Urteilskopf

112 Ib 88

14. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Mai 1986 i.S. Kanton St. Gallen, Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer gegen X. Y. und Verwaltungsrekurskommission für die direkte Bundessteuer des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 89

BGE 112 Ib 88 S. 89

X. Y., St. Gallen, war als selbständiger, buchführungspflichtiger Einzelkaufmann in der Spielautomatenbranche tätig. Im Jahre 1978 gab er diese Tätigkeit auf. Für den dabei erzielten Liquidationsgewinn von Fr. ... veranlagte ihn die Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen (kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer) mit einer separaten Jahressteuer gemäss Art. 43 WStB (Verfügung vom 30. Oktober 1984). Gegen diese Veranlagung erhob der Steuerpflichtige Einsprache. Er machte geltend, die Steuerforderung sei gemäss Art. 128 WStB verjährt. Mit Schreiben vom 26. November 1984 gewährte der kantonale Steuerkommissär für die Stadt St. Gallen dem Pflichtigen eine Notfrist für die Einspracheergänzung. Gleichzeitig hielt er fest, Art. 128 WStB komme nicht zur Anwendung, da die Forderung für die Jahressteuer aufgrund eines speziellen Fälligkeitstermines erst am 30. November 1984 fällig geworden und somit noch nicht verjährt sei. In der Einspracheergänzung vom 7. Dezember hielt der Pflichtige fest, es handle sich im vorliegenden Fall um eine Veranlagungsverjährung (Art. 98 WStB). Dieser Standpunkt wurde im Einspracheentscheid vom 21. Dezember 1984 verworfen. Zur Begründung wurde vorgebracht, mit der Zustellung des Steuererklärungsformulars für die Hauptveranlagung 1979/80 sei das Veranlagungsverfahren auch für den Liquidationsgewinn eröffnet worden. Das Veranlagungsverfahren sei somit fristgerecht eingeleitet
BGE 112 Ib 88 S. 90

worden. Für die Durchführung der Veranlagung sei die Behörde an keine gesetzliche Frist gebunden, die Dauer des Verfahrens berühre dessen Gültigkeit nicht. Auf Rekurs des Pflichtigen hin hat die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid aufgehoben. Sie stellte sich auf den Standpunkt, in der Zustellung der Steuererklärung für die 20. Wehrsteuerperiode könne zwar die Einleitung der ordentlichen Wehrsteuerveranlagung für die 20. Periode, nicht jedoch die Einleitung des Veranlagungsverfahrens für die Jahressteuer gemäss Art. 43 WStB erblickt werden. Die erste, an den Steuerpflichtigen gerichtete Handlung der Steuerbehörden, aus welcher auf die Einleitung eines Veranlagungsverfahrens für die Jahressteuer geschlossen werden könne, stelle offenbar die Veranlagungsrechnung vom 28. September 1984 dar. Die Veranlagung - die gemäss Art. 98 WStB bis Ende 1983 hätte erfolgen müssen - sei somit zu spät eröffnet worden. Gegen diesen Entscheid (vom 1. Juli 1985) hat die kantonale Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Bestätigung des Einspracheentscheids vom 21. Dezember 1984. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen

aus folgenden Erwägungen:

1. Gemäss Art. 98 WStB (Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer Wehrsteuer vom 9. Dezember 1940, SR 642.1; heute: Bundesratsbeschluss über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 29. November 1981, BdBSt) erlischt das Recht, die Veranlagung einzuleiten, drei Jahre nach Ablauf der Veranlagungsperiode. Gemeint ist die Periode, die den jeweiligen, in Frage stehenden Steueranspruch betrifft. Eingeleitet wird die Veranlagung mit der ersten, nach aussen wirksamen Amtshandlung, die auf die Veranlagung des Steuerpflichtigen gerichtet ist. In der Regel besteht diese Einleitungshandlung in der Zustellung des Steuererklärungsformulars. Das bestreitet auch die Vorinstanz nicht. Sie ist jedoch der Auffassung, im vorliegenden Fall könne die Zustellung der Steuererklärung für die 20. Wehrsteuerperiode zwar als Einleitung der ordentlichen Wehrsteuerveranlagung für die 20. Periode angesehen werden, nicht jedoch als Einleitung des Veranlagungsverfahrens für die Jahressteuer gemäss Art. 43 WStB.
BGE 112 Ib 88 S. 91

