Urteilskopf

117 Ia 322

51. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Oktober 1991 i.S. B. gegen S., Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus und Kantonsgerichtspräsidium Glarus (staatsrechtliche Beschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 322

BGE 117 Ia 322 S. 322

Am 11. Februar 1988 hiess das Zivilgericht Glarus eine Klage von S. gut und verurteilte B. zur Bezahlung eines grösseren Betrages. Präsident des Zivilgerichts war Hans Rhyner. Am 15. Februar 1990 erstattete B. beim Verhöramt des Kantons Glarus Strafanzeige gegen S. wegen falscher Beweisaussage nach Art. 306
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 306 - 1 Wer in einem Zivilrechtsverfahren als Partei nach erfolgter richterlicher Ermahnung zur Wahrheit und nach Hinweis auf die Straffolgen eine falsche Beweisaussage zur Sache macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer in einem Zivilrechtsverfahren als Partei nach erfolgter richterlicher Ermahnung zur Wahrheit und nach Hinweis auf die Straffolgen eine falsche Beweisaussage zur Sache macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...415
3    Bezieht sich die falsche Äusserung auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind, so ist die Strafe Geldstrafe.416
StGB. Das Verhöramt eröffnete eine Strafuntersuchung gegen S., welche es mit Verfügung vom 11. Februar 1991 wieder einstellte. Eine von B. dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Präsidenten des Kantonsgerichts Glarus, Hans Rhyner, mit Verfügung vom 21. Juni 1991 abgewiesen. B. führt staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichtspräsidiums. Er rügt hauptsächlich eine Verletzung von Art. 58 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
BV und macht geltend, Hans Rhyner hätte in den Ausstand treten müssen, da er sich schon als Präsident des Zivilgerichts mit der Sache befasst habe. Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein.
BGE 117 Ia 322 S. 323

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. c) Ein Richter ist so früh wie möglich abzulehnen. Es verstösst gegen Treu und Glauben, Einwände dieser Art erst im Rechtsmittelverfahren vorzubringen, wenn der Mangel schon vorher hätte festgestellt werden können. Wer den Richter nicht unverzüglich ablehnt, wenn er vom Ablehnungsgrund Kenntnis erhält, sondern sich stillschweigend auf den Prozess einlässt, verwirkt den Anspruch auf spätere Anrufung der verletzten Verfassungsbestimmung (BGE 114 Ia 280 E. e, BGE 114 V 62 E. 2b, BGE 112 Ia 340; vgl. auch BGE 116 Ia 138 E. 2d). Solange aber dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird, welche Personen am Entscheid mitwirken, kann er nicht beurteilen, ob sein verfassungsmässiger Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts und eine unparteiische Beurteilung seiner Sache gewahrt worden ist. Vor allem ist es ihm ohne Kenntnis der personellen Zusammensetzung des Gerichts nicht möglich, Ausstandsgründe zu erkennen und gegebenenfalls geltend zu machen. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters nach Art. 58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
BV umfasst deshalb auch einen Anspruch auf Bekanntgabe der personellen Zusammensetzung der entscheidenden Behörde (BGE 114 Ia 279 E. 3b, BGE 114 V 61 E. 2). Dieser Anspruch bedeutet jedoch nicht, dass die Namen der entscheidenden Richter dem rechtsuchenden Bürger ausdrücklich genannt werden müssen. Der Anspruch ist selbst dann gewahrt, wenn die Namen der entscheidenden Richter dem Betroffenen gar nicht persönlich mitgeteilt werden, sondern einer allgemein zugänglichen Publikation wie etwa einem Staatskalender entnommen werden können (BGE 114 Ia 280 E. c). Ist die Partei durch einen Anwalt vertreten, hat sie auf jeden Fall die ordentliche Besetzung eines Gerichts zu kennen (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 30. April 1991 i.S. G., E. 2; EGLI/KURZ, La garantie du juge indépendant et impartial dans la jurisprudence récente, RJN 1991, S. 21). Der durch einen im Kanton Glarus tätigen Anwalt vertretene Beschwerdeführer musste wissen, dass Hans Rhyner einer der beiden Kantonsgerichtspräsidenten ist und möglicherweise über seine Beschwerde entscheiden würde. Er hätte ihn daher schon mit der Einreichung der Beschwerde ablehnen können. Es fragt sich allerdings, ob ein Richter auch dann schon im voraus abgelehnt werden muss, wenn ein sogenannter Ausschlussgrund vorliegt, der von Amtes wegen zu beachten ist (Fall des
BGE 117 Ia 322 S. 324

judex incapax). Das kann der Fall sein, wenn der Richter selbst Partei ist, oder auch unter gewissen Umständen bei der sogenannten Vorbefassung (vgl. NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 1989, S. 40, Rz. 137; GÉRARD PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, 1987, S. 91, Rz. 380 ff.). Das glarnerische Strafprozessrecht unterscheidet aber nicht zwischen Ausschluss- und Ablehnungsgründen (Art. 3 der Strafprozessordnung des Kantons Glarus vom 2. Mai 1965). Ob die Personalunion zwischen dem Zivilrichter und dem über den gleichen Sachverhalt urteilenden Strafrichter überhaupt als Vorbefassung gelten muss, ist zumindest zweifelhaft. Der Beschwerdeführer durfte daher nicht damit rechnen, dass Hans Rhyner von sich aus in den Ausstand treten würde. Auch unter diesem Gesichtspunkt hätte er schon mit seiner Beschwerde an das Kantonsgerichtspräsidium den Ausstand von Hans Rhyner verlangen müssen. Weil er dies unterliess, kann heute auf sein Ablehnungsbegehren nicht mehr eingetreten werden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 117 IA 322
Datum : 31. Oktober 1991
Publiziert : 31. Dezember 1992
Quelle : Bundesgericht
Status : 117 IA 322
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Art. 58 Abs. 1 BV: Ablehnung eines Richters. Verwirkung des Anspruchs bei verspäteter Geltendmachung. Offengelassen, ob


Gesetzesregister
BV: 58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
StGB: 306
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 306 - 1 Wer in einem Zivilrechtsverfahren als Partei nach erfolgter richterlicher Ermahnung zur Wahrheit und nach Hinweis auf die Straffolgen eine falsche Beweisaussage zur Sache macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer in einem Zivilrechtsverfahren als Partei nach erfolgter richterlicher Ermahnung zur Wahrheit und nach Hinweis auf die Straffolgen eine falsche Beweisaussage zur Sache macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...415
3    Bezieht sich die falsche Äusserung auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind, so ist die Strafe Geldstrafe.416
BGE Register
112-IA-340 • 114-IA-278 • 114-V-61 • 116-IA-135 • 117-IA-322
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ausstand • zivilgericht • staatsrechtliche beschwerde • kenntnis • bundesgericht • sachverhalt • entscheid • zusammensetzung der behörde • richterliche behörde • verurteilter • kantonsgericht • treu und glauben • verwirkung • personalunion • von amtes wegen • garantie des verfassungsmässigen richters • wissen • strafanzeige • strafuntersuchung • weiler