108 IV 94
24. Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai 1982, i.S. Blumati gegen Frick (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
- Wem in amtlicher Funktion eine Informationspflicht obliegt, ist durch Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
Regeste (fr):
- Art. 32 CP, actes de fonction licites.
- Celui qui est obligé par sa fonction de donner des renseignements est couvert par l'art. 32 CP, pour autant que les informations destinées au public aient le contenu approprié, qu'elles n'aient pas été faites de mauvaise foi, qu'elles ne soient pas inutilement blessantes et qu'elles respectent le principe de la proportionnalité. Le devoir d'information peut être fondé sur le droit cantonal ou communal (consid. 2a, b).
Regesto (it):
- Art. 32 CP, atti leciti perché risultanti da un dovere d'ufficio.
- Chi per dovere d'ufficio è tenuto a fornire informazioni è tutelato dall'art. 32 CP, in quanto le informazioni destinate al pubblico abbiano un contenuto appropriato, non siano state date in mala fede, non siano inutilmente lesive e rispettino il principio della proporzionalità. L'obbligo d'informare può essere fondato sul diritto cantonale o comunale (consid. 2a, b).
Sachverhalt ab Seite 94
BGE 108 IV 94 S. 94
A.- Nach dem sog. Opernhaus-Krawall vom 30. Mai 1980, der zu gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber der Polizei und Zivilpersonen geführt hatte, kam es in Zürich wiederholt zu ähnlichen Demonstrationen, bei denen grosser Sachschaden verursacht wurde. Dabei bildete sich die sog. "Bewegung", die sich regelmässig an Vollversammlungen traf. Umberto Blumati nahm an solchen Versammlungen als Sprecher am Mikrophon aktiv teil und solidarisierte sich mit den Demonstranten. An einer Fernsehdiskussion ergriff er ebenfalls Partei für die Demonstranten. Auch sprach er im gleichen Zusammenhang mehrmals am Radio und berichtete in Zeitungen über die Zürcher Ereignisse. Am 20. Juni 1980 beauftragte der Gesamtstadtrat von Zürich die Polizei, die Haupträdelsführer in Präventivhaft zu nehmen und alle Massnahmen zu treffen, um allfällige weitergehende Demonstrationen als die einer Vollversammlung auf dem Helvetiaplatz zu verhindern. Am Morgen des 21. Juni 1980 wurde Blumati gestützt auf den
BGE 108 IV 94 S. 95
genannten Stadtratsbeschluss von Zivilpolizisten in Präventivhaft genommen. Zugleich wurden fünf weitere Personen arretiert. Am Nachmittag desselben Tages wurden alle Festgenommenen wieder freigelassen. Blumati begab sich danach auf den Helvetiaplatz und äusserte sich am dort stattfindenden POCH-Fest über seine Inhaftierung. Der Journalist Dominik Landwehr, der einen Bericht über die Präventivhaft zu verfassen hatte, erfuhr daselbst von der Festnahme Blumatis. Um mehr Informationen für seinen Bericht zu erhalten, wandte er sich in der Folge telefonisch an die Pressestelle der Stadtpolizei Zürich und an Stadtrat Hans Frick, Polizeivorstand der Stadt Zürich, persönlich. Hierauf verfasste er einen Zeitungsbericht, der am 23. Juni 1980 in den NZN erschien. Darin war u.a. zu lesen: "Wie der Polizeivorstand Hans Frick auf Anfrage erklärte, waren die Verhafteten der Polizei als "Drahtzieher" bekannt. Sie hätten, so meinte Frick weiter, zu unbewilligten Demonstrationen und rechtswidrigem Verhalten aufgewiegelt ... Besonders problematisch dürfte diese Präventivhaft beim Sozialpädagogen Umberto Blumati gewesen sein - er hatte schon verschiedene Male als Vermittler zwischen den Behörden und den Jugendlichen gewirkt. Auch er gehört laut Frick zu den ominösen "Drahtziehern" ..."
