116 Ia 106
20. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. März 1990 i.S. L. gegen Einwohnergemeinde Gretzenbach und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Möglichkeit der nachträglichen Anfechtung der zu Beginn eines Umlegungsverfahrens festgelegten Entschädigungsansätze (E. 2).
- Dauert eine Landumlegung mehrere Jahre und steigen in dieser Zeit die Landpreise erheblich an, so kann als Stichtag für die Bemessung der Entschädigung für Minderzuteilungen und Landabtretungen an öffentliche Werke nicht der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung gewählt werden (E. 3).
- In der Weigerung des Enteignungsrichters, die nötigen Abklärungen zur Bestimmung der Höhe des werkbedingten Vor- oder Nachteils vorzunehmen, liegt ein Verstoss gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Art. 4 et 22ter Cst.; indemnité pour expropriation dans le cadre d'un remaniement parcellaire; date déterminante.
- Possibilité de contester après coup les principes d'estimation fixés dans une procédure de remaniement parcellaire déjà commencée (consid. 2).
- L'ouverture de la procédure ne peut pas être retenue comme date déterminante pour l'estimation de l'indemnité due en raison d'une attribution réduite et pour la cession de terrains en faveur d'ouvrages publics, lorsque le remaniement parcellaire dure depuis plusieurs années et que le prix des terrains a sensiblement augmenté dans l'intervalle (consid. 3).
- Le refus du juge de l'expropriation, de procéder aux investigations nécessaires pour déterminer les plus- ou moins-values provoquées par l'ouvrage, viole l'art. 4 Cst. (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 4 e 22ter Cost.; indennità per espropriazione nel quadro di un raggruppamento di terreni; data determinante.
- Possibilità di contestare successivamente i parametri di stima determinati all'inizio di una procedura di raggrupamento terreni (consid. 2).
- L'apertura della procedura non può essere considerata come data determinante per la stima dell'indennità dovuta a causa di un'attribuzione ridotta e della cessione di terreni a favore di opere pubbliche, ove il raggruppamento terreni duri da molti anni e il prezzo dei terreni sia nel frattempo considerevolmente aumentato (consid. 3).
- Viola l'art. 4 Cost. il rifiuto del giudice dell'espropriazione di procedere agli accertamenti necessari per determinare il maggior o minor valore provocato dall'opera (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 107
BGE 116 Ia 106 S. 107
Anfangs 1983 wurden in der Gemeinde Gretzenbach die Unterlagen für die Baulandumlegung "Grund", so auch das "Reglement über die speziellen Bedingungen", öffentlich aufgelegt. Während der Auflagefrist erhoben mehrere Grundeigentümer beim Gemeinderat Einsprache und gelangten hierauf an den Regierungsrat des Kantons Solothurn, vor dem sie unter anderem geltend machten, dass die im Reglement festgelegte Entschädigung von Fr. 40.--/m2 für Mehr- und Minderzuteilungen sowie für das an das Strassenareal abzutretende Land zu niedrig sei. Der Regierungsrat trat auf diese Rüge nicht ein und überwies die Akten zur Beurteilung der Entschädigungsfrage an die zuständige kantonale Schätzungskommission. Diese sistierte das Verfahren, weil die Unterlagen ihrer Meinung nach für einen Schätzungsentscheid noch nicht genügten, und bestätigte schliesslich, nachdem die Sistierungsverfügung von der Gemeinde Gretzenbach mit Erfolg beim Verwaltungsgericht angefochten worden war, mit Entscheid vom 10. November 1987 den angefochtenen Entschädigungsansatz von Fr. 40.--/m2. Gegen den Entscheid der Schätzungskommission reichte L. beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde ein, das diese mit Urteil vom 13. März 1989 abwies. L. hat den Verwaltungsgerichtsentscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie angefochten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss der solothurnischen Verordnung über Baulandumlegung und Grenzbereinigung vom 10. April 1979 (im folgenden:
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Umlegungs-Verordnung) gliedert sich die Baulandumlegung in die Verfahrensabschnitte Anordnung, Einleitung, Publikation der Grundlagen, Neuzuteilung und Kostenverteilung bzw. Berechnung des Geldausgleichs und der Entschädigungen (§§ 5-23). Als "Grundlagen" sind anschliessend an die Anordnung und Einleitung des Verfahrens der Perimeterplan und die den Altbestand wiedergebenden Verzeichnisse (§ 10 Ziff. 1) sowie das Reglement über die speziellen Bedingungen (Ziff. 2) öffentlich aufzulegen. Die speziellen Bedingungen setzen nach § 11 der Verordnung die "allgemeinen Abzüge, den Verteilungsmassstab, die Bewertung des Altbestandes und die Entschädigung für Mehr- und Minderzuteilungen fest". Über die Landabzüge und die Entschädigungen für Mehr- und Minderzuteilungen wird folgendes bestimmt: "Landabzüge
§ 12. Anhand der Nutzungspläne legt die durchführende Behörde die verhältnismässig auf alle beteiligten Grundstücke zu verteilenden Landabzüge nach folgenden Grundsätzen fest:
a) Landabzüge für gemeinsame Abstell-, Spiel- und Ruheplätze erfolgen ohne Entschädigung. Das Land wird Miteigentum der beteiligten Grundeigentümer.
