Urteilskopf

108 V 215

46. Auszug aus dem Urteil vom 17. November 1982 i.S. Meier gegen Ausgleichskasse "Versicherung" und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 215

BGE 108 V 215 S. 215

Gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten teilte die Ausgleichskasse "Versicherung" der Versicherten mit Schreiben vom 5. August 1980 folgendes mit: "Die Erwerbsfähigkeit kann durch intensive Psychotherapie wesentlich verbessert werden. Die Versicherte wird daher verpflichtet, sich einer solchen zumutbaren medizinischen Vorkehr zu unterziehen. Diese Behandlungskosten gehen aber nicht zu Lasten der Invalidenversicherung. Sollte sich die Versicherte nicht einer solchen Behandlung unterziehen, müsste die Invalidenversicherungs-Kommission prüfen, ob auf Grund von Art. 31
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 31
IVG die Rente zu entziehen wäre. Die Versicherte hat den behandelnden Psychiater unverzüglich dem Invalidenversicherungs-Sekretariat Zürich, Josefstrasse 59, Zürich, bekanntzugeben." Dieses Schreiben war als "Verfügung" bezeichnet und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen.
BGE 108 V 215 S. 216

Nach Abweisung ihrer Beschwerde durch die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich erhebt die Versicherte Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei von der angeordneten Behandlung abzusehen.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. b) Zu prüfen ist, ob es sich beim Verwaltungsakt vom 5. August 1980 um eine anfechtbare Verfügung handelt. Bei der Eingliederung ist zu unterscheiden zwischen den von der Invalidenversicherung "angeordneten" Eingliederungsmassnahmen (Art. 8 ff
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 8 Grundsatz - 1 Invalide oder von einer Invalidität (Art. 8 ATSG79) bedrohte Versicherte haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit:
1    Invalide oder von einer Invalidität (Art. 8 ATSG79) bedrohte Versicherte haben Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit:
a  diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern; und
b  die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind.80
1bis    Der Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen besteht unabhängig von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vor Eintritt der Invalidität. Bei der Festlegung der Massnahmen sind insbesondere zu berücksichtigen:
a  das Alter;
b  der Entwicklungsstand;
c  die Fähigkeiten der versicherten Person; und
d  die zu erwartende Dauer des Erwerbslebens.81
1ter    Bei Abbruch einer Eingliederungsmassnahme wird nach Massgabe der Absätze 1 und 1bis eine wiederholte Zusprache derselben oder einer anderen Eingliederungsmassnahme geprüft.82
2    Nach Massgabe der Artikel 13 und 21 besteht der Anspruch auf Leistungen unabhängig von der Möglichkeit einer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich.83
2bis    Nach Massgabe von Artikel 16 Absatz 3 Buchstabe b besteht der Anspruch auf Leistungen unabhängig davon, ob die Eingliederungsmassnahmen notwendig sind oder nicht, um die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, zu erhalten oder zu verbessern.84
3    Die Eingliederungsmassnahmen bestehen in:
a  medizinischen Massnahmen;
ater  Integrationsmassnahmen zur Vorbereitung auf die berufliche Eingliederung;
b  Massnahmen beruflicher Art;
c  ...88
d  der Abgabe von Hilfsmitteln;
e  ...89
4    ...90
. IVG) und der blossen Aufforderung zur Selbsteingliederung. Im ersteren Fall handelt es sich um Anordnungen der Behörden im Sinne von Art. 5
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 5
1    Als Verfügungen gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und zum Gegenstand haben:
a  Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten;
b  Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten;
c  Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten oder Nichteintreten auf solche Begehren.
2    Als Verfügungen gelten auch Vollstreckungsverfügungen (Art. 41 Abs. 1 Bst. a und b), Zwischenverfügungen (Art. 45 und 46), Einspracheentscheide (Art. 30 Abs. 2 Bst. b und 74), Beschwerdeentscheide (Art. 61), Entscheide im Rahmen einer Revision (Art. 68) und die Erläuterung (Art. 69).25
