115 Ib 238
34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Juli 1989 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen M. X. und Kantonales Steuergericht Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 21 Abs. 1 lit. c
und d BdBSt: Steuerfreier Kapitalgewinn oder Vermögensertrag?
- Überträgt ein Aktionär Aktien zu einem über dem Nennwert liegenden Anrechnungswert auf eine von ihm beherrschte Gesellschaft, erzielt er einen steuerbaren Vermögensertrag (Bestätigung der Rechtsprechung: E. 2-7).
Regeste (fr):
- Art. 21 al. 1 let. c et d AIFD: Gain en capital non imposable ou revenu de la fortune?
- Lorsqu'un actionnaire transfère des actions pour une valeur comptable supérieure à leur valeur nominale auprès d'une société qu'il domine, il obtient un revenu imposable de sa fortune (confirmation de la jurisprudence: consid. 2-7).
Regesto (it):
- Art. 21 cpv. 1 lett. c e d DIFD: Profitto in capitale non imponibile o reddito derivante dalla sostanza?
- Ove un azionista trasferisca azioni per un valore contabile superiore a quello nominale presso una società da lui dominata, egli consegue un reddito imponibile derivante dalla sua sostanza (conferma della giurisprudenza: consid. 2-7).
Sachverhalt ab Seite 239
BGE 115 Ib 238 S. 239
Im Dezember 1980 schlossen Frau H. N. und ihre beiden Söhne M. und P. X. "zwecks gemeinsamer Interessenwahrung sowie einheitlicher Vertretung der Aktien insbesondere im Hinblick auf eine Einsitznahme im Verwaltungsrat der K. AG" mit der S. Holding AG, deren Aktien voll M. X. gehörten, einen Kaufvertrag ab. Danach übertrugen H. N. 120 Aktien der K. AG und ihre beiden Söhne M. und P. X. je 490 Aktien der K. AG mit einem Nennwert von je Fr. 500.-- per 1. Januar 1981 zu einem Preis von Fr. ... (höher als der Nennwert) pro Aktie auf die S. Holding AG. Der Kaufpreis wurde wie folgt beglichen: H. N. erhielt 4 Aktien der S. Holding AG im Nominalwert von je Fr. ... . Der Restkaufpreis von Fr. ... wurde in ein Darlehen an die S. Holding AG umgewandelt. M. und P. X. erhielten je 98 Aktien der S. Holding AG; die Kaufpreisrestbeträge wurden in Darlehen von je Fr. ... umgewandelt. Die S. Holding AG wurde in der Folge in N. Holding AG umbenannt. Die Veranlagungsbehörde erfasste bei der Einschätzung von M. X. für die direkte Bundessteuer 1983/84 einen Ertrag aus Beteiligung im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. c
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Erwägungen
Erwägungen:
2. a) Gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. c
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BGE 115 Ib 238 S. 240
werden". Als Gewinnanteile aus Beteiligungen gelten nach Art. 21 Abs. 1 lit. c
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Nach neuerer, indessen gefestigter Praxis des Bundesgerichts erzielt auch ein Aktionär eine steuerbare geldwerte Leistung aus seiner Beteiligung, wenn er seine Beteiligungsrechte zu einem über dem Nominalwert liegenden Wert gegen Gutschrift auf einem Aktionärsdarlehenskonto und/oder als Sacheinlage gegen Ausgabe neuer Aktien in eine von ihm beherrschte andere Gesellschaft, beispielsweise eine Holdinggesellschaft, einbringt (vgl. ASA 55 206 ff., insbes. S. 210, mit weiteren Hinweisen und unten E. 3c und d). b) Der Bundesratsbeschluss über die direkte Bundessteuer regelt - wie die kantonalen Steuergesetze - die Besteuerung der Veräusserungsgewinne unterschiedlich: Kapitalgewinne, die im Betriebe einer zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichteten Unternehmung bei der Veräusserung oder Verwertung von Vermögensstücken erzielt werden (Art. 21 Abs. 1 lit. d
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BGE 115 Ib 238 S. 241
