110 V 313
50. Urteil vom 30. Oktober 1984 i.S. Sanofi Pharma AG gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern
Regeste (de):
- Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. c
und Abs. 6 KUVG, Art. 1 und 4 Vo VIII, Vf 10.
- Arzneimittel, die ausschliesslich der Krankheitsverhütung (Prophylaxe) dienen, fallen nicht unter die gesetzlichen Pflichtleistungen; sie können auch in die Spezialitätenliste, welcher lediglich empfehlender Charakter zukommt, nicht aufgenommen werden.
Regeste (fr):
- Art. 12 al. 2 ch. 1 let. c et al. 6 LAMA, art. 1 et 4 Ord. VIII, Ord. dép. 10.
- Les médicaments qui servent uniquement à la prévention de maladies (prophylaxie) ne font pas partie des prestations légalement obligatoires; ils ne peuvent pas non plus être admis dans la liste des spécialités dont la prise en charge est simplement recommandée aux caisses.
Regesto (it):
- Art. 12 cpv. 2 cifra 1 lett. c e cpv. 6 LAMI, art. 1 e 4 Ord. VIII, ODFI 10.
- I medicamenti utili solo alla prevenzione delle malattie (profilassi) non rientrano nelle prestazioni legali obbligatorie; nemmeno possono essere iscritti nella lista delle specialità la cui assunzione è raccomandata alle casse.
Sachverhalt ab Seite 313
BGE 110 V 313 S. 313
A.- Die Sanofi Pharma AG ersuchte am 20. Dezember 1981 um Aufnahme des Präparates Hevac-B, eines Impfstoffes gegen Hepatitis-B-Erkrankungen, in die Spezialitätenliste gemäss Art. 3 ff. der Vo VIII über die Krankenversicherung vom 30. Oktober 1968. Mit Verfügung vom 19. Juli 1982 lehnte das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die Aufnahme des Präparates in die Spezialitätenliste ab, weil es ausschliesslich der Prophylaxe diene.
B.- Gegen diese Verfügung beschwerte sich die Sanofi Pharma AG mit der Begründung, das Hevac-B erfülle sämtliche Voraussetzungen, welche gemäss Art. 3 und 4 Vo VIII für die Aufnahme eines Präparates in die Spezialitätenliste massgebend seien. Eine Rechtsgrundlage für den Ausschluss von Präparaten, die der Prophylaxe dienten, bestehe nicht. Auch könne die Begründung des BSV, wonach das Hevac-B ausschliesslich der Prophylaxe diene, nicht in allen Fällen anerkannt werden. Schliesslich gehöre
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die Verhütung schwerer Erkrankungen in den Aufgabenbereich der sozialen Krankenversicherung. Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) wies die Beschwerde im wesentlichen mit der Feststellung ab, dass die Krankenkassen nach geltendem Recht grundsätzlich keine Leistungen zu erbringen hätten, die der Krankheitsverhütung dienten. Dementsprechend könnten Arzneimittel, deren Wirkung nicht auf Heilung, sondern auf Prophylaxe gerichtet seien, nicht in die Spezialitätenliste aufgenommen werden. Wie die Abklärungen der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) ergeben hätten, diene das Hevac-B - vorbehältlich seltener Ausnahmefälle - allein der Prophylaxe. Die angefochtene Verfügung beruhe auf einer sorgfältigen Prüfung des Falles und verstosse nicht gegen Bundesrecht (Entscheid vom 22. Juni 1983).
C.- Die Sanofi Pharma AG erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei die Sache zur Neubeurteilung an das EDI zurückzuweisen. Dieses schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. (Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, Kognition des Eidg. Versicherungsgerichts: vgl. BGE 108 V 132 Erw. 1.)
2. Nach Art. 12 Abs. 6
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b. Liste der zur Rezeptur für die Krankenkassen zugelassenen pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel (Spezialitätenliste);
c. Liste der Analysen mit Tarif (Analysenliste)."
Nach Art. 4 Abs. 1 Vo VIII sind für die Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste massgebend das medizinische
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Bedürfnis (lit. a), die Zweckmässigkeit und Zuverlässigkeit in bezug auf Wirkung und Zusammensetzung (lit. b) sowie die Wirtschaftlichkeit (lit. c). Nach Abs. 6 der Bestimmung ordnet das EDI nach Anhören der EAK das Nähere über die Aufnahmebedingungen. Dies ist mit der Verfügung 10 des EDI über die Krankenversicherung betreffend die Aufnahme von Arzneimitteln in die Spezialitätenliste vom 19. November 1968 geschehen.