b) Landabzüge für öffentliche Erschliessungsanlagen und andere öffentliche Bauten und Anlagen erfolgen gegen Entschädigung nach den für die Enteignung geltenden Grundsätzen. Das Land geht in das Eigentum des Gemeinwesens über, für das es bestimmt ist. Wenn das Gemeinwesen das für Erschliessungsanlagen bestimmte Land nicht sofort übernimmt, kann es den Grundeigentümern als gemeinschaftliches Eigentum zugeteilt werden. Entschädigung für Mehr- und Minderzuteilungen
§ 15. Die Entschädigungen für entstehende Mehr- und Minderzuteilungen sind nach den Grundsätzen der Enteignung festzusetzen."
2. Das Verwaltungsgericht hat seinen Entscheid auf § 11 der Umlegungs-Verordnung gestützt und zunächst ausgeführt, dass es bei der Bestimmung der Entschädigungen für Mehr- und Minderwerte sowie für Landabzüge um die vorweg vorzunehmende Festlegung eines Teils der speziellen Bedingungen gehe; würden diese nicht sofort angefochten, so erwüchsen sie in Rechtskraft und könnten in einem späteren Verfahrensstadium nicht mehr in Frage gestellt werden. Hiezu ist - abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall einzig die Entschädigung für den Landabzug umstritten
BGE 116 Ia 106 S. 109
ist und diese in § 11 der Verordnung nicht erwähnt wird - grundsätzlich folgendes zu bemerken: Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung gewährt die Eigentumsgarantie den in ein Landumlegungsverfahren einbezogenen Grundeigentümern einen Anspruch auf Realersatz oder, soweit ein solcher nicht geleistet werden kann, auf Geldausgleich in Höhe des Verkehrswertes, das heisst auf eine volle Entschädigung im Sinne von Art. 22ter
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Das Verwaltungsgericht hat im weiteren aus dem Umstand, dass nach § 11 der kantonalen Umlegungs-Verordnung die Entschädigung für die Mehr- und Minderzuteilungen in den speziellen Bedingungen festzulegen ist, geschlossen, der Zeitpunkt für die Festsetzung der speziellen Bedingungen müsse in jedem Fall auch als Stichtag für die Entschädigungsbemessung gelten. Dabei hat es sich trotz entsprechender Rügen des Beschwerdeführers nicht mit der Frage befasst, ob eine solche Auslegung mit dem Gesetzes- und Verfassungsrecht vereinbar sei.
Nach den oben angeführten §§ 12 und 15 der solothurnischen Landumlegungs-Verordnung sind die Entschädigungen für Landabzüge
BGE 116 Ia 106 S. 110
für öffentliche Erschliessungsanlagen sowie für Mehr- und Minderzuteilungen nach den für die Enteignung geltenden Grundsätzen festzusetzen. Diese Vorschriften entsprechen im wesentlichen § 90 des kantonalen Baugesetzes vom 3. Dezember 1978, wonach Mehr- und Minderzuteilungen durch Geld auszugleichen sind und das Gemeinwesen für das ihm im Landumlegungsverfahren für öffentliche Bauten und Anlagen zugeteilte Land nach den für die Enteignung geltenden Grundsätzen Entschädigung zu leisten hat. Allerdings wird auch in dieser Bestimmung nicht präzisiert, ob die für die formelle oder die für die materielle Enteignung geltenden Grundsätze Anwendung finden sollen. Wie sich im folgenden zeigt, erweist sich der angefochtene Entscheid sowohl im einen als auch im anderen Fall als unhaltbar. a) In den §§ 228-236 des solothurnischen Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 4. April 1954 (EG ZGB), in welchen die formelle Enteignung geregelt wird, wird über den dies aestimandi nichts bestimmt. Anwendbar sind daher direkt die verfassungsmässigen Grundsätze. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird dem verfassungsmässigen Anspruch des Enteigneten auf volle Entschädigung nur Rechnung getragen, wenn der Bewertungs-Stichtag nahe beim Zeitpunkt des Entzugs der enteigneten Rechte liegt. Das Bundesgericht hat daher vor der Einfügung von Art. 19bis in das Bundesgesetz über die Enteignung erklärt, dass die Enteignungsentschädigung grundsätzlich anhand des Verkehrswerts der enteigneten Rechte am Tage des Entscheids der Eidgenössischen Schätzungskommission zu berechnen sei (BGE 89 I 343). Nun ist zwar durch Art. 19bis
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG) EntG Art. 19bis - Massgebend ist der Verkehrswert (Art. 19 Bst. a) im Zeitpunkt des Vorliegens eines vollstreckbaren Enteignungstitels. |
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG) EntG Art. 19bis - Massgebend ist der Verkehrswert (Art. 19 Bst. a) im Zeitpunkt des Vorliegens eines vollstreckbaren Enteignungstitels. |