3. a) Im vorliegenden Fall ist umstritten, ob der Beschwerdegegner M. X. einen steuerfreien Gewinn aus der Veräusserung der zu seinem Privatvermögen gehörenden Aktien erzielte oder ob ihm eine steuerbare geldwerte Leistung aus seiner Beteiligung zugeflossen ist. Der Entscheid darüber hängt zunächst davon ab, ob die Übertragung der 490 Aktien der K. AG auf die S. Holding AG als Veräusserung zu gelten habe oder nicht. b) Wie das Bundesgericht wiederholt erkannt hat, ist Art. 21 Abs. 1 lit. c
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c) Bringt ein Aktionär - wie dargestellt - gesellschaftliche Beteiligungsrechte zu einem über ihrem Nominalwert liegenden Anrechnungswert in eine ihm gehörende Aktiengesellschaft gegen Aktien der übernehmenden Gesellschaft oder eine Gutschrift auf einem Aktionärsdarlehenskonto ein, so erzielt er keinen steuerfreien Veräusserungsgewinn auf seinem Privatvermögen. Steuerfrei bleiben kann nur der durch eine eigentliche Veräusserung - im wirtschaftlichen Sinne verstanden - erzielte Gewinn (HANS DUBS, a.a.O., S. 580; ASA 55 209 E. 3a). Die Übertragung auf die vom Aktionär beherrschte Aktiengesellschaft stellt aus wirtschaftlicher Sicht keine Aktienveräusserung dar. Der Aktionär gibt mit ihr seine wirtschaftliche Verfügungsmacht nicht preis; sie bleibt ihm vielmehr in Form seiner Beteiligung an der Holdinggesellschaft erhalten (ASA 55 210 E. 3a; BGE 101 Ib 46 ff. E. 2; ASA 42 398 E. 2; REICH, Verdeckte Vorteilszuwendungen zwischen verbundenen Unternehmen, ASA 54 S. 629 Anm. 54). Der Vermögenszufluss ist kausal auf das Halten und nicht auf die
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Veräusserung von Beteiligungsrechten zurückzuführen (REICH, Die steuerneutrale Reserveübertragung bei Unternehmensumstrukturierungen - neuere Entwicklungen und Tendenzen, in: Das schweizerische Steuerrecht. Eine Standortbestimmung. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ferdinand Zuppinger, 1989, S. 384 f.). d) Mit der Einbringung der Aktien in die von ihm beherrschte Gesellschaft erwirbt der Aktionär anstelle seines in den bisherigen Beteiligungsrechten enthaltenen latenten Anspruchs auf Ausschüttung von nicht zum Grundkapital gehörenden Gesellschaftsmitteln (Reserven, thesaurierte Gewinne) andere Beteiligungsrechte mit einem höheren Nennwert und/oder eine Darlehensforderung. Die Rückzahlung der bestehenden Kapitalanteile (Nennwert der Aktien) und des Darlehens löst beim Aktionär keine Einkommenssteuerpflicht aus (Art. 21 Abs. 1 lit. c
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Würden solche Einkünfte nicht als geldwerte Leistungen aus Beteiligung erfasst, wäre der Weg zur steuerfreien Ausschüttung von laufenden oder gespeicherten Gewinnen (auch von solchen, die die Holdinggesellschaft unter Ausnützung des Holdingprivileges von der eingebrachten Gesellschaft bezogen hat) an den Aktionär offen (ASA 55 212 E. 4c; BGE 101 Ib 49 /50 E. 3c) und die vom Gesetzgeber in Art. 21 Abs. 1 lit. c
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BGE 115 Ib 238 S. 243
4. Die Lehre und teilweise auch kantonale Steuerjustizbehörden haben die Auslegung des Bundesgerichts von Art. 21 Abs. 1 lit. c
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BGE 115 Ib 238 S. 244
jedoch im Gegenzug zur weitgehenden Sicherung der wirtschaftlichen Doppelbelastung von juristischen Personen und Inhabern gesellschaftlicher Beteiligungsrechte den Beteiligungsertrag in Art. 21 Abs. 1 lit. c
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5. a) Die Vorinstanz begründet ihr Abweichen von der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit "durchschlagenden" neuen Erkenntnissen der Lehre. Gemeint sind u.a. die Überlegungen von BRUNO SCHERRER in seinem Aufsatz "Zur Auslegung des Begriffes 'Gewinnanteile aus Beteiligungen' in Art. 21 Abs. 1 lit. c
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BGE 115 Ib 238 S. 245