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach der unbestrittenen Beschwerdedarstellung findet im Kanton St. Gallen für die Veranlagung der natürlichen Personen das gleiche Steuererklärungsformular sowohl für die Staats- und Gemeindesteuern als auch für die direkten Bundessteuern Verwendung. Nach beiden Steuerordnungen stellen Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Geschäftsvermögen einen Bestandteil des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit dar und unterliegen somit der Einkommenssteuer; so jedenfalls dann, wenn die Gewinne im Betrieb einer zur Buchführung verpflichteten Unternehmung erzielt werden (Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB). Die Wegleitung zur Steuererklärung weist denn auch ausdrücklich darauf hin, dass "als Kapitalgewinne steuerbar sind die Liquidationsgewinne, die bei Aufgabe einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder bei der Veräusserung von Anteilsrechten an einer Personengemeinschaft erzielt werden (für die Wehrsteuer nur, wenn sie im Betrieb eines buchführungspflichtigen Unternehmens erzielt werden)". Dass nur der ordentlichen Einkommenssteuer unterliegende Liquidationsgewinne zu deklarieren sind, kann weder dem Steuererklärungsformular noch der Wegleitung entnommen werden. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass beliebige Liquidationsgewinne zu deklarieren sind. Dies muss schon daraus geschlossen werden, dass im Zeitpunkt der Zustellung des Steuererklärungsformulars die Steuerbehörden meistens weder vom Kapitalgewinn Kenntnis haben noch davon, ob der Gewinn der ordentlichen Besteuerung unterliegt oder aber der Jahressteuer nach Art. 43 WStB. Der Pflichtige hat denn auch im vorliegenden Fall den Liquidationsgewinn auf dem ihm zugestellten Formular deklariert. Es wäre unter diesen Umständen schwer einzusehen, weshalb die Zustellung des Steuererklärungsformulars zwar hinsichtlich der ordentlichen Einkommenssteuer als (erste) Veranlagungshandlung gelten soll, nicht jedoch hinsichtlich der Jahressteuer nach Art. 43 WStB. Dass es sich bei dieser Steuer um eine gesonderte Steuer handelt, die selbständig veranlagt wird, ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht entscheidend. Jedenfalls nicht in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Steuerbehörden bei Zustellung des Steuererklärungsformulars noch gar nicht wissen, dass die Voraussetzungen einer Jahressteuer im Sinne von Art. 43 WStB gegeben sind. Ob die Zustellung des Steuererklärungsformulars dem Art. 98 WStB auch dann genügt hätte, wenn die Steuerbehörden diese Kenntnis gehabt hätten, braucht hier nicht entschieden zu werden.
BGE 112 Ib 88 S. 92

