111 Ia 355
61. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1985 i.S. E. S. gegen Bank X. und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Frist für die staatsrechtliche Beschwerde, unrichtige Rechtsmittelbelehrung, Wiederherstellung.
- Wird der Entscheid einer unteren kantonalen Instanz aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung, auf die sich der Beschwerdeführer verlassen konnte, zuerst bei der oberen kantonalen Instanz angefochten und tritt diese in der Folge auf das Rechtsmittel nicht ein, so beginnt die Frist für die Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde dennoch mit der Zustellung des unterinstanzlichen Entscheids zu laufen. Als Rechtsgrundlage für eine Erstreckung der Beschwerdefrist kommt nur die Wiederherstellung im Sinne von Art. 35 OG in Frage. Das Wiederherstellungsgesuch ist jedoch binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses, d.h. nach Kenntnisnahme des oberinstanzlichen Entscheids, einzureichen.
Regeste (fr):
- Délai pour former un recours de droit public, indication erronée des voies de droit, restitution de délai.
- Lorsque l'autorité cantonale supérieure déclare irrecevable le recours formé contre le jugement d'une instance inférieure sur la base d'une indication erronée des voies de droit - à laquelle le recourant pouvait se fier -, le délai pour interjeter un recours de droit public court néanmoins depuis la notification du jugement de l'autorité inférieure. Seule la restitution de délai au sens de l'art. 35 OJ peut autoriser une prolongation du délai de recours. La demande de restitution doit cependant être présentée dans les dix jours dès la cessation de l'empêchement, c'est-à-dire dès la connaissance du jugement de l'instance supérieure.
Regesto (it):
- Termine per proporre ricorso di diritto pubblico, indicazione inesatta del rimedio giuridico, restituzione per inosservanza del termine.
- Ove l'autorità cantonale superiore dichiari inammissibile il ricorso presentato contro la decisione di un'istanza inferiore in base ad un'indicazione inesatta del rimedio giuridico - a cui il ricorrente poteva prestar fede -, il termine per proporre ricorso di diritto pubblico decorre nondimeno dalla notifica della decisione dell'autorità inferiore. Solo la restituzione per inosservanza di termine, ai sensi dell'art. 35 OG, può dar luogo ad una proroga del termine di ricorso. La domanda di restituzione va peraltro presentata entro dieci giorni dal momento in cui è cessato l'impedimento, ossia da quando l'interessato ha avuto conoscenza della decisione dell'istanza superiore.
Sachverhalt ab Seite 356
BGE 111 Ia 355 S. 356
E. S. erhob gegen die im Nachlass ihres Vaters als Willensvollstreckerin tätige Bank X. verschiedene Beschwerden, die vom Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Horgen mit Verfügungen vom 9. April und 4. Juli 1985 abgewiesen wurden, soweit sich nicht Gegenstandslosigkeit ergab. Die Rekurse der Beschwerdeführerin gegen diese Verfügungen wurden vom Obergericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 25. Juli 1985 abgewiesen. Dabei wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, sie könne gegen den obergerichtlichen Entscheid beim Kassationsgericht des Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde führen. Das Kassationsgericht trat jedoch mit Entscheid vom 2. Oktober 1985 auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ein, mit der Begründung, Einzelrichter und Obergericht hätten als Aufsichtsbehörden über den Willensvollstrecker entschieden, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde nach § 284 ZPO ZH nicht zulässig sei. Mit Eingabe vom 4. November 1985 hat E. S. beim Bundesgericht gegen den Entscheid des Obergerichts vom 25. Juli 1985 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Der angefochtene Entscheid wurde der Beschwerdeführerin nach deren eigenen Angaben am 7. August 1985 zugestellt. Die staatsrechtliche Beschwerde wurde jedoch gemäss Poststempel erst am 4. November 1985 zur Post gegeben und ist daher verspätet. Die Beschwerdeführerin hält die Beschwerde deswegen für rechtzeitig, weil sie erst mit dem Entscheid des Kassationsgerichts vom 2. Oktober 1985 Kenntnis von der Unzulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde erhalten habe. Sie ist offenbar der Auffassung, die Frist zur Einrichtung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den
BGE 111 Ia 355 S. 357
Entscheid des Obergerichts habe aus diesem Grund erst mit der Zustellung des Entscheids des Kassationsgerichts zu laufen begonnen. Das wäre aber mit dem Wortlaut von Art. 89 Abs. 1 OG nicht vereinbar, gemäss welchem der Beginn des Fristenlaufs von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung des angefochtenen Entscheids abhängt, kann doch nicht zweifelhaft sein, dass die Zustellung des obergerichtlichen Entscheids nach dem kantonalen Recht eine gültige Eröffnung darstellte, selbst wenn die Rechtsmittelbelehrung unrichtig war. Als Rechtsgrundlage für eine Erstreckung der Beschwerdefrist kommt einzig Art. 35 Abs. 1 OG in Frage. Nach dieser Bestimmung kann Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung einer Frist nur dann erteilt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln, und wenn er binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses die Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt. Als unverschuldetes Hindernis im Sinne dieser Vorschrift gilt nach der Rechtsprechung auch eine von der zuständigen Behörde erteilte unrichtige Rechtsmittelbelehrung, sofern sich der Betroffene nach den Umständen darauf verlassen durfte (BGE 98 Ia 608, BGE 96 II 265, BGE 92 I 78, BGE 85 II 147 /148, BGE 76 I 357). Im vorliegenden Fall durfte die Beschwerdeführerin, die nicht über besondere juristische Kenntnisse verfügt, aufgrund der Rechtsmittelbelehrung des Obergerichts in guten Treuen annehmen, dessen Entscheid sei mit Nichtigkeitsbeschwerde und somit nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar. Sie wurde daher durch ein unverschuldetes Hindernis davon abgehalten, rechtzeitig die staatsrechtliche Beschwerde einzureichen. Dieses Hindernis fiel erst mit der Kenntnisnahme des kassationsgerichtlichen Entscheids dahin. Das Wiederherstellungsgesuch ist jedoch nach Art. 35 Abs. 1 OG binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses einzureichen, und innert der gleichen Frist ist auch die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (was in BGE 98 Ia 608 E. 4 offenbar übersehen wurde). Es ist einzuräumen, dass dem Beschwerdeführer dadurch die Beschwerdefrist praktisch auf zehn Tage verkürzt wird. Das gilt aber auch für Beschwerdeführer, die durch ein anderes (z.B. physisches) Hindernis davon abgehalten werden, rechtzeitig zu handeln. So hat beispielsweise ein wegen schwerer Erkrankung Verhinderter auch nicht die volle Beschwerdefrist zur Verfügung, wenn er die Beschwerde innert zehn Tagen seit seiner
BGE 111 Ia 355 S. 358
Genesung einreichen muss. Diese Härte liegt in der Ordnung der Wiederherstellung begründet, wie sie in Art. 35 OG ausgestaltet worden ist. Darüber darf sich das Bundesgericht nicht hinwegsetzen, auch nicht unter Hinweis auf den in Art. 107 Abs. 3 OG und Art. 38
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |