Urteilskopf

108 Ia 203

36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. April 1982 i.S. Frei gegen Bernhardsgrütter (staatsrechtliche Beschwerde)
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 203

BGE 108 Ia 203 S. 203

Dr. Med. Otto Bernhardsgrütter macht den Landwirt Alfred Frei für die Folgen eines Reitunfalls haftbar. Er klagt auf Fr. 104'242.05 nebst Zins, weil er wegen einer schweren Knieverletzung neun Wochen voll und vier Wochen zur Hälfte arbeitsunfähig gewesen sei und dabei einen Verdienstausfall als frei praktizierender Arzt und als Inhaber, Leiter und Lehrer einer Arztgehilfinnenschule erlitten habe. Das Bezirksgericht Arbon wies die Klage ab; der Beklagte sei zwar Tierhalter im Sinne von Art. 56
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 56 - 1 Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
1    Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff, wenn das Tier von einem andern oder durch das Tier eines andern gereizt worden ist.
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OR gewesen, habe jedoch alle gebotene Sorgfalt angewandt; der Unfall sei ausschliesslich vom Kläger verschuldet. Das Obergericht liess demgegenüber die Halterfrage offen, bejahte dagegen die Haftung des Beklagten aus Verschulden gemäss Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR und verneinte ein Selbstverschulden des Klägers. Am 26. Mai 1981 erklärte es den Beklagten als voll haftbar, beschränkte aber seinen Entscheid vorläufig auf ein Teilurteil über die Haftungsfrage, weil bezüglich der Höhe des Schadens zu erwarten sei, dass sich die Parteien
BGE 108 Ia 203 S. 204

hierüber nach rechtskräftiger Beurteilung der Haftungsfragen gütlich einigen könnten. Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV beantragt der Beklagte, dieses Teilurteil aufzuheben. Der Kläger und das Obergericht beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Beklagte zudem Berufung eingereicht.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Der angefochtene Entscheid erging wohl letztinstanzlich, er ist aber kein Endentscheid, weil das Obergericht lediglich die Haftung des Beklagten bejaht, ohne zugleich betragsmässig über die Klageforderung zu entscheiden. Es handelt sich demnach um einen letztinstanzlichen Zwischenentscheid, welcher nach Art. 87 OG nur dann mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV angefochten werden kann, wenn er für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat. Diese Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit dient der Prozessökonomie. Sie soll verhindern, dass das kantonale Verfahren unnötig unterbrochen wird; auch soll das Bundesgericht im gleichen Prozess nicht mehrmals angerufen werden können. Der nicht wiedergutzumachende Nachteil, welcher demgegenüber die Anfechtung von Zwischenentscheiden erlaubt, muss nach der Rechtsprechung ein solcher rechtlicher Natur sein; eine nur tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 106 Ia 228 f., 233 f. mit Hinweisen). Danach wäre die vorliegende Beschwerde nicht zulässig, weil der Beschwerdeführer seine Rügen auch noch im Anschluss an den Endentscheid des Obergerichts erheben könnte. a) Indes ficht der Beschwerdeführer den Zwischenentscheid des Obergerichts zugleich mit Berufung an. Dies ist nach Art. 50 OG zulässig, wenn dadurch sofort ein Endentscheid herbeigeführt und ein so bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte Anrufung des Bundesgerichts gerechtfertigt erscheint. Vorliegend sind streitig das Ausmass der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und der Verdienstausfall des Beschwerdegegners als freiberuflich tätiger Spezialarzt und Leiter einer Arztgehilfinnenschule, wozu beide Parteien sich auf Expertisen berufen. Erfüllt ist auch das
BGE 108 Ia 203 S. 205

zweite Erfordernis, indem die Gutheissung der Berufung zur Abweisung der Klage führen könnte. Das setzt indessen, jedenfalls in der Regel, die Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde voraus (Art. 57 Abs. 5 OG); dem steht jedoch wie dargelegt die Rechtsprechung zu Art. 87 OG entgegen. b) In diesem offensichtlichen Konflikt verdient Art. 50 OG, der die Anfechtung von Zwischenentscheiden unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich zulässt, den Vorrang. Es kann nicht angenommen werden, diese Berufungsmöglichkeit entfalle, wenn zugleich staatsrechtliche Beschwerde erhoben ist. Das muss zur Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde führen, sei es, dass in diesen Fällen auf das Erfordernis eines besonders gearteten rechtlichen Nachteils im Sinn der Rechtsprechung verzichtet wird, sei es, dass dieser im Verlust des Berufungsrechts aus Art. 50 OG erblickt wird. Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts, welche in der Sache ebenfalls betroffen ist, hat dieser Betrachtungsweise zugestimmt. Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 108 IA 203
Datum : 20. April 1982
Publiziert : 31. Dezember 1982
Quelle : Bundesgericht
Status : 108 IA 203
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Art. 87, 50 und 57 Abs. 5 OG. Ist gegen einen letztinstanzlichen Zwischenentscheid mit der staatsrechtlichen Beschwerde


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG: 50  57  87
OR: 41 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
56
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 56 - 1 Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
1    Für den von einem Tier angerichteten Schaden haftet, wer dasselbe hält, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet habe, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
2    Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff, wenn das Tier von einem andern oder durch das Tier eines andern gereizt worden ist.
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BGE Register
106-IA-226 • 108-IA-203
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
staatsrechtliche beschwerde • beklagter • zwischenentscheid • weiler • bundesgericht • endentscheid • leiter • schaden • entscheid • voraussetzung • beschwerdegegner • wiese • zins • tierhalter • sachverhalt • landwirt • arzt • spezialarzt • selbstverschulden • knieverletzung • kantonales verfahren
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