Urteilskopf

112 V 275

48. Auszug aus dem Urteil vom 13. November 1986 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Weiss und Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 275

BGE 112 V 275 S. 275

A.- Der 1953 geborene französische Staatsangehörige Claude Weiss arbeitete seit Juli 1978 als Grenzgänger in einer der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Schiffahrts- und Speditionsunternehmung in Basel. Am 13. September 1982 erlitt er bei einem Arbeitsunfall ein schweres Schädel-Hirntrauma mit Schädelbasisfraktur und Hirnödem. Die SUVA kam für die Heilbehandlung sowie für die Nachbehandlung (in der Rehabilitationsklinik Bellikon) auf und gewährt dem Versicherten ab 1. August 1985 aufgrund einer 100%igen Invalidität eine Rente.
Am 21. Juli 1983 meldete sich Claude Weiss bei der Invalidenversicherung an und beantragte die Gewährung von Berufsberatung, Umschulung und einer Rente. Die Invalidenversicherungs-Kommission stellte fest, dass die 360tägige Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 29 Beginn des Anspruchs und Auszahlung der Rente - 1 Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Artikel 29 Absatz 1 ATSG217, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt.
1    Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Artikel 29 Absatz 1 ATSG217, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt.
2    Der Anspruch entsteht nicht, solange die versicherte Person ein Taggeld nach Artikel 22 beanspruchen kann.
3    Die Rente wird vom Beginn des Monats an ausbezahlt, in dem der Rentenanspruch entsteht.
4    Beträgt der Invaliditätsgrad weniger als 50 Prozent, so werden die entsprechenden Renten nur an Versicherte ausbezahlt, die ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 13 ATSG) in der Schweiz haben. Diese Voraussetzung ist auch von Angehörigen zu erfüllen, für die eine Leistung beansprucht wird.
Variante 2 IVG am 7. September 1983 endete und dass der Invaliditätsgrad 100% betrug. Demgemäss sprach die
BGE 112 V 275 S. 276

Schweizerische Ausgleichskasse dem Versicherten ab 1. September 1983 eine ganze Invalidenrente (nebst Zusatzrente für die Ehefrau) zu (rechtskräftige Verfügung vom 11. Mai 1984). Mit Verfügung vom 10. Januar 1984 wies die Ausgleichskasse das Gesuch um berufliche Eingliederungsmassnahmen ab, weil bei Eintritt des Versicherungsfalles der Umschulung die versicherungsmässigen Voraussetzungen gemäss Art. 11 des schweizerisch-französischen Abkommens über Soziale Sicherheit (vom 3. Juli 1975) nicht erfüllt gewesen seien.
B.- Claude Weiss beschwerte sich gegen die Verfügung vom 10. Januar 1984 und beantragte, es seien ihm die zu seiner Wiedereingliederung erforderlichen Massnahmen beruflicher Art zu gewähren. Mit Entscheid vom 21. Februar 1985 hiess die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen die Beschwerde gut.