3    Erklärungen von Behörden über Ablehnung oder Erhebung von Ansprüchen, die auf dem Klageweg zu verfolgen sind, gelten nicht als Verfügungen.
VwVG. Der Versicherte hat die Möglichkeit, sich gegen die Anordnung der Massnahme zu beschweren. Anders verhält es sich bezüglich der Selbsteingliederung. Art. 31
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 31
IVG enthält nur die Pflicht der Ausgleichskasse zur "Aufforderung" an den Versicherten, sich selbst einzugliedern, sowie zur "Androhung" der Rentenverweigerung oder des Rentenentzuges. Weil mit dieser Aufforderung keine konkrete Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung angeordnet, sondern lediglich eine vom Gesetz verlangte formelle Voraussetzung zur Rentenverweigerung oder zum Rentenentzug geschaffen wird, handelt es sich bei dieser "Aufforderung" nicht um eine verpflichtende Verfügung gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. a
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 5
1    Als Verfügungen gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und zum Gegenstand haben:
a  Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten;
b  Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten;
c  Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten oder Nichteintreten auf solche Begehren.
2    Als Verfügungen gelten auch Vollstreckungsverfügungen (Art. 41 Abs. 1 Bst. a und b), Zwischenverfügungen (Art. 45 und 46), Einspracheentscheide (Art. 30 Abs. 2 Bst. b und 74), Beschwerdeentscheide (Art. 61), Entscheide im Rahmen einer Revision (Art. 68) und die Erläuterung (Art. 69).25
3    Erklärungen von Behörden über Ablehnung oder Erhebung von Ansprüchen, die auf dem Klageweg zu verfolgen sind, gelten nicht als Verfügungen.
VwVG. Anderseits liegt aber auch keine zulässige Feststellungsverfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 5
1    Als Verfügungen gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und zum Gegenstand haben:
a  Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten;
b  Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten;
c  Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten oder Nichteintreten auf solche Begehren.
2    Als Verfügungen gelten auch Vollstreckungsverfügungen (Art. 41 Abs. 1 Bst. a und b), Zwischenverfügungen (Art. 45 und 46), Einspracheentscheide (Art. 30 Abs. 2 Bst. b und 74), Beschwerdeentscheide (Art. 61), Entscheide im Rahmen einer Revision (Art. 68) und die Erläuterung (Art. 69).25
3    Erklärungen von Behörden über Ablehnung oder Erhebung von Ansprüchen, die auf dem Klageweg zu verfolgen sind, gelten nicht als Verfügungen.
VwVG vor, weil "Aufforderung" und "Androhung" keinen individualisierten Gehalt besitzen, sondern lediglich auf eine generelle gesetzliche Pflicht (Selbsteingliederung) und die generelle Folge einer entsprechenden Pflichtverletzung (Rentenverweigerung bzw. -entzug) hinweisen. Zu einer anfechtbaren Verfügung wird es erst kommen, falls die Ausgleichskasse eine Verletzung der Pflicht zur Selbsteingliederung feststellen und androhungsgemäss im Sinne von Art. 31
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 31
IVG die Rente entziehen sollte. Nach dem Gesagten hätte die Vorinstanz auf die Beschwerde nicht eintreten dürfen mangels Vorliegens einer anfechtbaren Verfügung. Andererseits hat aber die Mahnung als solche weiterhin als Voraussetzung für einen allfälligen Rentenentzug oder eine Rentenherabsetzung Bestand.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 108 V 215
Date : 17. November 1982
Published : 31. Dezember 1982
Source : Bundesgericht
Status : 108 V 215
Subject area : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Subject : Art. 5 Abs. 1 VwVG. Die Fristansetzung zur Vornahme einer als zumutbar erachteten Selbsteingliederungsmassnahme verbunden


Legislation register
IVG: 8  31
VwVG: 5
BGE-register
108-V-215
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
integration of oneself • hamlet • decision • decree • instructions about a person's right to appeal • psychiatric expertise • treatment costs • statement of affairs • lower instance • psychotherapy • appointment