B.- Am 19. September 1980 klagte Blumati Stadtrat Frick wegen Ehrverletzung nach Art. 173 ff
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
|
1 | Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
2 | Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar. |
3 | Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen. |
4 | Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden. |
5 | Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen. |
C.- Blumati führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Frick beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Das Obergericht hat die zwei auch gegen Blumati gerichteten Äusserungen Fricks, die von Polizei Verhafteten seien als Drahtzieher bekannt und hätten zu unbewilligten Demonstrationen und rechtswidrigem Verhalten aufgewiegelt, als ehrverletzend gewürdigt, den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede bejaht und auch den Vorsatz Fricks festgestellt. Es hat diesen aber freigesprochen, weil er die eingeklagten, einem Journalisten gegenüber getanen Äusserungen in Erfüllung seiner Amtspflicht gemäss Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
BGE 108 IV 94 S. 96
2. In BGE 106
IV 181 hat das Bundesgericht die Auffassung der damaligen Vorinstanz als zutreffend bezeichnet, wonach der allgemeine Rechtfertigungsgrund der Amtspflicht nach Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
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1 | Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
2 | Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar. |
3 | Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen. |
4 | Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden. |
5 | Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
BGE 108 IV 94 S. 97
und offene Informationstätigkeit gewährleisten, um den Organen der öffentlichen Meinung bei der Meinungsbildung und der demokratischen Diskussion die Aufgabe zu erleichtern; innerhalb der gesetzlichen Schranken gehöre die Orientierung der Bevölkerung über die Tätigkeit der Verwaltung zu den Amtspflichten der Zürcher Stadtbehörden. In diese der amtlichen Informationspflicht unterliegende Tätigkeit schloss das Gericht auch die Massnahmen der Polizei ein, welche am 21. Juni 1980 in Ausführung des vom Gesamtstadtrat am 20. Juni 1980 beschlossenen Präventivhaft "der Haupträdelsführer" getroffen wurden.
Damit ist für den Kassationshof verbindlich festgestellt, dass die Orientierung der Presse über die Präventivverhaftung des Beschwerdeführers und über ihre Gründe zum Pflichtenheft des Stadtrates und Polizeivorstandes Frick gehört hat; denn nach den genannten Richtlinien vom 19. Februar 1970, denen der Charakter einer Verwaltungsverordnung mit Aussenwirkung für Dritte (BGE 105 Ia 352) zukommt, gehören zu den Organen der öffentlichen Meinung, die "unaufgefordert mit den Informationen zu bedienen sind" u.a. die Tages- und Wochenzeitungen auf dem Platze Zürich mit zürcherischer Lokalredaktion sowie die freien Journalisten, die für zürcherische Zeitungen und Quartierblätter über Lokalereignisse schreiben (Richtlinien A 1 lit. a). Dass der Journalist Landwehr, der nach seinen Aussagen vom "Züri Leu" den Auftrag erhalten hatte, einen Bericht über die Präventivhaft zu verfassen, welcher dann schliesslich nicht in dieser Zeitung, sondern in den NZN veröffentlicht wurde, zu den in jenen Richtlinien erwähnten "Organen der öffentlichen Meinung" gehörte, bestreitet auch der Beschwerdeführer nicht. Sodann steht ausser Frage, dass die Öffentlichkeit im Bereich der Stadt Zürich ein Interesse daran hatte, über die vom Gesamtstadtrat beschlossenen und von der Polizei vollzogenen Präventivverhaftungen des 21. Juni 1980 und über ihre Gründe nicht nur von den Betroffenen selbst - was der Beschwerdeführer unmittelbar nach seiner Freilassung am sog. POCH-Fest getan hatte -, sondern auch von behördlicher Seite aus unterrichtet zu werden. b) Angesichts dessen bleibt zu entscheiden, ob die Orientierung der Öffentlichkeit durch den Beschwerdegegner über den Weg des Journalisten Landwehr sich im Rahmen der oben genannten amtlichen Informationspflicht hielt, m.a.W., ob die Äusserungen Fricks den gebotenen Sachbezug zu den ihm vom Journalisten gestellten Fragen gehabt haben, nicht wider besseres Wissen getan wurden