C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid vom 21. Februar 1985 und beantragt dessen Aufhebung. Claude Weiss lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Die Ausgleichskasse sieht von einer Stellungnahme ab.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. a) Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen der Invalidenversicherung ist, dass der Ansprecher im Zeitpunkt des Versicherungsfalles versichert ist (Art. 6 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 6 Versicherungsmässige Voraussetzungen - 1 Schweizerische und ausländische Staatsangehörige sowie Staatenlose haben Anspruch auf Leistungen gemäss den nachstehenden Bestimmungen. Artikel 39 bleibt vorbehalten.53
1    Schweizerische und ausländische Staatsangehörige sowie Staatenlose haben Anspruch auf Leistungen gemäss den nachstehenden Bestimmungen. Artikel 39 bleibt vorbehalten.53
1bis    Sieht ein von der Schweiz abgeschlossenes Sozialversicherungsabkommen die Leistungspflicht nur des einen Vertragsstaates vor, so besteht kein Anspruch auf eine Invalidenrente, wenn die von Schweizerinnen und Schweizern oder Angehörigen des Vertragsstaates in beiden Ländern zurückgelegten Versicherungszeiten nach der Zusammenrechnung einen Rentenanspruch nach dem Recht des andern Vertragsstaates begründen.54
2    Ausländische Staatsangehörige sind, vorbehältlich Artikel 9 Absatz 3, nur anspruchsberechtigt, solange sie ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 13 ATSG55) in der Schweiz haben und sofern sie bei Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet oder sich ununterbrochen während zehn Jahren in der Schweiz aufgehalten haben. Für im Ausland wohnhafte Angehörige dieser Personen werden keine Leistungen gewährt.56
3    Bei Personen, die mehrere sich ablösende Staatsangehörigkeiten besessen haben, ist für die Leistungsberechtigung die Staatsangehörigkeit während des Leistungsbezugs massgebend.57
IVG). Über den Status als Versicherter enthält Art. 11 des (hier unbestrittenermassen anwendbaren) schweizerisch-französischen Sozialversicherungsabkommens (vom 3. Juli 1975) folgende Bestimmungen für französische Grenzgänger: "Für den Erwerb des Anspruches auf eine Leistung der schweizerischen Invalidenversicherung gelten in der Schweiz wohnhafte französische Staatsangehörige und Grenzgänger, die ihre Erwerbstätigkeit in der Schweiz infolge Krankheit oder Unfalls aufgeben müssen, deren Invalidität aber in diesem Land festgestellt wird, für die Dauer eines Jahres, gerechnet vom Zeitpunkt der zur Invalidität führenden Arbeitsunterbrechung als Versicherte im Sinne der schweizerischen Gesetzgebung und haben Beiträge an die schweizerische Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zu entrichten, als hätten sie Wohnsitz in der Schweiz."
Es ist demnach entscheidend, in welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall eingetreten ist: ob vor oder nach Ablauf des Jahres
BGE 112 V 275 S. 277

seit dem "Zeitpunkt der zur Invalidität führenden Arbeitsunterbrechung", konkret vor oder nach dem 13. September 1983. b) Gemäss Art. 4 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG gilt die Invalidität als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Nach der Gerichtspraxis ist dieser Zeitpunkt objektiv aufgrund des Gesundheitszustandes des Versicherten festzustellen; zufällige externe Faktoren (wie z.B. eine noch ungenügend entwickelte Operationstechnik: EVGE 1969 S. 221) sind unerheblich (BGE 111 V 121 Erw. 1d mit Hinweisen). Vor der Einfügung des Abs. 2 in Art. 4
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG (auf 1. Januar 1968) bestand eine gewisse Unsicherheit darüber, ob ein und derselbe Gesundheitsschaden mehrere (sukzessive) Versicherungsfälle bewirken könne (vgl. EVGE 1966 S. 178, wo das Eidg. Versicherungsgericht eine solche Möglichkeit bezweifelte, die Frage aber offenlassen konnte). Mit Erlass des Abs. 2 von Art. 4 erfolgte die Klarstellung: da diese Bestimmung von der "jeweiligen Leistung" spricht, ist es grundsätzlich möglich, dass ein und derselbe Gesundheitsschaden mehrere Versicherungsfälle bewirkt; "ein solcher Schaden kann nämlich unter Umständen - zur gleichen Zeit oder zeitlich gestaffelt - die Voraussetzungen für sehr verschiedene Leistungsarten (eine oder mehrere Eingliederungsmassnahmen, Rentenleistungen, Hilflosenentschädigungen) erfüllen" (BGE 105 V 61 Erw. 2c).
2. a) Gestützt auf Art. 11 des Sozialversicherungsabkommens war der Beschwerdegegner bis zum 13. September 1983 (ein Jahr nach dem Unfall vom 13. September 1982) in der schweizerischen Invalidenversicherung versichert. Unbestrittenermassen trat hinsichtlich des Rentenanspruchs der Versicherungsfall vor jenem Datum ein, nämlich am 7. September 1983 gemäss Art. 29 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 29 Beginn des Anspruchs und Auszahlung der Rente - 1 Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Artikel 29 Absatz 1 ATSG217, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt.