2. Die Steuerforderungen verjähren gemäss Art. 128 WStB in fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit. Der Lauf der Verjährung wird durch jede Einforderungshandlung unterbrochen (Art. 128 WStB). a) Gemäss Art. 114 Abs. 1 WStB bestimmt das Eidgenössische Finanzdepartement den allgemeinen Fälligkeitstermin der jährlich zu entrichtenden Steuer. An dem vom Departement festgesetzten allgemeinen Fälligkeitstermin werden grundsätzlich (Ausnahmen in Art. 114 Abs. 2 und 3) alle für das jeweils in Frage stehende Steuerjahr geschuldeten Steuerbeträge fällig (KÄNZIG, Wehrsteuer, N 3 zu Art. 114 ). Die Sondersteuer gemäss Art. 43 WStB wird demnach in den Fällen, in denen sie an eine Zwischenveranlagung anknüpft, am Tage des allgemeinen Fälligkeitstermins, der auf den Eintritt des Zwischenveranlagungsgrundes folgt, fällig. Dass bis zu diesem Zeitpunkt eine definitive Einschätzung oder wenigstens eine provisorische Veranlagung eröffnet sein muss, wie in der Lehre zum Teil angenommen wird (KÄNZIG, a.a.O., 1. Band, 2. Aufl., N 27 zu Art. 43; 2. Band, 1. Aufl., N 3 zu Art. 114; vgl. auch MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. Aufl., N 19 zu Art. 43), trifft nicht zu. Die gegenteilige Auffassung wäre mit dem gesetzlichen System der Fälligkeit kaum in Einklang zu bringen (BGE 75 I 177f.). Sie hätte auch unhaltbare Konsequenzen hinsichtlich der Verjährung. Diese würde jedenfalls so lange nicht eintreten, als die Steuerbehörden keine Veranlagung vorgenommen haben. Die Behörden hätten es somit in der Hand, Steuerforderungen noch nach Jahren zu veranlagen und gegen den Willen des Pflichtigen durchzusetzen. Das kann nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen (AGVE 1979, S. 401; BINDER, Die Verjährung im schweizerischen Steuerrecht, Zürich 1985, S. 178, mit Hinweisen in Anm. 50). Der allgemeine Fälligkeitstermin wurde in der hier interessierenden Zeitspanne jeweilen auf den 1. März der einzelnen Steuerjahre festgesetzt. Die vom Beschwerdegegner nach Art. 43 WStB geschuldete Jahressteuer wurde demnach, wie die Eidgenössische Steuerverwaltung in ihrer Beschwerdevernehmlassung zutreffend festhält, am 1. März 1979 fällig. Dass bis zu diesem Zeitpunkt keine (provisorische oder definitive) Veranlagung vorgenommen wurde, ändert hieran nach dem oben Gesagten nichts. b) Die Verjährung des fraglichen Jahressteueranspruchs begann somit am 1. März 1979. Die Veranlagung erfolgte erst am 30. Oktober 1984, also mehr als fünf Jahre später. Der Anspruch
BGE 112 Ib 88 S. 93

ist demnach verjährt, falls nicht rechtzeitig eine Unterbrechungshandlung vorgenommen wurde. Verjährungsunterbrechende Einforderungshandlungen im Sinne von Art. 128 WStB sind alle dem Steuerpflichtigen zur Kenntnis gebrachten, auf Feststellung des Steueranspruchs gerichteten Amtshandlungen der Steuerbehörde (KÄNZIG, a.a.O., N 8 zu Art. 128). Erste Unterbrechungshandlung bildet regelmässig die Zustellung des Steuererklärungsformulars. Das gilt auch hinsichtlich der Jahressteuer nach Art. 43 WStB. Dabei muss im Lichte des oben (E. 1) Gesagten die Aufforderung zur ordentlichen Wehrsteuerdeklaration genügen. Sobald aber den Steuerbehörden der Eintritt des Zwischentaxationsgrundes bekannt gemacht wurde, können als verjährungsunterbrechend nur noch Handlungen der Veranlagungsbehörden angesehen werden, die speziell auf die Feststellung des Anspruchs aus Art. 43 WStB gerichtet sind. Im vorliegenden Fall wurden der Kapitalgewinn und der Grund für dessen separate Veranlagung den Steuerbehörden in der Steuererklärung vom 24. Februar 1979 mitgeteilt. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Veranlagungsverfügung vom 30. Oktober 1984 nahmen die Steuerbehörden keine Handlungen vor, die auf die Feststellung der nach Art. 43 WStB geschuldeten Jahressteuer gerichtet waren; eine solche Handlung kann namentlich auch nicht in der Zwischenveranlagung vom 19. April 1980 gesehen werden. Es wurden somit mehr als fünf Jahre lang keine Unterbrechungshandlungen vorgenommen. Der Steueranspruch ist demzufolge verjährt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 112 IB 88
Date : 23. Mai 1986
Published : 31. Dezember 1987
Source : Bundesgericht
Status : 112 IB 88
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Jahressteuer auf Kapitalgewinn (Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB) bei Vorliegen eines Zwischenveranlagungsgrundes (Art. 43 WStB);


Legislation register
WStB: 21  43  98  114  128
BGE-register
112-IB-88
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AGVE
1979, S.401