114 IV 124
35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Juli 1988 i.S. X. gegen Y. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 217
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 217 - 1 Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1 Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. 2 Das Antragsrecht steht auch den von den Kantonen bezeichneten Behörden und Stellen zu. Es ist unter Wahrung der Interessen der Familie auszuüben. - Die Betätigungsfreiheit entbindet einen Künstler nicht von der Pflicht, neben einer künstlerischen Tätigkeit, die seinen eigenen Notbedarf nur ungenügend deckt, in dem Umfang einer ihm zumutbaren entgeltlichen Tätigkeit nachzugehen, dass er seine familienrechtlichen Verpflichtungen erfüllen kann.
Regeste (fr):
- Art. 217 CP; violation d'une obligation d'entretien.
- Le droit d'exercer l'activité de son choix ne dispense pas l'artiste de rechercher, à côté de l'activité artistique, qui ne lui permet de satisfaire qu'imparfaitement ses besoins essentiels, une activité rémunérée que l'on peut raisonnablement attendre de lui, dans la mesure qui lui est nécessaire pour s'acquitter des obligations que lui impose le droit de famille.
Regesto (it):
- Art. 217 CP; trascuranza dei doveri di assistenza familiare.
- Il diritto di esercitare un'attività di sua scelta non dispensa l'artista dallo svolgere, oltre l'attività artistica che non gli consente di soddisfare sufficientemente i suoi bisogni essenziali, un'attività lucrativa che possa essere da lui ragionevolmente pretesa, nella misura necessaria per adempiere gli obblighi impostigli dal diritto di famiglia.
Erwägungen ab Seite 124
BGE 114 IV 124 S. 124
Aus den Erwägungen:
3. b) Der Beschwerdeführer hat unstrittig weniger geleistet, als er gemäss Vergleich und Urteil hätte leisten müssen. Bestraft werden kann er nur, wenn es ihm möglich gewesen wäre, mehr zu leisten, und wenn er überdies seiner Pflicht trotz dieser Möglichkeit aus bösem Willen nicht nachgekommen ist. aa) Für die Periode von August 1985 bis Ende 1986 geht die Vorinstanz davon aus, der Beschwerdeführer habe nicht einmal für sich selbst genügend verdient. Sie nimmt jedoch an, er sei verpflichtet gewesen, neben seiner künstlerischen Tätigkeit eine Stelle anzunehmen, die ihm ein ständiges Einkommen in der Höhe gesichert hätte, dass er seinen familienrechtlichen Verpflichtungen hätte nachkommen können. Sie bejaht überdies die Möglichkeit, eine derartige Stelle anzunehmen. Der Unterhaltspflichtige muss in einem Umfang einer entgeltlichen Tätigkeit nachgehen, dass er seine Unterhaltspflichten erfüllen kann. Gegebenenfalls muss er sogar seine Stelle oder seinen Beruf wechseln, wobei diese Pflicht durch den generellen Gesichtspunkt der Zumutbarkeit begrenzt ist. So wird man etwa bei einem Feinmechaniker oder einem Pianisten kaum verlangen können,
BGE 114 IV 124 S. 125
dass er eine berufsfremde Tätigkeit mit schwerer körperlicher Belastung übernimmt, wenn dadurch etwa das Feingefühl seiner Hände und damit die Möglichkeit, später wieder im angestammten Beruf zu arbeiten, beeinträchtigt würde. Das Recht auf freie berufliche Tätigkeit, auf welches der Beschwerdeführer hinweist, wird beschränkt durch die Pflicht des Unterhaltspflichtigen, für seine Familie aufzukommen (vgl. DIPPEL, Leipziger Kommentar, 10. Aufl., N 45 und SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Strafgesetzbuch Kommentar, 22. Aufl., N 21, je zu § 170b dStGB). Dem Beschwerdeführer gelingt es offensichtlich mit seiner künstlerischen Tätigkeit nicht, ein Einkommen zu erzielen, das ihm die Erfüllung seiner familienrechtlichen Pflichten ermöglichen würde. Zu Unrecht beruft er sich deshalb auf seine Freiheit, den Beruf zu wählen und auszuüben, der ihm gefällt. Die Pflicht, für die geschiedene Frau und die Kinder in angemessenem Masse aufzukommen, geht jedenfalls dann, wenn diesen keine anderen ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen, der Betätigungsfreiheit des Beschwerdeführers vor. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn, wie auch die Vorinstanz annimmt, bereits durch die Übernahme einer regelmässigen Nebenbeschäftigung die Bezahlung der Unterhaltsbeiträge gesichert werden könnte. Nicht nur Künstler, sondern viele Bürger müssen, um sich und ihren Angehörigen den Lebensunterhalt zu verdienen, einer Betätigung nachgehen, die ihnen nicht oder nicht durchwegs behagt und die es ihnen verunmöglicht oder erschwert, sich gemäss ihren Neigungen zu betätigen. Ob jemand, der seit Jahren ausschliesslich einer künstlerischen Tätigkeit nachgegangen ist, verhalten werden könnte, diese völlig aufzugeben, was im Hinblick auf das ihm zustehende Grundrecht der persönlichen Freiheit problematisch sein könnte, braucht hier nicht weiter diskutiert zu werden, da der Beschwerdeführer selbst nicht geltend macht, dass die Übernahme einer zur Erfüllung seiner familienrechtlichen Pflichten ausreichenden Tätigkeit eine Weiterführung seiner künstlerischen Betätigung ausschliessen würde. Ausstellungen im Ausland sind jedenfalls kein ausreichender Grund, von der Übernahme einer regelmässigen Tätigkeit in der Schweiz abzusehen.