1    Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Artikel 29 Absatz 1 ATSG217, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt.
2    Der Anspruch entsteht nicht, solange die versicherte Person ein Taggeld nach Artikel 22 beanspruchen kann.
3    Die Rente wird vom Beginn des Monats an ausbezahlt, in dem der Rentenanspruch entsteht.
4    Beträgt der Invaliditätsgrad weniger als 50 Prozent, so werden die entsprechenden Renten nur an Versicherte ausbezahlt, die ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 13 ATSG) in der Schweiz haben. Diese Voraussetzung ist auch von Angehörigen zu erfüllen, für die eine Leistung beansprucht wird.
Variante 2 IVG. Dementsprechend wurde ihm die Invalidenrente zugesprochen. Streitig ist dagegen, in welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall bezüglich beruflicher Eingliederungsmassnahmen eingetreten war. b) In tatbeständlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass mit der Berufsberatung bereits während des ersten Aufenthalts des Beschwerdegegners in der Rehabilitationsklinik Bellikon (8. November 1982 - 24. Juni 1983) begonnen wurde. Offensichtlich wurde die Berufsberatung von den zuständigen Instanzen der SUVA zu jener Zeit als indiziert erachtet. Für den Anspruch gegenüber der Invalidenversicherung ist es irrelevant, dass die
BGE 112 V 275 S. 278

Massnahme bereits vor der Anmeldung (21. Juli 1983) im Sinne von Art. 4 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG indiziert war (BGE 103 V 131 oben). Bezüglich der Berufsberatung erfüllte somit der Beschwerdegegner die versicherungsmässigen Voraussetzungen des Sozialversicherungsabkommens. Indes ist der Anspruch nicht mehr aktuell, weil die Berufsberatung in Bellikon faktisch - wenn auch ohne Erfolg - durchgeführt worden ist. c) Effektiver Streitpunkt ist der Anspruch auf Umschulung gemäss Art. 17
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 17 Umschulung - 1 Der Versicherte hat Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung infolge Invalidität notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder verbessert werden kann.134
1    Der Versicherte hat Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung infolge Invalidität notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder verbessert werden kann.134
2    Der Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit ist die Wiedereinschulung in den bisherigen Beruf gleichgestellt.
IVG. Aus den Berichten der Rehabilitationsklinik Bellikon vom 28. Juni und 7. Juli 1983 ergibt sich, dass in der Zeit bis 13. September 1983 von der Möglichkeit einer Umschulung keine Rede sein konnte. Im Sommer 1983 war der psychische Zustand des Beschwerdegegners so schlecht, dass ein dreimonatiger Behandlungsunterbruch (bis zum Wiedereintritt am 29. September 1983) eingeschaltet werden musste. Art und Schwere des damaligen Gesundheitszustandes erlaubten keine Umschulungsmassnahmen. Betrachtet man den Umschulungsanspruch für sich allein genommen, so war der Versicherungsfall bis zum 13. September 1983 nicht eingetreten. Unbehelflich ist der Einwand, es habe schon vor dem 13. September 1983 festgestanden, dass der Beschwerdegegner die frühere Arbeit niemals wieder werde verrichten können und dass deshalb eine Umschulung unumgänglich sein werde. Das ist wohl richtig, aber nicht entscheidend. Die Notwendigkeit späterer Eingliederungsmassnahmen (z.B. einer Umschulung) ist oft schon kurz nach dem invalidisierenden Ereignis erkennbar. Diese Erkenntnis bedeutet aber nicht den Eintritt des für diese Versicherungsleistung massgebenden Versicherungsfalles. Hierfür massgebend ist vielmehr der Zeitpunkt, in dem die Invalidität nach ihrer aktuellen Art und Schwere die Eingliederungsmassnahme einerseits erheischt und anderseits ermöglicht. Daher wird z.B. bei den medizinischen Eingliederungsmassnahmen verlangt, dass keine Gegenindikation besteht (BGE 105 V 60 Erw. 2a). Im vorliegenden Fall ist es offensichtlich und durch die Berichte der Rehabilitationsklinik Bellikon belegt, dass Umschulungsmassnahmen vor dem 13. September 1983 gänzlich ausgeschlossen waren.
