Urteilskopf

115 IV 267

58. Urteil des Kassationshofes vom 18. Oktober 1989 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Y. und O. (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 268

BGE 115 IV 267 S. 268

Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte Y. und O. am 10. Oktober 1986 u.a. gestützt auf Art. 19 Ziff. 2
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
1    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
a  Betäubungsmittel unbefugt anbaut, herstellt oder auf andere Weise erzeugt;
b  Betäubungsmittel unbefugt lagert, versendet, befördert, einführt, ausführt oder durchführt;
c  Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt;
d  Betäubungsmittel unbefugt besitzt, aufbewahrt, erwirbt oder auf andere Weise erlangt;
e  den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln finanziert oder seine Finanzierung vermittelt;
f  öffentlich zum Betäubungsmittelkonsum auffordert oder öffentlich eine Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln bekannt gibt;
g  zu einer Widerhandlung nach den Buchstaben a-f Anstalten trifft.
2    Der Täter wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn er:92
a  weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann;
b  als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelhandels zusammengefunden hat;
c  durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt;
d  in Ausbildungsstätten vorwiegend für Jugendliche oder in ihrer unmittelbaren Umgebung gewerbsmässig Betäubungsmittel anbietet, abgibt oder auf andere Weise zugänglich macht.
3    Das Gericht kann in folgenden Fällen die Strafe nach freiem Ermessen mildern:
a  bei einer Widerhandlung nach Absatz 1 Buchstabe g;
b  bei einer Widerhandlung nach Absatz 2, wenn der Täter von Betäubungsmitteln abhängig ist und diese Widerhandlung zur Finanzierung des eigenen Betäubungsmittelkonsums hätte dienen sollen.
4    Nach den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 ist auch strafbar, wer die Tat im Ausland begangen hat, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird, sofern die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. Ist das Gesetz des Begehungsortes für den Täter das mildere, so ist dieses anzuwenden. Artikel 6 des Strafgesetzbuches93 ist anwendbar.
BetmG zu mehrjährigen Zuchthausstrafen. Dem Schuldspruch lag ein abgehörtes Telefongespräch zugrunde, das Y. mit O. als Gast im Restaurant X. in Zürich geführt hatte. Der Telefonanschluss dieses Restaurants war überwacht worden, weil der dringende Verdacht bestand, dass es als Heroinumschlagplatz diene und der Wirt sowie zwei Geschäftsführer als Händler beteiligt seien. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob dieses Urteil gestützt auf § 104d Abs. 3 StPO/ZH auf, weil diese Bestimmung der Verwertbarkeit von Zufallsfunden bei der Telefonüberwachung entgegenstehe. In Befolgung des kassationsgerichtlichen Entscheides sprach das Obergericht am 30. Dezember 1988 Y. und O. wegen Fehlens anderer Beweise bezüglich der Betäubungsmitteldelikte frei. Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils wegen Verletzung von Art. 249 BStP (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) und Rückweisung der Sache zur Schuldigsprechung. Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab

Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäss Art. 249 BStP besagt, dass die Organe der Strafrechtspflege frei
BGE 115 IV 267 S. 269

von Beweisregeln und nur nach ihrer persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber entscheiden, ob sie eine Tatsache für bewiesen halten (BGE 103 IV 300 E. 1a, BGE 84 IV 174 E. 2; ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., S. 146). Die Beweiswürdigung besteht in der Bewertung der aufgenommenen Beweise nach ihrer Zuverlässigkeit und Richtigkeit. Ist für den Strafprozess die materielle Wahrheit wegleitend, so kann für diese Beurteilung nur die freie, persönliche Meinung des Richters massgebend sein. Allein auf diese Weise kann er ein für jeden Einzelfall zutreffendes Urteil fällen, während ihn die früheren Beweistheorien an Regeln banden, und zwar unabhängig davon, ob das Ergebnis seiner eigenen Überzeugung entsprach oder nicht (so HAUSER, a.a.O; vgl. auch GERARD PIQUEREZ, Précis de procédure pénale suisse, S. 184 und 187/8; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, Zürich 1989, N. 286 und 600).
Aus diesem Sinn und Zweck der freien Beweiswürdigung folgt, dass Art. 249 BStP dem Richter bloss verbietet, bei der Durchführung von Beweisen und der Würdigung erhobener Beweise gesetzlichen Regeln - Beweiserhebungs-, Beweisverwertungsverboten oder Beweisregelungen (vgl. dazu HAUSER, a.a.O., S. 162/3) - zu folgen, welche die eigene Prüfung und Bewertung der Überzeugungskraft der Beweismittel ausschliessen; eine Verletzung von Art. 249 BStP liegt mithin nur vor, wenn bestimmten Beweismitteln im voraus in allgemeiner Weise die Beweiseignung abgesprochen wird oder wenn der Richter im konkreten Fall bei der Würdigung der Beweise im Ergebnis nicht seiner eigenen Überzeugung folgt. Dagegen steht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht Beweisbeschränkungen entgegen, die sich daraus ergeben, dass das kantonale Recht oder übergeordnetes Verfassungs- oder Staatsvertragsrecht aus anderen Gründen als der Beweiseignung, z.B. zur Wahrung schutzwürdiger öffentlicher oder privater Interessen, gewisse Beweismittel nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt (so bereits BGE 97 IV 232 und BGE 84 IV 174 E. 2).
2. Nach § 104d Abs. 3 StPO/ZH dürfen Ergebnisse genehmigter Überwachungsmassnahmen, die mit dem abzuklärenden Sachverhalt in keiner Beziehung stehen, aber auf die Begehung einer anderen Straftat hindeuten, nur dann verwertet werden, wenn auch bezüglich dieser Tat die Voraussetzungen von § 104 Ziff. 1 (Verbrechen oder Vergehen, dessen Schwere oder Eigenart den
BGE 115 IV 267 S. 270