3. a) Die Krankenkassen haben die gesetzlichen Leistungen grundsätzlich nur zu erbringen, wenn der Versicherte an einer Krankheit leidet (BGE 105 V 182 Erw. 1a mit Hinweisen). Die Pflichtleistungen gemäss Art. 12 ff
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indessen festgestellt werden, dass schon heute die Mehrzahl der Versicherten Kassen angeschlossen sei, welche wenigstens die in der Liste aufgeführten Spezialitäten gewährten. Im Hinblick darauf und auch mit Rücksicht auf die finanzielle Tragweite, welche eine Verpflichtung auf die Liste für die Kassen und damit indirekt auch für die Versicherten hätte, erscheine es als richtig, am bisherigen System einer Liste, deren Übernahme den Kassen empfohlen werde, festzuhalten. Dies um so mehr, als für Kassen, welche die Spezialitäten nicht wenigstens gemäss der Liste übernähmen, eine Herabsetzung des Bundesbeitrages (Art. 35 Abs. 1 lit. a
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Ob die Vo VIII bzw. die Vf 10 die Aufnahme von Präparaten in die Spezialitätenliste im genannten Sinne einschränkt oder nicht, ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin unerheblich. Die Nichtaufnahme prophylaktischer Arzneimittel folgt unmittelbar aus dem Gesetz, so dass eine allfällige gegenteilige Regelung als gesetzwidrig zu betrachten wäre. c) Die Beschwerdeführerin macht des weitern geltend, die Unterscheidung zwischen prophylaktischen und therapeutischen Arzneimitteln bei der Aufnahme in die Spezialitätenliste erscheine
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nicht mehr als gerechtfertigt und es entspreche einer allgemeinen Auffassung, dass die Verhütung schwerer Erkrankungen in den Aufgabenbereich der sozialen Krankenversicherung gehöre. Ob und gegebenenfalls inwieweit die Krankenkassen sinnvollerweise auch für die Kosten der Prophylaxe aufkommen sollten, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu erörtern. Die Prüfung dieser Frage, die sowohl in grundsätzlicher als auch in finanzieller Hinsicht von grosser Tragweite ist, obliegt nicht dem Richter, welcher an das Gesetz gebunden ist, sondern dem Gesetzgeber. Entsprechende Vorarbeiten sind gegenwärtig im Gange. Es kann diesbezüglich auf die Botschaft des Bundesrates über die Teilrevision der Krankenversicherung vom 19. August 1981 (BBl 1981 II 1117 ff., insbesondere 1142 und 1165) hingewiesen werden. Danach sollen auch präventivmedizinische Massnahmen Gegenstand der Versicherung bilden, wobei die Leistungspflicht auf bestimmte, in einer Verordnung des Bundesrates näher zu umschreibende Vorkehren beschränkt werden soll. Im übrigen wird ausdrücklich festgehalten, dass die Präventivmassnahmen nach geltendem Recht nicht zu den Pflichtleistungen der Kassen gehören. d) Die Beschwerdeführerin rügt ferner eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit, ohne allerdings anzugeben, worin diese Verletzung bestehen soll. Dem Richter ist es indessen verwehrt, Bundesgesetze und allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse auf Übereinstimmung mit der Verfassung zu prüfen (Art. 113 Abs. 3
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
|
1 | Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
2 | Er beachtet dabei folgende Grundsätze: |
a | Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. |
b | Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
c | Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern. |
d | Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern. |
e | Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären. |
3 | Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. |
4 | Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
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1 | Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
2 | Er beachtet dabei folgende Grundsätze: |
a | Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. |
b | Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
c | Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern. |
d | Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern. |
e | Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären. |
3 | Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. |
4 | Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen. |
4. Beim Hevac-B handelt es sich um einen Impfstoff gegen Hepatitis-B-Erkrankungen. Im vorinstanzlichen Verfahren machte die Beschwerdeführerin geltend, das Präparat diene nicht ausschliesslich der Prophylaxe, sondern bilde u. a. bei Hämodialysen und bei Patienten mit Immunsuppressiva und Nierentransplantationen Teil der Therapie. Die Experten der EAK stellten fest, dass es sich auch in diesen Fällen um Prophylaxe handle; dagegen räumten sie ein, dass es einige seltene Fälle gebe, in denen dem Präparat therapeutische Wirkung zukomme, so beispielsweise, wenn Hevac-B an Spitalpersonal verabreicht werde, das sich mit dem Blut eines an Hepatitis-B erkrankten Patienten infiziert habe. In diesen seltenen
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Fällen würden die Kosten jedoch von den Spitalträgern bzw. den Spitalhaftpflicht-Versicherungen übernommen, so dass keine Notwendigkeit für eine diesbezügliche Kassenzulässigkeit von Hevac-B bestehe. Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, eine besondere Gefährdung bestehe auch für andere Personengruppen; sowohl beim Spitalpersonal als auch bei den übrigen gefährdeten Personengruppen erfolge die Verabreichung von Hevac-B aber nicht erst nach einer Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus; denn es liesse sich nicht verantworten, auf eine Impfung zu verzichten, um dann im Erkrankungsfall die wesentlich höheren Kosten für die Therapie zu übernehmen. Damit bestätigt die Beschwerdeführerin indessen, dass die Verabreichung von Hevac-B auch in diesen Fällen prophylaktisch erfolgt. Selbst für eine begrenzte Kassenzulässigkeit (Aufnahme in die Spezialitätenliste mit Limitation), wie sie für gewisse Impfstoffe Geltung hat, besteht daher kein Grund.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.