3. a) Die Vorinstanz hat die Beschwerde im wesentlichen mit der Begründung gutgeheissen, der Eintritt des Versicherungsfalles bezüglich der Berufsberatung müsse für alle "Massnahmen beruflicher Art generell" gelten. Insbesondere würden Berufsberatung und Umschulung eng zusammenhängen, indem die Berufsberatung
BGE 112 V 275 S. 279

"der erste Schritt im Hinblick auf die berufliche Wiedereingliederung [gewesen sei], welcher zur Abklärung der offensichtlich als notwendig erkannten Umschulungsmassnahmen unternommen wurde". In gleicher Richtung argumentiert der Beschwerdegegner, der es als nicht angängig erachtet, "den zeitlichen Eintritt des Versicherungsfalles für einen Teil der Massnahmen beruflicher Art, nämlich die Berufsberatung, vom zeitlichen Eintritt des Versicherungsfalles für die übrigen Massnahmen beruflicher Art abzuspalten. Hinsichtlich sämtlicher Massnahmen beruflicher Art tritt der Versicherungsfall zeitlich einheitlich ein." b) In BGE 105 V 58, wo es um zwei sukzessiv notwendig gewordene Eingliederungsmassnahmen ging - zunächst um Sonderschulung auf der Kindergartenstufe (Art. 19 Abs. 3
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 19
IVG, Art. 12 Abs. 1 lit. b
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 19
IVV) und ein paar Jahre später um Sonderschulung während der obligatorischen Schulpflicht (Art. 19 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 19
IVG, Art. 8
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 19
IVV) -, fand das Gericht, es handle sich nicht um unterschiedliche Leistungskategorien; ohne Rücksicht auf die Altersstufe stellten alle von Gesetz und Verordnung vorgesehenen Sonderschulmassnahmen zusammen "ein einheitliches, sich ergänzendes Massnahmenbündel mit im wesentlichen gleicher Zielsetzung dar. Tritt die Invalidität in bezug auf die Sonderschulung deshalb ... bereits im Vorschulalter ein, so löst der Übertritt in die Sonderschule bei Erreichen des entsprechenden Alters keinen neuen Versicherungsfall aus" (S. 62). Diese Praxis betreffend die Sonderschule kann nicht auf die beruflichen Massnahmen übertragen werden. Zwar ist richtig, dass zwischen Berufsberatung und Umschulung sachlich ein enger Zusammenhang besteht, und des öftern wird - was in casu allerdings nicht der Fall war - die letztere unmittelbar an die erstere anschliessen. Dies ändert aber nichts daran, dass es zwei verschiedene Leistungen sind, sowohl inhaltlich wie gemäss der gesetzlichen Normierung. Sodann ist die Zielsetzung nicht dieselbe. Dabei ist unter dem (in BGE 105 V 62 verwendeten) Begriff "Zielsetzung" selbstredend nicht das allgemeine Ziel, den Versicherten wieder ins Erwerbsleben einzugliedern, verstanden (andernfalls für sämtliche Eingliederungsmassnahmen, von den medizinischen bis zur Kapitalhilfe, nur ein einziger Versicherungsfall gelten würde); vielmehr geht es um das Ziel jeder einzelnen Massnahme. Mit der Berufsberatung wird klarerweise nicht dasselbe Ziel anvisiert wie mit der Umschulung. Jede der im Gesetz vorgesehenen Massnahmen
BGE 112 V 275 S. 280

beruflicher Art (Art. 8 Abs. 3 lit. b
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 8 Grundsatz - 1 Invalide oder von einer Invalidität (Art. 8 ATSG79) bedrohte Versicherte haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit:
1    Invalide oder von einer Invalidität (Art. 8 ATSG79) bedrohte Versicherte haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit:
a  diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern; und
b  die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind.80
1bis    Der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen besteht unabhängig von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vor Eintritt der Invalidität. Bei der Festlegung der Massnahmen sind insbesondere zu berücksichtigen:
a  das Alter;
b  der Entwicklungsstand;
c  die Fähigkeiten der versicherten Person; und
