111 Ia 2
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. März 1985 i.S. X. AG gegen Steuerverwaltung des Kantons Thurgau und Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst., droit d'être entendu: droit de répliquer.
- Il n'est pas possible de déduire de l'art. 4 Cst. une obligation générale de transmettre au recourant la réponse de l'autorité dont la décision est attaquée. Cependant, lorsque cette autorité n'a pas - ou pas suffisamment - motivé sa décision et n'a indiqué en détail les motifs de cette décision que dans sa réponse, l'autorité de recours viole le droit d'être entendu, tel qu'il découle de l'art. 4 Cst., en refusant de transmettre au recourant cette réponse pour qu'il puisse répliquer.
Regesto (it):
- Art. 4 Cost., diritto di essere sentito: diritto di replica.
- Non può dedursi dall'art. 4 Cost. un obbligo generale di notificare al ricorrente le osservazioni dell'autorità che ha emanato la decisione impugnata. Tuttavia, ove tale autorità non abbia motivato, o non abbia sufficientemente motivato, la propria decisione e abbia specificato i motivi di quest'ultima soltanto nelle osservazioni sul ricorso, il rifiuto dell'autorità di ricorso di notificare al ricorrente tali osservazioni perché possa replicarvi viola il diritto d'essere sentito sgorgante dall'art. 4 Cost.
Sachverhalt ab Seite 2
BGE 111 Ia 2 S. 2
Gegen die ihr mit Verfügung vom 30. Juli 1981 auferlegten Nach- und Strafsteuern erhob die X. AG bei der kantonalen Steuerverwaltung Einsprache. Im Verlaufe des Einspracheverfahrens wurden verschiedene Korrespondenzen ausgetauscht und am 26. Oktober 1982 eine Verhandlung durchgeführt. Am 17. November 1982 verfasste die Steuerverwaltung ein vier Seiten umfassendes Schreiben, in dem sie ihre Auffassung zu verschiedenen streitigen Punkten noch einmal begründete und die Einsprecherin aufforderte, allfällige Schlussbemerkungen einzureichen.
BGE 111 Ia 2 S. 3
Diese nahm schriftlich Stellung am 20. Januar 1983. Ihre Eingabe umfasste 14 Seiten. Am 24. Januar 1983 erging der Einspracheentscheid, worin die Nach- und Strafsteuerpflicht grundsätzlich bestätigt wurde. Der Einspracheentscheid enthielt keine Begründung. Die Steuerpflichtige erhob Beschwerde bei der kantonalen Steuerrekurskommission. Sie rügte unter anderem das Fehlen einer Begründung im Einspracheentscheid. In der Folge reichte die Steuerverwaltung eine 15 Seiten umfassende Vernehmlassung samt 28 Beilagen ein, die der Beschwerdeführerin nicht zur Stellungnahme zugestellt wurden. Am 17. Januar 1984 wies die Steuerrekurskommission die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war. Die Begründung des Beschwerdeentscheides umfasst rund 52 Seiten. Gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission erhob die Beschwerdeführerin staatsrechtliche Beschwerde (u.a.) wegen Verletzung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör. Diesen Anspruch sieht sie dadurch verletzt, dass die Steuerrekurskommission ihr die Vernehmlassung der Steuerverwaltung nicht zugestellt hatte, damit sie in einem weiteren Schriftenwechsel zu den Vorbringen der Steuerverwaltung Stellung nehmen konnte. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Das Beschwerdeverfahren vor der Steuerrekurskommission wird vom kantonalen Recht geregelt. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dieses verpflichte die Steuerrekurskommission, die Vernehmlassung der Steuerverwaltung der beschwerdeführenden Partei zuzustellen; namentlich macht sie nicht geltend, die Steuerrekurskommission wäre nach kantonalem Recht verpflichtet gewesen, einen weiteren Schriftenwechsel anzuordnen. Ein Recht der Beschwerdeführerin auf Replik lässt sich grundsätzlich auch nicht aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 111 Ia 2 S. 4
Solche neuen, erheblichen Gesichtspunkte in der Vernehmlassung der Steuerverwaltung sind namentlich dann zu bejahen, wenn der Einspracheentscheid vom 24. Januar 1983 nicht hinreichend begründet war und sich dessen Begründung erst aus der Vernehmlassung der Steuerverwaltung im Beschwerdeverfahren ergab. Dann hätte die Zustellung der Vernehmlassung an die Beschwerdeführerin und die Anordnung eines weiteren Schriftenwechsels ohne Verweigerung des rechtlichen Gehörs nicht unterbleiben können.
4. a) Es entspricht allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien, insbesondere dem aus Art. 4
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BGE 111 Ia 2 S. 5
darlegte, so müssen die bis zum Einspracheentscheid erfolgten Äusserungen der Steuerverwaltung als knapp und lückenhaft bezeichnet werden. Eine Begründung im eigentlichen Sinne vermögen sie jedenfalls nicht zu ersetzen. Namentlich gestatten diese Äusserungen dem Betroffenen in einem komplexen Fall, wie er hier vorliegt, nicht, sich mit der gebotenen Sorgfalt mit den Argumenten der Steuerverwaltung auseinanderzusetzen und seine Beschwerdeschrift dementsprechend abzufassen. c) Nach dem Gesagten ist somit davon auszugehen, dass die Steuerverwaltung den Einspracheentscheid nicht hinreichend begründet hatte und erst in der Vernehmlassung im Beschwerdeverfahren ihre Gründe ausführlich darlegte. Neue, erhebliche Gesichtspunkte in der Vernehmlassung der Steuerverwaltung sind somit zu bejahen. Indem die Steuerrekurskommission diese Eingabe der Beschwerdeführerin nicht zur Stellungnahme unterbreitete, verletzte sie deren Anspruch auf rechtliches Gehör. Dass diese 15 Seiten umfassende Rechtsschrift nichts wesentlich Neues enthalte, wie die Steuerrekurskommission vor Bundesgericht ausführt, lässt sich im Ernst nicht vertreten, wenn man die Knappheit der übrigen Äusserungen der Steuerverwaltung, die fehlende Begründung des Einspracheentscheids und die Tatsache berücksichtigt, dass sich die Steuerverwaltung in dieser Eingabe zum erstenmal umfassend zum vorliegenden Sachverhalt geäussert hat. Der angefochtene Entscheid ist somit aufzuheben, ohne dass die weiteren Rügen noch zu prüfen wären.