BGE 116 Ia 106 S. 111
der Eigentumsbeschränkung habe. Diese Regelung stimmt mit der ständigen bundesgerichtlichen Praxis zum Entschädigungsanspruch aus Art. 5 Abs. 2
SR 700 Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz, RPG) - Raumplanungsgesetz RPG Art. 5 Ausgleich und Entschädigung - 1 Das kantonale Recht regelt einen angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen nach diesem Gesetz entstehen. |
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1 | Das kantonale Recht regelt einen angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen nach diesem Gesetz entstehen. |
1bis | Planungsvorteile werden mit einem Satz von mindestens 20 Prozent ausgeglichen. Der Ausgleich wird bei der Überbauung des Grundstücks oder dessen Veräusserung fällig. Das kantonale Recht gestaltet den Ausgleich so aus, dass mindestens Mehrwerte bei neu und dauerhaft einer Bauzone zugewiesenem Boden ausgeglichen werden.13 |
1ter | Der Ertrag wird für Massnahmen nach Absatz 2 oder für weitere Massnahmen der Raumplanung nach Artikel 3, insbesondere Absätze 2 Buchstabe a und 3 Buchstabe abis, verwendet.14 |
1quater | Für die Bemessung der Abgabe ist der bei einer Einzonung errechnete Planungsvorteil um den Betrag zu kürzen, welcher innert angemessener Frist zur Beschaffung einer landwirtschaftlichen Ersatzbaute zur Selbstbewirtschaftung verwendet wird.15 |
1quinquies | Das kantonale Recht kann von der Erhebung der Abgabe absehen, wenn: |
a | ein Gemeinwesen abgabepflichtig wäre; oder |
b | der voraussichtliche Abgabeertrag in einem ungünstigen Verhältnis zum Erhebungsaufwand steht.16 |
1sexies | Die bezahlte Abgabe ist bei der Bemessung einer allfälligen Grundstückgewinnsteuer als Teil der Aufwendungen vom Gewinn in Abzug zu bringen.17 |
2 | Führen Planungen zu Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, so wird voll entschädigt. |
3 | Die Kantone können vorschreiben, dass die Auszahlung von Entschädigungen bei Eigentumsbeschränkungen im Grundbuch anzumerken ist. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
4. Das Verwaltungsgericht hat schliesslich noch erklärt, dem Beschwerdeführer stehe auch deshalb keine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes zur Zeit der Neuzuteilung zu, weil dieser Wert durch die projektierte Landumlegung mitbestimmt worden sei und die Gemeinde für die durch die Landumlegung bewirkte Wertsteigerung nichts zu bezahlen habe. Man könne sich höchstens fragen, ob die Bodenpreise auch ohne die Landumlegung
BGE 116 Ia 106 S. 112
angestiegen wären und dem Grundeigentümer allenfalls diese Wertsteigerung zugute kommen müsse. Diese Frage lasse sich jedoch kaum in seriöser Weise beantworten und führe allzusehr in Hypothesen. Unter diesen Umständen erscheine die von der Schätzungskommission gewählte Lösung, die Entschädigungen aufgrund der Zustände zur Zeit der Auflage der speziellen Bedingungen festzusetzen, als korrekt. Es trifft zu, dass werkbedingte Vor- und Nachteile bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht zu berücksichtigen sind, und dieser Grundsatz, der sich aus dem verfassungsrechtlichen Prinzip der vollen Entschädigung ergibt, auch im kantonalrechtlichen Enteignungsverfahren gilt (BGE 104 Ia 470 ff., BGE 115 Ib 26 E. 5b und dort zitierte Entscheide). Bei der Bestimmung der Landabzugs-Entschädigung darf daher auch im vorliegenden Fall der Verkehrswert des fraglichen Grundstücks am massgebenden Stichtag in dem Masse reduziert werden, als er aufgrund der Vorwirkungen der Landumlegung angestiegen ist. Davon, dass die Bemessung des werkbedingten Vorteils allzu hypothetisch und daher kaum möglich sei, kann indessen keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich bei der Vornahme einer solchen Schätzung um eine fast alltägliche, in der Regel nicht mit erheblichen Schwierigkeiten verbundene Aufgabe des Enteignungsrichters, geht es doch einzig darum, die Preisentwickung der im Umlegungsgebiet liegenden Grundstücke jener von vergleichbaren Parzellen, die nicht ins Verfahren einbezogen worden sind, gegenüberzustellen. Schöpft der Enteignungsrichter bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mittel zur Abklärung der Preisverhältnisse aus, so liegt darin eine Rechtsverweigerung, gleich, wie wenn bei der Neuzuteilung nicht alle vorhandenen technischen Mittel zu Hilfe genommen werden (vgl. BGE 105 Ia 327 E. 2c).