Sinne der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit (HANS DUBS, Die Forderung der optimalen Bestimmtheit belastender Rechtsnormen, ZSR NF 93/1974, 2. Halbband, S. 223 ff.). Je komplexer der Sachverhalt, desto offener wird der Ausgang des Verfahrens sein, was indessen kein Grund ist, von der als gesetzmässig erkannten Lösung abzuweichen. Gewiss darf weder durch die Steuergesetzgebung noch durch die Steuerjustiz die Rechtssicherheit derart herabgesetzt werden, dass der Steuerpflichtige die Grenzen der Steuerbelastung nicht mehr zu überblicken vermag (JACOB WACKERNAGEL, Über das Vertrauensprinzip im Steuerrecht, in: Aequitas und bona fides, Festschrift für August Simonius, Basel 1955, S. 411 ff.). c) Hievon kann vorliegendenfalls nicht die Rede sein, auch wenn die geltende Rechtsprechung möglicherweise zu noch nicht voll überblickbaren Differenzierungen führt, über deren Beurteilung durch die Steuerbehörden noch Unsicherheit besteht. Die Vermögensertragssteuerpflicht im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. c
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6. a) Die Vorinstanz hat das Vorliegen einer als Beteiligungsertrag steuerbaren Leistung sodann mit der Begründung abgelehnt, dem Beschwerdegegner stehe keine beherrschende Beteiligung an der S. Holding AG zu. Er besitze nach der Einbringung der insgesamt 1100 Aktien der K. AG - wie sein Bruder - nur 49% der S. Holding AG-Aktien. Unbestritten ist, dass dem Beschwerdegegner vor der Übertragung der Aktien der K. AG alle Aktien der Holdinggesellschaft
BGE 115 Ib 238 S. 246
zu Eigentum zustanden. Mit der Einbringung dieser Aktien änderten sich die Beteiligungsverhältnisse an der S. Holding AG. Die Beschwerdeführerin vertritt den Standpunkt, auch wenn nicht auf die Verhältnisse vor der Einbringung abzustellen wäre, habe der Beschwerdegegner die S. Holding AG beherrscht, denn entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei das Motiv des Vertragsabschlusses zu berücksichtigen. Das Verhalten des Beschwerdegegners lasse sich nur mit der Absicht von Frau H. N. und ihrer beiden Söhne M. und P. X. erklären, ihren Einfluss bei der K. AG durch die Zusammenlegung ihrer Aktien verstärkt geltend zu machen.
b) Eine Besteuerung des Einkommenszuflusses bei der Vermögensumstrukturierung kommt nach Art. 21 Abs. 1 lit. c
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c) Durch eine Minderheitsbeteiligung kann sich ein Aktionär zwar regelmässig keine beherrschende Stellung verschaffen; doch können ausnahmsweise besondere Verhältnisse vorliegen, aufgrund derer dennoch eine Beherrschung der Gesellschaft angenommen werden muss. Eine solche Beherrschung kann namentlich dann gegeben sein, wenn mehrere Aktionäre, die jeder nur eine Minderheitsbeteiligung innehaben, zur Erreichung eines im Interesse aller liegenden Zieles zusammenwirken. Wären lediglich die im Eigentum des Beschwerdegegners stehenden 490 Aktien K. AG auf die S. Holding AG zu den gleichen Bedingungen wie im Kaufvertrag vom Dezember 1980 übertragen worden, so wären auch die Beteiligungsverhältnisse unverändert geblieben. Der Beschwerdegegner wäre nach wie vor Alleinbeherrscher der S. Holding AG. Diese Transaktion hätte aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtes eine Vermögensertragssteuerpflicht ausgelöst. Die Mitwirkung von H. N. und von P. X. diente - wie dies auch ausdrücklich im Kaufvertrag festgehalten wurde - der verstärkten Einflussnahme der drei Aktionäre auf die K. AG, insbesondere im Hinblick auf die Einsitznahme in den Verwaltungsrat dieser Gesellschaft. Die Aktionäre haben die 1100 Aktien der K. AG aufgrund einer gemeinsamen Vereinbarung
BGE 115 Ib 238 S. 247
