109 II 382
80. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. November 1983 i.S. X. (Berufung)
Regeste (de):
- Adoption eines Unmündigen; Absehen von der Zustimmung eines Elternteils (Art. 265c Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist.
- Die Beurteilung der Frage, ob sich ein Elternteil nicht ernstlich um das Kind gekümmert habe, hängt grundsätzlich davon ab, ob zwischen den beiden eine lebendige Beziehung bestehe. Fehlt eine solche trotz intensiver Bemühungen des Elternteils aus Gründen, für die dieser nicht verantwortlich ist, darf von dessen Zustimmung nicht abgesehen werden (Bestätigung der Rechtsprechung).
Regeste (fr):
- Adoption d'un mineur; dispense du consentement d'un des parents (art. 265c ch. 2 CC).
- La question de savoir si un parent ne s'est pas soucié sérieusement de l'enfant dépend en principe de l'existence ou de l'inexistence de liens vivants entre eux. Si, malgré les efforts du parent concerné, de tels liens font défaut pour des raisons dont ce dernier n'a pas à répondre, il ne peut être fait abstraction du consentement parental (confirmation de la jurisprudence).
Regesto (it):
- Adozione di un minorenne; astrazione dal consenso di un genitore (art. 265c n. 2 CC).
- La questione se un genitore non si sia curato seriamente del figlio va risolta in base all'esistenza o l'inesistenza di relazioni effettive tra di essi. Se, malgrado gli sforzi del genitore interessato, tali relazioni mancano per ragioni di cui questi non deve rispondere, non si può prescindere dal suo consenso (conferma della giurisprudenza).
Sachverhalt ab Seite 383
BGE 109 II 382 S. 383
Die ledige A. X. gebar am 10. Mai 1976 im Ausland den Sohn B. Da es ihr nicht möglich war, das Kind bei sich zu behalten, überliess sie es wenige Tage nach der Geburt einer Adoptionsvermittlungsstelle. Als A. X. das Kind binnen der hierfür vorgesehenen gesetzlichen Frist zurückverlangte, wurde ihr mitgeteilt, dass sie vorerst die bis dahin aufgelaufenen Unterhaltskosten zu bezahlen habe. Hiezu war sie jedoch nicht in der Lage. Am 9. November 1976 gab die Adoptionsvermittlungsstelle B. in die Pflege des in der Schweiz wohnhaften kinderlosen Ehepaares Y. In den Jahren 1978/79 kam es zwischen A. X. und der Adoptionsvermittlungsstelle zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, wobei sich ergab, dass keine rechtsgültige Erklärung von A. X. zur Freigabe des Kindes zur Adoption vorgelegen hatte. Schon im Jahre 1978 hatte die Adoptionsvermittlungsstelle die Pflegeeltern durch einen Anwalt ersuchen lassen, den Knaben seiner Mutter zurückzugeben. Mit der gleichen Bitte hatte sich auch A. X. persönlich an die Pflegeeltern gewandt, nachdem sie vom Aufenthaltsort ihres Sohnes Kenntnis erhalten hatte. Die Eheleute Y. waren jedoch mit einer Herausgabe des Kindes nicht einverstanden.
Ende 1978 liess die zuständige Vormundschaftsbehörde A. X. wissen, dass sie dem Begehren um persönlichen Kontakt mit dem Sohn nicht entsprechen könne. Mit Beschluss vom 19. Oktober
BGE 109 II 382 S. 384
1979 entschied sie ferner gestützt auf Art. 274 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 274 - 1 Der Vater und die Mutter haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Aufgabe der erziehenden Person erschwert.334 |
|
1 | Der Vater und die Mutter haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Aufgabe der erziehenden Person erschwert.334 |
2 | Wird das Wohl des Kindes durch den persönlichen Verkehr gefährdet, üben die Eltern ihn pflichtwidrig aus, haben sie sich nicht ernsthaft um das Kind gekümmert oder liegen andere wichtige Gründe vor, so kann ihnen das Recht auf persönlichen Verkehr verweigert oder entzogen werden. |
3 | Haben die Eltern der Adoption ihres Kindes zugestimmt oder kann von ihrer Zustimmung abgesehen werden, so erlischt das Recht auf persönlichen Verkehr, sobald das Kind zum Zwecke künftiger Adoption untergebracht wird. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 310 - 1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
|
1 | Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Kindesschutzbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. |
2 | Die gleiche Anordnung trifft die Kindesschutzbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann. |
3 | Hat ein Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Kindesschutzbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
Erwägungen
Erwägungen:
1. Die Adoption eines Kindes bedarf grundsätzlich der Zustimmung des Vaters und der Mutter (Art. 265a Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265a - 1 Die Adoption bedarf der Zustimmung des Vaters und der Mutter des Kindes. |
|
1 | Die Adoption bedarf der Zustimmung des Vaters und der Mutter des Kindes. |
2 | Die Zustimmung ist bei der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz oder Aufenthaltsort der Eltern oder des Kindes mündlich oder schriftlich zu erklären und im Protokoll vorzumerken. |
3 | Sie ist gültig, selbst wenn die adoptionswilligen Personen nicht genannt oder noch nicht bestimmt sind.293 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
BGE 109 II 382 S. 385