d  die zu erwartende Dauer des Erwerbslebens.81
1ter    Bei Abbruch einer Eingliederungsmassnahme wird nach Massgabe der Absätze 1 und 1bis eine wiederholte Zusprache derselben oder einer anderen Eingliederungsmassnahme geprüft.82
2    Nach Massgabe der Artikel 13 und 21 besteht der Anspruch auf Leistungen unabhängig von der Möglichkeit einer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich.83
2bis    Nach Massgabe von Artikel 16 Absatz 3 Buchstabe b besteht der Anspruch auf Leistungen unabhängig davon, ob die Eingliederungsmassnahmen notwendig sind oder nicht, um die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, zu erhalten oder zu verbessern.84
3    Die Eingliederungsmassnahmen bestehen in:
a  medizinischen Massnahmen;
abis  Beratung und Begleitung;
ater  Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung;
b  Massnahmen beruflicher Art;
c  ...88
d  der Abgabe von Hilfsmitteln;
e  ...89
4    ...90
IVG) bewirkt daher einen eigenen Versicherungsfall. Art. 4 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG, der von der "jeweiligen Leistung" der Versicherung spricht, kann nicht anders verstanden und ausgelegt werden (vgl. auch MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 119). c) Aus diesen Gründen kann der Auffassung von Beschwerdegegner und Vorinstanz nicht gefolgt werden. Der Versicherungsfall der Berufsberatung gilt nicht auch für die Umschulung. Für die letztere ist der Versicherungsfall - wie oben dargelegt - bis zum 13. September 1983 nicht eingetreten. Falls er später eingetreten sein sollte, wäre der Beschwerdegegner nicht mehr versichert gewesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 112 V 275
Datum : 13. November 1986
Publiziert : 31. Dezember 1987
Quelle : Bundesgericht
Status : 112 V 275
Sachgebiet : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Gegenstand : Art. 4 Abs. 2, 6 Abs. 1, 8 Abs. 3 lit. b, 15-18 IVG, Art. 11 des schweizerisch-französischen Sozialversicherungsabkommens


Gesetzesregister
IVG: 4 
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
6 
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 6 Versicherungsmässige Voraussetzungen - 1 Schweizerische und ausländische Staatsangehörige sowie Staatenlose haben Anspruch auf Leistungen gemäss den nachstehenden Bestimmungen. Artikel 39 bleibt vorbehalten.53
1    Schweizerische und ausländische Staatsangehörige sowie Staatenlose haben Anspruch auf Leistungen gemäss den nachstehenden Bestimmungen. Artikel 39 bleibt vorbehalten.53
1bis    Sieht ein von der Schweiz abgeschlossenes Sozialversicherungsabkommen die Leistungspflicht nur des einen Vertragsstaates vor, so besteht kein Anspruch auf eine Invalidenrente, wenn die von Schweizerinnen und Schweizern oder Angehörigen des Vertragsstaates in beiden Ländern zurückgelegten Versicherungszeiten nach der Zusammenrechnung einen Rentenanspruch nach dem Recht des andern Vertragsstaates begründen.54
2    Ausländische Staatsangehörige sind, vorbehältlich Artikel 9 Absatz 3, nur anspruchsberechtigt, solange sie ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 13 ATSG55) in der Schweiz haben und sofern sie bei Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet oder sich ununterbrochen während zehn Jahren in der Schweiz aufgehalten haben. Für im Ausland wohnhafte Angehörige dieser Personen werden keine Leistungen gewährt.56
3    Bei Personen, die mehrere sich ablösende Staatsangehörigkeiten besessen haben, ist für die Leistungsberechtigung die Staatsangehörigkeit während des Leistungsbezugs massgebend.57
8 
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 8 Grundsatz - 1 Invalide oder von einer Invalidität (Art. 8 ATSG79) bedrohte Versicherte haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit:
1    Invalide oder von einer Invalidität (Art. 8 ATSG79) bedrohte Versicherte haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit:
