113 IV 108
30. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 13. Oktober 1987 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
Regeste (de):
- Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr. 2 Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits. - 1. Der Gerichtsstand hängt nicht davon ab, was dem Angeschuldigten schliesslich nachgewiesen werden kann, sondern bestimmt sich danach, was aufgrund der Aktenlage überhaupt in Frage kommt (E. 1).
- 2. In casu Verdacht der Gehilfenschaft zu Raub bejaht (E. 2).
Regeste (fr):
- Art. 350 ch. 1 al. 1 CP.
- 1. Le for ne dépend pas de ce qui sera finalement retenu à la charge de l'accusé, mais bien des griefs qui peuvent lui être faits sur la base du dossier (consid. 1).
- 2. Cas d'espèce où le grief de complicité de brigandage est admis (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 350 n. 1 cpv. 1 CP.
- 1. Il foro non dipende dai reati che saranno posti finalmente a carico dell'imputato, bensì dai reati che possono entrare in linea di conto in base allo stato degli atti (consid. 1).
- 2. Fattispecie in cui è accertato che entra in considerazione l'imputazione di complicità in rapina (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 108
BGE 113 IV 108 S. 108
L. wird im Kanton Bern wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, u.a. begangen durch Verkauf von insgesamt ca. 70 g Kokain, wegen Verletzung von Verkehrsregeln sowie wegen Sachentziehung verfolgt. Erste Ermittlungen wegen der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sind im Juli 1986 im Kanton Solothurn vorgenommen worden, während die Kantonspolizei Bern sich erst seit September 1986 mit der Sache befasst. Umstritten ist, ob sich L. durch den Verkauf von Waffen und Munition der Gehilfenschaft bei einem am 4. März 1987 im Kanton Aargau verübten Raub schuldig gemacht habe, bei welchem diese Waffen verwendet wurden; eine Strafuntersuchung ist bis dahin im Kanton Aargau nicht eingeleitet worden. Der Generalprokurator des Kantons Bern ersucht mit Eingabe vom 11. September 1987, die Behörden des Kantons Solothurn für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die L. vorgeworfenen strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
BGE 113 IV 108 S. 109
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beantragt, die Behörden des Kantons Aargau zuständig zu erklären. Die ebenfalls zur Vernehmlassung aufgeforderte Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau schliesst sich dem vom Generalprokurator des Kantons Bern gestellten Begehren an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Die Gesuchsgegnerin bestreitet ihre Zuständigkeit mit dem Einwand, es bestehe nach der Aktenlage der Verdacht, L. habe sich durch den Verkauf von zwei Schusswaffen und Munition der Gehilfenschaft zu qualifiziertem Raub schuldig gemacht, der mit schwererer Strafe bedroht ist als die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Gehilfenschaft liegt vor, wenn zu einem Verbrechen oder zu einem Vergehen vorsätzlich Hilfe geleistet wird (Art. 25
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 25 - Wer zu einem Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich Hilfe leistet, wird milder bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 25 - Wer zu einem Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich Hilfe leistet, wird milder bestraft. |
2. Nach den übereinstimmenden Aussagen von L. und den drei am Raubüberfall Beteiligten ist dieser um drei Schusswaffen,
BGE 113 IV 108 S. 110
wovon eine mit Schalldämpfer, sowie Munition angegangen worden. R. verlangte nach der Darstellung von O. eine grosse Waffe, eine solche, welche Eindruck erwecke. Wie P. aussagte, gab L. ihnen den Rat, falls sie die Waffen für etwas Schlimmes verwenden wollten, deren Nummern wegzumachen, was er für sie tat, als sie das wünschten; er soll sie zudem ermahnt haben, vorsichtig mit den Waffen zu sein, da er sie ihnen beschafft habe und somit hineingezogen werden könnte. P. vermutete, L. habe geahnt, dass sie einen Überfall vorhatten, obwohl wahrscheinlich nicht von einem solchen gesprochen worden sei. P., den L. aus dem Drogengeschäft kannte, war gemäss übereinstimmender Darstellung sowenig wie die beiden anderen in der Lage, den Kaufpreis der Waffen zu bezahlen; es wurden statt dessen zwei Ringe verpfändet.
L. behauptet, von dem geplanten Überfall nichts gewusst zu haben, was von R. und O. in ihren ergänzenden Abhörungen bestätigt wurde. Trotzdem erweist sich der Verdacht, L. könnte sich auch subjektiv der Gehilfenschaft beim qualifizierten Raubüberfall schuldig gemacht haben, aufgrund der angeführten Aussagen nicht von vornherein als haltlos (BGE 98 IV 63 E. 2 mit Hinweisen); davon ging bereits die Kantonspolizei Bern aus, als sie um eine nochmalige, eingehende Befragung der drei am Überfall Beteiligten ersuchte. Wenn für jeden derselben eine Schusswaffe mit Munition begehrt wurde, eine davon einen Schalldämpfer aufweisen sollte, von einem ferner eine grosse, Eindruck erweckende Waffe bevorzugt war, und sie den Kaufpreis nicht zu bezahlen vermochten, so war für L. die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass sie in Geldnot stecken, gemeinsam handeln, den Widerstand von Personen mit Waffen brechen und schiessen könnten, um zu Geld zu gelangen; er rechnete offenbar auch damit, als er die Nummern der Waffen wegmachte, was er selber für den Fall angeraten hatte, dass sie etwas Schlimmes vorhaben sollten. Von den dreien hatte P. durch den Drogenhandel, aus dem ihn L. kannte, seine Delinquenzbereitschaft bereits erkennbar gezeigt. L. wusste damit um die wesentlichen Merkmale einer bestimmten Tat, nämlich eines qualifizierten, unter Offenbarung besonderer Gefährlichkeit (BGE 110 IV 79 E. 3) oder unter Schaffung einer Lebensgefahr für das Opfer (BGE 112 IV 17 E. 2a mit Hinweisen) begangenen Raubes gemäss Art. 139 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 139 - 1. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | ...197 |
3 | Der Dieb wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wenn er: |
a | gewerbsmässig stiehlt; |
b | den Diebstahl als Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von Raub oder Diebstahl zusammengefunden hat; |
c | zum Zweck des Diebstahls eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt oder eine Explosion verursacht; oder |
d | sonst wie durch die Art, wie er den Diebstahl begeht, seine besondere Gefährlichkeit offenbart.198 |
4 | Der Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt. |
BGE 113 IV 108 S. 111
er Waffen und Munition, wiewohl er mit einer derartigen Verwendung rechnete, so liegt die Annahme vorsätzlichen Handelns auf der Hand. Die vom Gesuchsteller und der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau vertretene Auffassung, eine Gehilfenschaft sei nach der Aktenlage aus rechtlichen Gründen auszuschliessen, weil L. weder einen bestimmten Geschehensablauf noch die Art einer konkreten Tat habe voraussehen können, erweist sich demgemäss als unzutreffend.
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Das Gesuch wird dahin gutgeheissen, dass die Behörden des Kantons Aargau zur Verfolgung und Beurteilung der L. vorgeworfenen strafbaren Handlungen berechtigt und verpflichtet erklärt werden.