jedoch abgesehen werden, wenn sich dieser um das Kind nicht ernstlich gekümmert hat. Zur Lösung des Widerstreites zwischen den Interessen der leiblichen Eltern einerseits und denjenigen des Kindes an einer Adoption andererseits wurde damit eine Bestimmung in das Zivilgesetzbuch aufgenommen, die mit den Regelungen im deutschen, österreichischen und vor allem im französischen Recht vergleichbar ist. Gemäss § 1748 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches hat das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Kindes die Einwilligung eines Elternteils zu ersetzen, wenn dieser seine Pflichten gegenüber dem Kind anhaltend gröblich verletzt oder durch sein Verhalten gezeigt hat, dass ihm das Kind gleichgültig ist, und wenn zudem das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismässigem Nachteil gereichen würde; ferner kann die Einwilligung auch dann ersetzt werden, wenn die Pflichtverletzung zwar nicht anhaltend, aber besonders schwer ist und das Kind voraussichtlich dauernd nicht mehr der Obhut des betreffenden Elternteils anvertraut werden kann. Nach § 181 Abs. 3 des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches hat das Gericht eine verweigerte Zustimmung auf Begehren eines Antragsberechtigten zu ersetzen, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Verweigerung vorliegen. Der französische Code civil bestimmt in Art. 348-6, dass das zuständige Gericht die Adoption auch gegen den Willen der leiblichen Eltern aussprechen kann, wenn es die Verweigerung der Zustimmung für missbräuchlich hält, weil sich die Eltern oder der fragliche Elternteil so wenig um das Kind gekümmert haben, dass dessen körperliches oder geistiges Wohl gefährdet worden ist. Art. 265c Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
BGE 109 II 382 S. 386
Eltern ihre Pflichten schuldhaft vernachlässigt haben oder nicht. Diese Auslegung von Art. 265c Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265a - 1 Die Adoption bedarf der Zustimmung des Vaters und der Mutter des Kindes. |
|
1 | Die Adoption bedarf der Zustimmung des Vaters und der Mutter des Kindes. |
2 | Die Zustimmung ist bei der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz oder Aufenthaltsort der Eltern oder des Kindes mündlich oder schriftlich zu erklären und im Protokoll vorzumerken. |
3 | Sie ist gültig, selbst wenn die adoptionswilligen Personen nicht genannt oder noch nicht bestimmt sind.293 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
BGE 109 II 382 S. 387
allein auf die Tatsache abstellen, dass im Zeitpunkt des Entscheides keine echte Eltern-Kind-Beziehung besteht (so HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 2. Aufl., S. 73), könnten Eltern ihr Kind allein deshalb verlieren, weil es ihnen durch die zuständigen Behörden unter Berufung auf ein irgendwie verstandenes Interesse des Kindes an einer Adoption oder aus andern Gründen zu Unrecht über längere Zeit vorenthalten wurde. Gerade der hier zu beurteilende Sachverhalt zeigt, welch grosse Bedeutung einem Entzug des Besuchsrechtes zukommen könnte: Nachdem die Berufungsklägerin den Aufenthaltsort ihres Sohnes schon verhältnismässig bald hatte ausfindig machen können und verlangt hatte, das Kind zu sehen, liess die Vormundschaftsbehörde sie - am 28. Dezember 1978 mit gewöhnlichem Schreiben und am 19. Oktober 1979 alsdann in einem formellen Beschluss - wissen, dass ihr das Besuchsrecht verweigert werde. Zur Begründung dieses Beschlusses wies die Vormundschaftsbehörde unter anderem darauf hin, dass eine Adoption ... im Vordergrund stehe und dass eine Zusammenkunft deshalb wie auch aus andern Gründen verheerende Folgen für das Kind haben könnte. Diese Argumentation war nicht ganz unbedenklich, wusste doch die Vormundschaftsbehörde zu jenem Zeitpunkt bereits, dass nach den im Ausland ergangenen Gerichtsurteilen die Berufungsklägerin ihre Rechte über ihren Sohn nicht verloren hatte, so dass in Anbetracht ihrer Bemühungen um Kontakte mit ihm angenommen werden musste, sie würde sich einer Adoption widersetzen.
2. Nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid und im Beschluss der unteren Aufsichtsbehörde vom 8. April 1982, auf den die Vorinstanz verweist, hat B. die Berufungsklägerin seit dem Zeitpunkt, da er - kurz nach der Geburt - von ihr weggegeben wurde, nicht mehr gesehen. Aus sprachlichen Gründen ist jegliche Kommunikation zwischen den beiden unmöglich gewesen. Von einer lebendigen Mutter-Kind-Beziehung kann somit seit Jahren keine Rede mehr sein. Wie auch die Vorinstanz einräumt, trifft die Berufungsklägerin daran jedoch keinerlei Verschulden. Diese hat unablässig und mit allen möglichen Mitteln, so unter anderem auch auf dem Wege gerichtlicher Verfahren, die Rückgabe ihres Sohnes zu erwirken versucht. Daneben war sie aber auch um den Aufbau einer lebendigen Mutter-Kind-Beziehung bemüht. Dafür, dass eine solche von vornherein hätte zum Scheitern verurteilt sein müssen, bestehen keine Anhaltspunkte. In Anbetracht ihrer sehr intensiven Bemühungen kann nicht gesagt werden, die Berufungsklägerin
BGE 109 II 382 S. 388
habe sich nicht ernstlich um ihr Kind gekümmert und die Voraussetzungen von Art. 265c Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 265c - Von der Zustimmung eines Elternteils kann abgesehen werden, wenn er unbekannt, mit unbekanntem Aufenthalt länger abwesend oder dauernd urteilsunfähig ist. |
3. Das Bemühen der Berufungsklägerin um den Aufbau einer Beziehung zu ihrem Sohn erscheint auch aus der Sicht der heutigen Sachlage nicht als von vornherein aussichtslos. Wohl lebt die Berufungsklägerin in einem anderen Sprach- und Kulturkreis als ihr Kind und stehen ihr nicht alle wünschbaren Möglichkeiten offen, die verhältnismässig grosse Entfernung leichthin zu überwinden. Trotzdem brauchen gelegentliche Kontakte nicht als von vornherein ausgeschlossen betrachtet zu werden.