BGE 108 IV 94 S. 98
und nicht unnötig verletzend und unverhältnismässig gewesen sind. Der Sachbezug ist offensichtlich gegeben, wollte doch der genannte Journalist über die Präventivhaft im allgemeinen und über die Festnahme Blumatis und ihre Hintergründe im besonderen informiert werden. Nicht nur war Landwehr, wie er als Zeuge am 3. April 1981 ausgesagt hatte, von sich aus an den Beschwerdegegner gelangt, um zu erfahren, "weshalb gerade diese sechs Personen verhaftet" wurden, sondern er hatte auch ausdrücklich erklärt: "Auf den Namen Blumati kam ich zu sprechen". Des weiteren führt das Obergericht aus, Frick habe die Äusserungen nicht wider besseres Wissen getan. Diese Feststellung betrifft den inneren Sachverhalt und ist daher als tatsächliche Annahme für den Kassationshof verbindlich (BGE 104 IV 36 E. 1 mit Verweisungen). Sie wird übrigens auch in der Beschwerde mit Recht nicht bestritten. Sodann kann auch nicht gesagt werden, die eingeklagten Äusserungen seien über das hinausgegangen, was der Beschwerdegegner in vertretbarer Weise als zur Beantwortung der vom Journalisten gestellten Fragen notwendig hat erachten dürfen. Landwehr wollte den Grund der Präventivverhaftung von sechs Personen und namentlich derjenigen des Blumati wissen. Da eine Präventivmassnahme, wie sie vom Stadtrat am 20. Juni 1980 beschlossen und von der Polizei am 21. Juni 1980 vollzogen wurde, nicht leichthin, sondern nur angeordnet werden darf, wenn erhebliche Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dafür sprechen, musste Frick - wollte er seiner amtlichen Informationspflicht genügen - die Gründe nennen, welche den Gesamtstadtrat zu seinem Beschluss veranlasst hatten. Aus diesem unter dem Titel "Jugendprobleme, weiteres Vorgehen, insbesondere Einsatz der Stadtpolizei an den zu erwartenden Demonstrationen von Samstag, den 21. Juni 1980" protokollierten Beschluss, mit welchem die Polizeiorgane beauftragt wurden, "die Haupträdelsführer in Präventivhaft zu nehmen und alle Massnahmen zu treffen, um allfällige weitergehende Demonstrationen als die einer Vollversammlung auf dem Helvetiaplatz aufzulösen", folgt ohne weiteres, dass die genannte Behörde nach den seit dem 30. Mai 1980 immer wieder ausgebrochenen Krawallen befürchtete, dass das bewilligte POCH-Fest unter dem Einfluss von dem Stadtrat aus früheren, unbewilligten Demonstrationen bekannten Rädelsführern in eine
BGE 108 IV 94 S. 99
gewalttätige Demonstration ausarten könnte. Da in Ausführung dieses Beschlusses Blumati von der Polizei festgenommen wurde, war es gegeben, dem nach den Gründen der Präventivverhaftung fragenden Journalisten zu sagen, dass der Beschwerdeführer zu den im Beschluss des Gesamtstadtrats erwähnten "Haupträdelsführern" zähle. Frick hat dabei den Ausdruck "Drahtzieher" verwendet und erklärt, diese hätten zu unbewilligten Demonstrationen und damit zu einem rechtswidrigen Verhalten aufgewiegelt. Damit aber hat er dem Gehalt nach nicht mehr gesagt, als was sinngemäss bereits im Beschluss des Gesamtstadtrats lag, nämlich dass Blumati als "Drahtzieher" bzw. "Haupträdelsführer" galt und deswegen verhaftet wurde. Die Äusserungen Fricks waren insoweit wahr und gingen nicht über das für die Erfüllung der Informationspflicht Notwendige hinaus. Mit Rücksicht darauf schliesslich, dass einerseits die durch die vorausgegangenen Unruhen aufgeschreckte Bevölkerung ein legitimes Interesse daran hatte, im einzelnen zu wissen, was der Stadtrat gegen weitere Ausschreitungen unternommen hatte und dass anderseits der Beschwerdeführer selber nach seiner Freilassung die Öffentlichkeit über seine Präventivverhaftung unterrichtet hatte, war das Vorgehen des Beschwerdegegners auch mit Bezug auf die Nennung des Namens Blumati, den übrigens der Journalist selber zuerst erwähnt hatte, nicht unverhältnismässig.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.