Urteilskopf

115 IV 239

52. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Dezember 1989 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen O. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 239

BGE 115 IV 239 S. 239

O. näherte sich am 8. Juli 1987 um 08.20 Uhr mit seinem Motorrad der Strassenverzweigung Weiacher-/Dorfstrasse in Pfungen; dabei bemerkte er auf der linken Strassenseite die Fussgängerin K., welche sich anschickte, die Strasse zu überqueren. O. rechnete damit, noch vor der Fussgängerin durchfahren zu können. Plötzlich beschleunigte diese ihre Schritte und begann richtig loszurennen, worauf es trotz sofortiger Vollbremsung von O. zu einer Streifkollision mit der Fussgängerin mit für diese tödlichen Folgen kam.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Besondere Vorsicht im Strassenverkehr ist gemäss Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
1    Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
2    Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird.
SVG gegenüber Kindern, gebrechlichen und alten Leuten geboten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein
BGE 115 IV 239 S. 240

Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. Die gegenüber den erwähnten Personen vorgeschriebene besondere Vorsicht hat zur Folge, dass in diesen Fällen eine Berufung auf das Vertrauensprinzip grundsätzlich selbst dann versagt, wenn keine konkreten Anzeichen vorliegen, dass sich ein Kind, eine gebrechliche oder alte Person unkorrekt verhalten würden (BGE 104 IV 31 E. c, RAPHAEL VON WERRA, Du principe de la confiance dans le droit de la circulation routière) ..., ZWR 4/1970, S. 200). Diese Ausnahme von der Regel, wonach der Fahrzeugführer grundsätzlich nur dann zu besonderen Vorsichtsmassnahmen verpflichtet ist, wenn konkrete Anzeichen ein Fehlverhalten des Fussgängers nahelegen, kann jedoch nicht so weit gehen, dass der Führer beispielsweise angesichts eines Kindes in jedem Fall seine Fahrt verlangsamen und Hupsignale geben müsste; dies ist zumindest innerorts unter anderem nur geboten, wenn das Kind sich auf der Fahrbahn oder am Strassenrand befindet, nicht aber wo es auf dem Trottoir ruhig seines Weges geht (BGE 112 IV 87 f.). Nach RENE SCHAFFHAUSER (Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band 1, S. 118, N. 314) bedarf es gegenüber den im Gesetz aufgezählten Personen umgekehrt besonderer Umstände, um ein allenfalls begrenztes Vertrauen in das ordnungsgemässe Verhalten dieser Strassenbenützer zu rechtfertigen. Die Vorinstanz verletzte Bundesrecht, wenn sie zum Schluss gelangte, dem Beschwerdegegner könne, da sich die Fussgängerin zunächst in normaler, ja eher langsamer Weise angeschickt habe, die Strasse zu überschreiten - auch wenn unterstellt werde, er habe die Fussgängerin sofort als alte Frau erkannt oder erkennen müssen -, keine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit angelastet werden. Nach dem vorstehend Gesagten traf den Beschwerdegegner - vorausgesetzt, er konnte feststellen, dass es sich bei der Fussgängerin um eine alte Frau handle - eine besondere Vorsichtspflicht, unabhängig davon, ob Anzeichen für ein Fehlverhalten der Fussgängerin vorlagen oder nicht. Er durfte aus diesem Grund nicht einfach darauf vertrauen, die Fussgängerin werde die Strasse in gleichbleibendem Tempo überqueren und nach Überqueren der linken Strassenhälfte bei der dortigen Sicherheitslinie anhalten. Wenn der Beschwerdegegner daher nicht ein Warnzeichen gab und/oder so rechtzeitig ein Bremsmanöver einleitete, dass er bei einem schnellen Überqueren auch der rechten Fahrbahn durch die Fussgängerin noch vor ihr anhalten oder links an ihr vorbeifahren konnte, ohne sie zu streifen und zu Fall zu bringen, verletzte er,

BGE 115 IV 239 S. 241

wenn die genannte Voraussetzung erfüllt ist und keine besonderen Umstände vorlagen - seine Sorgfaltspflichten. Das Obergericht Zürich spricht in seinem Urteil nur davon, auch wenn dem Beschwerdegegner "unterstellt" werde, er habe die Fussgängerin sofort als alte Frau erkannt oder erkennen müssen, habe er nicht pflichtwidrig unvorsichtig gehandelt. Damit scheint es die Frage, ob dies rechtsgenüglich erwiesen sei oder nicht, offen zu lassen. Jedenfalls fehlt in dieser Hinsicht eine genügend klare tatsächliche Feststellung, die dem Bundesgericht eine abschliessende Prüfung der Gesetzesanwendung erlauben würde. Dies ist auch in bezug auf allfällige besondere Umstände der Fall, die ein allenfalls begrenztes Vertrauen in das ordnungsgemässe Verhalten der Fussgängerin rechtfertigten. Der angefochtene Entscheid ist daher gemäss Art. 277
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
1    Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
2    Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird.
BStP aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung im Sinne der vorstehenden Erwägungen zurückzuweisen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 115 IV 239
Datum : 04. Dezember 1989
Publiziert : 31. Dezember 1989
Quelle : Bundesgericht
Status : 115 IV 239
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 26 Abs. 2 SVG; Art. 117 StGB; Vertrauensgrundsatz. Nur besondere Umstände können, wegen der gegenüber den in Art. 26


Gesetzesregister
BStP: 277
SVG: 26
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
1    Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
2    Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird.
StGB: 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
BGE Register
104-IV-28 • 112-IV-87 • 115-IV-239
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
verhalten • beschwerdegegner • sorgfalt • richtigkeit • vorinstanz • betagter • entscheid • strassenverkehrswesen • begründung des entscheids • strasse • norm • sachverhalt • innerorts • frage • motorrad • bundesgericht • uhr • kassationshof • trottoir
ZWR
S.200