Eingriff rechtfertigt) und 2 (dringender Tatverdacht) oder § 104a (Überwachung von Drittpersonen) gegeben sind. Diese Bestimmung bezweckt nach den Erwägungen im Entscheid des Kassationsgerichtes Zürich den Schutz der Privatsphäre und des Telefongeheimnisses, dem der Zürcher Gesetzgeber den Vorrang eingeräumt habe, wenn er die Verwertbarkeit von Zufallsfunden bei der Telefonüberwachung (§ 104d Abs. 3 StPO) ausgeschlossen habe. Diese Bestimmung des kantonalen Rechts stellt mithin nicht ein Beweisverwertungsverbot mangels Beweiseignung des in Frage stehenden Beweismittels auf. Nach dem oben Gesagten ist eine Verletzung von Art. 249 BStP daher zu verneinen, wenn die Vorinstanz das abgehörte Telefongespräch zwischen Y. und O. bei der Beweiswürdigung unberücksichtigt liess. Ob die Auslegung des kantonalen Rechts durch das Kassationsgericht Zürich vor der Bundesverfassung standhält oder nicht, kann im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde nicht geprüft werden (Art. 269
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
1    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
a  Betäubungsmittel unbefugt anbaut, herstellt oder auf andere Weise erzeugt;
b  Betäubungsmittel unbefugt lagert, versendet, befördert, einführt, ausführt oder durchführt;
c  Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt;
d  Betäubungsmittel unbefugt besitzt, aufbewahrt, erwirbt oder auf andere Weise erlangt;
e  den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln finanziert oder seine Finanzierung vermittelt;
f  öffentlich zum Betäubungsmittelkonsum auffordert oder öffentlich eine Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln bekannt gibt;
g  zu einer Widerhandlung nach den Buchstaben a-f Anstalten trifft.
2    Der Täter wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn er:92
a  weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann;
b  als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelhandels zusammengefunden hat;
c  durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt;
d  in Ausbildungsstätten vorwiegend für Jugendliche oder in ihrer unmittelbaren Umgebung gewerbsmässig Betäubungsmittel anbietet, abgibt oder auf andere Weise zugänglich macht.
3    Das Gericht kann in folgenden Fällen die Strafe nach freiem Ermessen mildern:
a  bei einer Widerhandlung nach Absatz 1 Buchstabe g;
b  bei einer Widerhandlung nach Absatz 2, wenn der Täter von Betäubungsmitteln abhängig ist und diese Widerhandlung zur Finanzierung des eigenen Betäubungsmittelkonsums hätte dienen sollen.
4    Nach den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 ist auch strafbar, wer die Tat im Ausland begangen hat, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird, sofern die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. Ist das Gesetz des Begehungsortes für den Täter das mildere, so ist dieses anzuwenden. Artikel 6 des Strafgesetzbuches93 ist anwendbar.
BStP).
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 115 IV 267
Date : 18. Oktober 1989
Published : 31. Dezember 1989
Source : Bundesgericht
Status : 115 IV 267
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 249 BStP (§ 104d Abs. 3 StPO/ZH). Eine Verletzung von Art. 249 BStP liegt u.a. nur vor, wenn der Richter bei der Beweiswürdigung


Legislation register
BStP: 249  269
BetmG: 19
BGE-register
103-IV-299 • 115-IV-267 • 84-IV-171 • 97-IV-229
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