117 II 166
36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. April 1991 i.S. X. gegen Bank Y. (Berufung)
Regeste (de):
- Art. 974 ff. OR. Rechtsnatur des Sparheftes.
- - Ein Sparheft mit eindeutiger Präsentationsklausel ist als Wertpapier zu qualifizieren (E. 2).
- - Folgerungen aus der Wertpapiereigenschaft eines Sparheftes für die Beurteilung von Auszahlungen, welche die Bank leistet, ohne sich das Heft vorlegen zu lassen (E. 3).
Regeste (fr):
- Art. 974 ss CO. Nature juridique du livret d'épargne.
- - Un livret d'épargne avec clause de présentation claire doit être qualifié de papier-valeur (consid. 2).
- - Conséquences de la qualité de papier-valeur d'un livret d'épargne pour l'appréciation de versements effectués par la banque sans présentation du livret (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 974 segg. CO. Natura giuridica del libretto di risparmio.
- - In un libretto di risparmio che reca un'inequivocabile clausola di presentazione è ravvisabile un titolo di credito (consid. 2).
- - Conseguenze della qualità di titolo di credito di un libretto di risparmio per la valutazione giuridica dei versamenti effettuati dalla banca senza previa presentazione del libretto (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 166
BGE 117 II 166 S. 166
A.- Therese X. besass ein auf sie lautendes Namenssparheft bei der Bank Y. Ihrem Ehemann Ernst X. stand aufgrund einer Vollmacht vom 20. Oktober 1975, die im Sparheft vermerkt war, ebenfalls ein Verfügungsrecht über das Sparguthaben zu. Im Gefolge von Schwierigkeiten in der Ehe verliess Therese X. am 17. Dezember 1988 den gemeinsamen Haushalt, nachdem sie bereits vorher das Sparheft in Sicherheit gebracht hatte. Am 27. Dezember 1988 suchte Ernst X. die Filiale der Bank Y. in Langnau auf und verlangte die Auszahlung von Fr. 10'000.-- zulasten des Sparhefts. Der Betrag wurde ihm ausbezahlt, obwohl er das Sparheft nicht vorweisen konnte. Als Therese X., die vom Geldbezug ihres Mannes keine Kenntnis hatte, im Februar 1989 bei der Filiale der Bank Y. in Spiez vom Sparheft Geld abheben
BGE 117 II 166 S. 167
wollte, erhielt sie die Auskunft, dass es nichts mehr abzuheben gebe. Unter Hinweis auf die für das Sparheft geltenden Geschäftsbedingungen, wonach Auszahlungen nur gegen Vorweisung des Heftes geleistet werden, verlangte Therese X. in der Folge von der Bank Y., dass ihr die Fr. 10'000.-- wieder gutgeschrieben würden. Nach Rücksprache mit ihrem Rechtsdienst kam die Bank Y. dieser Aufforderung nach und verlangte hierauf von Ernst X. die Rückerstattung des ihm ausbezahlten Betrages. Dieser weigerte sich jedoch, die Fr. 10'000.-- zurückzuerstatten. Die Bank Y. erklärte daraufhin die Verrechnung und belastete dem Kreditkonto, das Ernst X. bei ihr unterhielt, für Kapital und Zinsen ihres Rückerstattungsanspruchs Fr. 10'444.15.
B.- Mit Klage vom 5. April 1990 verlangte Ernst X. die Rückerstattung des seinem Kreditkonto belasteten Betrages nebst Zins. Das Handelsgericht des Kantons Bern wies die Klage am 17. August 1990 ab.
C.- Das Bundesgericht weist die vom Kläger eingelegte Berufung ab und bestätigt das handelsgerichtliche Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Das Handelsgericht qualifiziert das Sparheft der Ehefrau des Klägers als ein auf den Namen lautendes Wertpapier im Sinne von Art. 974 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 974 - Ein Wertpapier gilt als Namenpapier, wenn es auf einen bestimmten Namen lautet und weder an Ordre gestellt noch gesetzlich als Ordrepapier erklärt ist. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 965 - Wertpapier ist jede Urkunde, mit der ein Recht derart verknüpft ist, dass es ohne die Urkunde weder geltend gemacht noch auf andere übertragen werden kann. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 90 - 1 Behauptet der Gläubiger, es sei der Schuldschein abhanden gekommen, so kann der Schuldner bei der Zahlung fordern, dass der Gläubiger die Entkräftung des Schuldscheines und die Tilgung der Schuld in einer öffentlichen oder beglaubigten Urkunde erkläre. |
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1 | Behauptet der Gläubiger, es sei der Schuldschein abhanden gekommen, so kann der Schuldner bei der Zahlung fordern, dass der Gläubiger die Entkräftung des Schuldscheines und die Tilgung der Schuld in einer öffentlichen oder beglaubigten Urkunde erkläre. |
2 | Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über Kraftloserklärung von Wertpapieren. |
BGE 117 II 166 S. 168
Sparheftreglement verlange, dass der Kunde für Bezüge das Heft vorlege. Solche Präsentationsklauseln enthielten nach der Verkehrsauffassung nicht bloss eine Aufforderung an den Gläubiger, sondern darüber hinaus eine Zusicherung des Schuldners, nicht ohne Vorlegung des Sparhefts zu leisten, womit sie dieses zum Wertpapier machten (JÄGGI, a.a.O., N. 291 zu Art. 965; JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, Wertpapierrecht, S. 79; GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 7. Auflage 1980, S. 819; GLÜCKSMANN, Die Rechtsnatur der Sparhefte, S. 103 ff.; CHRIST, SPR VII/2, S. 274; GUGGENHEIM, Verträge der Bankpraxis, S. 91). Dem ist beizupflichten. Der Sparheftberechtigte darf aufgrund der Präsentationsklausel darauf vertrauen, dass die Bank ohne Vorweisung des Sparhefts keinerlei Auszahlungen zulasten des Sparguthabens vornimmt. Anders ist einzig zu entscheiden, wenn die Klausel, wonach Auszahlungen nur gegen Vorweisung des Sparhefts erfolgen, durch Zusätze wie "in der Regel" abgeschwächt wird oder wenn sich die Bank im Sparheftreglement ausdrücklich vorbehält, auch ohne Vorweisung des Heftes zu leisten (JÄGGI, Zürcher Kommentar, N. 291 zu Art. 965
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 965 - Wertpapier ist jede Urkunde, mit der ein Recht derart verknüpft ist, dass es ohne die Urkunde weder geltend gemacht noch auf andere übertragen werden kann. |
b) Das vorliegende Sparheft enthält eine unzweideutige, auf der ersten Umschlagsseite abgedruckte Präsentationsklausel, deren Tragweite durch keinerlei Zusätze oder Vorbehalte in Frage gestellt wird. Die Vorinstanz ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass es als Wertpapier zu betrachten ist.
