sur
Classification : Précision de la Jurisprudence


Répertoire des lois
LAI: 69
SR 831.20 Loi fédérale du 19 juin 1959 sur l'assurance-invalidité (LAI)
LAI Art. 69 Particularités du contentieux - 1 En dérogation aux art. 52 et 58 LPGA422,
1    En dérogation aux art. 52 et 58 LPGA422,
a  les décisions des offices AI cantonaux peuvent directement faire l'objet d'un recours devant le tribunal des assurances du domicile de l'office concerné;
b  les décisions de l'office AI pour les assurés résidant à l'étranger peuvent directement faire l'objet d'un recours devant le Tribunal administratif fédéral.424
1bis    La procédure de recours en matière de contestations portant sur des prestations de l'AI devant le tribunal cantonal des assurances est soumise à des frais judiciaires.425 Le montant des frais est fixé en fonction de la charge liée à la procédure, indépendamment de la valeur litigieuse, et doit se situer entre 200 et 1000 francs.426
2    L'al. 1bis et l'art. 85bis, al. 3, LAVS427 s'appliquent par analogie à la procédure devant le Tribunal administratif fédéral.428
3    Les jugements des tribunaux arbitraux cantonaux rendus en vertu de l'art. 27quinquies peuvent faire l'objet d'un recours auprès du Tribunal fédéral, conformément à la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral429.430
LAMA: 25  30bis
LAVS: 85
SR 831.10 Loi fédérale du 20 décembre 1946 sur l'assurance-vieillesse et survivants (LAVS)
LAVS Art. 85
Répertoire ATF
101-V-114 • 103-V-145 • 108-V-13 • 113-V-48 • 116-V-323 • 117-V-351
Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
responsabilité de l'état • assurance sociale • dommage • comportement • intérêt moratoire • décision • pratique judiciaire et administrative • partie au contrat • autorité judiciaire • droit cantonal • machination • compétence ratione materiae • autorité inférieure • loi sur la responsabilité