a  diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern; und
b  die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind.80
1bis    Der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen besteht unabhängig von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vor Eintritt der Invalidität. Bei der Festlegung der Massnahmen sind insbesondere zu berücksichtigen:
a  das Alter;
b  der Entwicklungsstand;
c  die Fähigkeiten der versicherten Person; und
d  die zu erwartende Dauer des Erwerbslebens.81
1ter    Bei Abbruch einer Eingliederungsmassnahme wird nach Massgabe der Absätze 1 und 1bis eine wiederholte Zusprache derselben oder einer anderen Eingliederungsmassnahme geprüft.82
2    Nach Massgabe der Artikel 13 und 21 besteht der Anspruch auf Leistungen unabhängig von der Möglichkeit einer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich.83
2bis    Nach Massgabe von Artikel 16 Absatz 3 Buchstabe b besteht der Anspruch auf Leistungen unabhängig davon, ob die Eingliederungsmassnahmen notwendig sind oder nicht, um die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, zu erhalten oder zu verbessern.84
3    Die Eingliederungsmassnahmen bestehen in:
a  medizinischen Massnahmen;
abis  Beratung und Begleitung;
ater  Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung;
b  Massnahmen beruflicher Art;
c  ...88
d  der Abgabe von Hilfsmitteln;
e  ...89
4    ...90
17 
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 17 Umschulung - 1 Der Versicherte hat Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung infolge Invalidität notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder verbessert werden kann.134
1    Der Versicherte hat Anspruch auf Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit, wenn die Umschulung infolge Invalidität notwendig ist und dadurch die Erwerbsfähigkeit voraussichtlich erhalten oder verbessert werden kann.134
2    Der Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit ist die Wiedereinschulung in den bisherigen Beruf gleichgestellt.
19 
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 19
29
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 29 Beginn des Anspruchs und Auszahlung der Rente - 1 Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Artikel 29 Absatz 1 ATSG217, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt.
1    Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Artikel 29 Absatz 1 ATSG217, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt.
2    Der Anspruch entsteht nicht, solange die versicherte Person ein Taggeld nach Artikel 22 beanspruchen kann.
3    Die Rente wird vom Beginn des Monats an ausbezahlt, in dem der Rentenanspruch entsteht.
4    Beträgt der Invaliditätsgrad weniger als 50 Prozent, so werden die entsprechenden Renten nur an Versicherte ausbezahlt, die ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 13 ATSG) in der Schweiz haben. Diese Voraussetzung ist auch von Angehörigen zu erfüllen, für die eine Leistung beansprucht wird.
IVV: 8  12
BGE Register
103-V-131 • 105-V-58 • 111-V-117 • 112-V-275
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
versicherungsfall • umschulung • beschwerdegegner • massnahme beruflicher art • eintritt des versicherungsfalls • sozialversicherungsabkommen • gesundheitsschaden • gesundheitszustand • bundesamt für sozialversicherungen • richtigkeit • vorinstanz • weiler • entscheid • dauer • stichtag • eidgenössisches versicherungsgericht • begründung des entscheids • gerichts- und verwaltungspraxis • beruflicher wiedereinstieg • kantonales rechtsmittel • alters-, hinterlassenen- und invalidenversicherung • betrug • schweizerische ausgleichskasse • wiese • sachverhalt • frage • nachbehandlung • schaden • schädel-hirntrauma • sprache • wohnsitz in der schweiz • wartezeit • kapitalhilfe • soziale sicherheit • invalidenrente • medizinische eingliederungsmassnahme
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