3. Aus dem Wertpapiercharakter des Sparhefts folgt indessen entgegen der Auffassung des Handelsgerichts nicht ohne weiteres, dass die Beklagte nur gegen Vorweisung des Heftes mit befreiender Wirkung leisten konnte. Zahlt der Wertpapierschuldner an den wirklichen Gläubiger oder an dessen Vertreter, so wird er nämlich von seiner Schuld auch dann befreit, wenn er sich die Urkunde nicht vorlegen lässt (JÄGGI, a.a.O., N. 104 zu Art. 966
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 966 - 1 Der Schuldner aus einem Wertpapier ist nur gegen Aushändigung der Urkunde zu leisten verpflichtet. |
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1 | Der Schuldner aus einem Wertpapier ist nur gegen Aushändigung der Urkunde zu leisten verpflichtet. |
2 | Der Schuldner wird durch eine bei Verfall erfolgte Leistung an den durch die Urkunde ausgewiesenen Gläubiger befreit, wenn ihm nicht Arglist oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. |
BGE 117 II 166 S. 169
widerrufen worden. Anders liegen die Dinge allerdings im externen Verhältnis zur Bank. Der Widerruf der Vollmacht ist der Beklagten unbestrittenermassen nicht mitgeteilt worden. Gemäss der Bestimmung von Art. 34 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 34 - 1 Eine durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung kann vom Vollmachtgeber jederzeit beschränkt oder widerrufen werden, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden anderen Rechtsverhältnis, wie Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag, ergeben können.6 |
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1 | Eine durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung kann vom Vollmachtgeber jederzeit beschränkt oder widerrufen werden, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden anderen Rechtsverhältnis, wie Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag, ergeben können.6 |
2 | Ein vom Vollmachtgeber zum voraus erklärter Verzicht auf dieses Recht ist ungültig. |
3 | Hat der Vertretene die Vollmacht ausdrücklich oder tatsächlich kundgegeben, so kann er deren gänzlichen oder teilweisen Widerruf gutgläubigen Dritten nur dann entgegensetzen, wenn er ihnen auch diesen Widerruf mitgeteilt hat. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 34 - 1 Eine durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung kann vom Vollmachtgeber jederzeit beschränkt oder widerrufen werden, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden anderen Rechtsverhältnis, wie Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag, ergeben können.6 |
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1 | Eine durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung kann vom Vollmachtgeber jederzeit beschränkt oder widerrufen werden, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden anderen Rechtsverhältnis, wie Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag, ergeben können.6 |
2 | Ein vom Vollmachtgeber zum voraus erklärter Verzicht auf dieses Recht ist ungültig. |
3 | Hat der Vertretene die Vollmacht ausdrücklich oder tatsächlich kundgegeben, so kann er deren gänzlichen oder teilweisen Widerruf gutgläubigen Dritten nur dann entgegensetzen, wenn er ihnen auch diesen Widerruf mitgeteilt hat. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 966 - 1 Der Schuldner aus einem Wertpapier ist nur gegen Aushändigung der Urkunde zu leisten verpflichtet. |
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1 | Der Schuldner aus einem Wertpapier ist nur gegen Aushändigung der Urkunde zu leisten verpflichtet. |
2 | Der Schuldner wird durch eine bei Verfall erfolgte Leistung an den durch die Urkunde ausgewiesenen Gläubiger befreit, wenn ihm nicht Arglist oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 34 - 1 Eine durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung kann vom Vollmachtgeber jederzeit beschränkt oder widerrufen werden, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden anderen Rechtsverhältnis, wie Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag, ergeben können.6 |
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1 | Eine durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung kann vom Vollmachtgeber jederzeit beschränkt oder widerrufen werden, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden anderen Rechtsverhältnis, wie Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag, ergeben können.6 |
2 | Ein vom Vollmachtgeber zum voraus erklärter Verzicht auf dieses Recht ist ungültig. |
3 | Hat der Vertretene die Vollmacht ausdrücklich oder tatsächlich kundgegeben, so kann er deren gänzlichen oder teilweisen Widerruf gutgläubigen Dritten nur dann entgegensetzen, wenn er ihnen auch diesen Widerruf mitgeteilt hat. |