"uno actu" in die von ihnen vollständig beherrschte S. Holding AG eingebracht. Der Beschwerdegegner verfügt kraft der durch das Zusammenwirken mit den anderen Aktionären sich ergebenden beherrschenden Stellung durch seinen Anteil an der S. Holding AG bzw. N. Holding AG wirtschaftlich nach wie vor über die von ihm eingebrachten 490 Aktien der K. AG. Die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die eingebrachten Aktien hat sich durch die Einbringung nicht verändert. Eine solche wirtschaftlich orientierte Betrachtung ist im Steuerrecht nicht neu. So wird im Grundstückgewinnsteuerrecht in der Regel die Übertragung einer Minderheitsbeteiligung an einer Immobiliengesellschaft nicht als wirtschaftliche Handänderung besteuert. Werden indessen mehrere Minderheitsbeteiligungen an einer Immobiliengesellschaft, die zusammen eine beherrschende Beteiligung ergeben, aufgrund besonderer Abreden gesamthaft veräussert und erworben, so wird die Übertragung dieser beherrschenden Beteiligung als wirtschaftliche Handänderung besteuert (vgl. REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, a.a.O., N. 65 zu § 161 StG, mit Hinweis). d) Die Besteuerung als Beteiligungsertrag (Vermögensertrag) erfolgt in den Einbringungsfällen aufgrund der Umstrukturierung des Vermögens. Ausschlaggebend ist dabei, dass thesaurierte Gewinne zugunsten der Beteiligten in steuerfrei rückzahlbares Grundkapital oder in ebenfalls steuerfrei rückzahlbares Guthaben umgewandelt wurden (vgl. oben E. 3d) und die Transaktion aufgrund der beherrschenden Stellung des oder bei gemeinsamem Vorgehen der Beteiligungsinhaber möglich war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, was zu einer grundsätzlichen Gutheissung der Beschwerde führt.
7. a) Der Beschwerdegegner hat für den Fall einer grundsätzlichen Gutheissung der Beschwerde den Antrag gestellt, es sei bei der Berechnung des steuerbaren Beteiligungsertrages von den Anlagekosten der eingebrachten Beteiligung auszugehen: für 270 Aktien sei auf den Steuerwert 1969 und für 220 Aktien auf den Steuerwert 1975 abzustellen. Subeventualiter verlangt er ein Abstellen auf den Steuerwert 1961. Die Beschwerdeführerin hingegen vertritt die Meinung, das steuerbare Einkommen sei aufgrund der Differenz zwischen dem Nominalwert der eingebrachten Beteiligung und dem Anrechnungswert (Einbringungspreis), der unbestrittenermassen Fr. ... pro Aktie beträgt, zu ermitteln.
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b) Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid vom 19. April 1985 (ASA 55 213 E. 6) den steuerbaren Vermögensertrag nach Massgabe der Differenz zwischen dem Nominalwert der eingebrachten Aktien und dem Einbringungspreis berechnet. Die Eidgenössische Steuerverwaltung nahm diesen Entscheid zum Anlass, um in Änderung ihrer bisherigen Praxis generell für die Bemessung der mit der Einbringung erbrachten geldwerten Leistung vom Nominalbetrag auszugehen. Das Bundesgericht hat freilich im Urteil vom 19. April 1985 die Frage offengelassen, wie der steuerbare Vermögensertrag zu ermitteln wäre, falls die effektiven Anlagekosten der eingebrachten Aktien über deren Nominalwert liegen würden. Diese Frage braucht auch im vorliegenden Fall nicht abschliessend beantwortet zu werden. Immerhin ist festzuhalten, dass sich die Bemessung des steuerbaren Vermögensertrages nach Massgabe der Differenz zwischen den Anlagekosten und dem "Erlös" an die für Kapitalgewinne geltenden Grundsätze anlehnt. Diese Berechnung widerspricht den Überlegungen, die der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu Art. 21 Abs. 1 lit. c
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BGE 115 Ib 238 S. 249
nächsten Veräusserung ohne Steueraufschub auf den Einstandswert des Vorgängers abzustellen. Der Steueraufschub ist ein Rechtsinstitut, das auf die Kapitalgewinnbesteuerung ausgerichtet ist und für die Ermittlung des Vermögensertrages - um den es hier geht - nicht in Frage kommen kann.