107 IV 113
33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. September 1981 i.S. A. und Kons. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 286 - Wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten an einer Handlung hindert, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt, wird mit Geldstrafe bis zu 30 Tagessätzen bestraft.
- 1. "Andere Beschränkung" der Handlungsfreiheit verneint in einem Fall relativ kurzfristigen, weder mit einer bestimmten Forderung noch mit irgendwelchen Drohungen verbundenen Verweilens einer Gruppe von Studenten in einer Fakultätssitzung (Erw. 3).
- 2. Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 286 - Wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten an einer Handlung hindert, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt, wird mit Geldstrafe bis zu 30 Tagessätzen bestraft.
Regeste (fr):
- Art. 181, 286 CP; contrainte; opposition aux actes de l'autorité.
- 1. Il n'y a pas "entrave de quelque autre manière dans la liberté d'action" au sens de cette disposition, lorsque des étudiants, pendant un laps de temps relativement bref, sans présenter d'exigences particulières ni formuler de menaces quelconques, imposent leur présence aux professeurs lors d'une réunion de faculté (consid. 3).
- 2. Opposition aux actes de l'autorité (art. 286 CP). Le comportement décrit plus haut constitue en revanche une telle opposition (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 181, 286 CP; coazione; impedimento di atti dell'autorità.
- 1. La libertà d'agire non è "intralciata in altro modo" ai sensi di questa disposizione in un caso in cui un gruppo di studenti impone la propria presenza ai partecipanti ad una riunione di facoltà durante un periodo di tempo relativamente breve, senza presentare esigenze particolari e senza esprimere minacce d'alcun genere (consid. 3).
- 2. Impedimento di atti dell'autorità (art. 286 CP). Il comportamento sopra illustrato adempie la fattispecie legale del reato di cui all'art. 286 CP (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 114
BGE 107 IV 113 S. 114
A.- Am 5. Juli 1979 ca. 20.30 Uhr sollte in der Universität Bern eine Sitzung der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät stattfinden. Es war vorgesehen, ein neues Studien- und Prüfungsreglement der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung zu beraten. Gegen den Entwurf des Reglementes bestand unter den Studenten Opposition. Im Hinblick auf dieses Traktandum war durch Flugblätter zu einer Versammlung der Studenten aufgerufen worden. Um 18.30 trafen sich etwa 80 Studenten im Universitätsgebäude und beschlossen, dass eine 20 köpfige Delegation in der Fakultätssitzung vorsprechen und eine vorbereitete Erklärung über ihre Forderung nach paritätischer Mitbestimmung verlesen sollte. Als nach einer vorangehenden Promotionssitzung der Dozenten gegen 20.30 Uhr die ordentlichen Studenten- und Assistentenvertreter für die anschliessende Sitzung der erweiterten Fakultät den Sitzungsraum betreten konnten, verlangte auch die ad hoc gebildete Delegation von zwanzig Studenten Einlass. Nach einer kurzen Diskussion an der Türe wurde ihnen der Eintritt nicht verwehrt. Die Studenten brachten Sitzgelegenheiten mit, nahmen Platz und überreichten Blumen. Der sitzungsberechtigte Studentenvertreter S. verlas hierauf eine Erklärung, in welcher vor allem die Bildung einer gemischten (paritätischen) Kommission zur Ausarbeitung des umstrittenen Prüfungsreglementes gefordert wurde. Nach dem Verlesen der Erklärung forderte der Dekan, Prof. B., die zwanzigköpfige Delegation auf, das Sitzungszimmer nunmehr zu verlassen; er unterstrich diese Aufforderung dadurch, dass er die Studentin J. am Arm hinausführen wollte. Zwei Professoren, die an die Adresse der Studenten Bemerkungen machten, wurde vom Dekan Schweigen geboten. Obschon damit klargestellt war, dass der Vorsitzende die von den Studenten gewünschte Diskussion
BGE 107 IV 113 S. 115
nicht erlaubte, traf die Delegation keine Anstalten, den Saal gemäss Aufforderung zu verlassen. Der Dekan brach darauf die Sitzung ab. Gemäss den von ihm getroffenen Vorbereitungen dislozierten die Dozenten, mit Ausnahme der Professoren W. und I., ins Obergerichtsgebäude, wo die Sitzung ca. um 21.00 Uhr, 10 bis 15 Minuten nach dem Abbruch im Universitätsgebäude, wieder aufgenommen werden konnte. Im Plenarsaal fand die vorgesehene zweite Lesung des umstrittenen Reglementes statt.
B.- Wegen dieses Vorfalles vom 5. Juli 1979 wurde in Bern ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren durchgeführt. a) Zehn Studenten, die festgestelltermassen als Angehörige der Delegation den Sitzungsraum betreten haben und der Aufforderung des Dekans zum Verlassen der Sitzung keine Folge leisteten, verurteilte der Gerichtspräsident VII von Bern wegen Hinderung einer Amtshandlung zu je einer Busse von Fr. 50.-- und sprach sie von der Anschuldigung der Nötigung frei. b) Auf Appellation der Verurteilten und der Staatsanwaltschaft überprüfte das Obergericht den Entscheid des Gerichtspräsidenten vollumfänglich. Es erklärte mit Urteil vom 19. Dezember 1980 die zehn Angeklagten der Nötigung schuldig und verurteilte sie zu je einer Busse von Fr. 200.--. Den Tatbestand der Hinderung einer Amtshandlung hielt es ebenfalls für erfüllt, nahm aber an, Art. 286
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 286 - Wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten an einer Handlung hindert, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt, wird mit Geldstrafe bis zu 30 Tagessätzen bestraft. |
C.- Die zehn verurteilten Studenten führen gegen den Entscheid des Obergerichtes vom 19. Dezember 1980 Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Begehren, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung der Angeklagten an die kantonale Behörde zurückzuweisen. Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Schuldspruch wegen Nötigung bezieht sich ausschliesslich auf die Tatsache, dass die Angeklagten nach Verlesen der vorbereiteten Erklärung der Aufforderung des Dekans zum Verlassen des Sitzungsraumes nicht Folge leisteten und dadurch die Aufnahme der Beratungen der erweiterten Fakultät hinderten. Die Schilderung der diesem unberechtigten Verweilen im Sitzungsraum vorangehenden und nachfolgenden Ereignisse (Flugblätter,
BGE 107 IV 113 S. 116
Betreten des Sitzungsraumes, Verwendung von Lautsprechern usw.) bildet nicht Gegenstand der Verurteilung, sondern dient der Darstellung des "Umfeldes", in welchem sich der inkriminierte Sachverhalt abspielte.
3. Das Obergericht kam zum Schluss, durch das Verweilen im Sitzungsraum der Fakultät hätten die Angeklagten, die in der Mehrzahl waren - 20 Studenten gegen 17 Dozenten -, die Handlungsfähigkeit der Dozenten stark eingeschränkt und die ordentliche Abwicklung der Sitzung im vorgesehenen Sitzungszimmer zur vorgesehenen Zeit praktisch verunmöglicht. Das übliche Mass der zulässigen Beeinflussung sei damit bei weitem überschritten worden, die Aktion müsse von den gewählten Mitteln her als nötigend im Sinne von Art. 181
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a) Nach den massgebenden Feststellungen der Vorinstanz haben die Angeklagten nicht Gewalt angewendet oder ernstliche Nachteile angedroht, um ihrer Forderung nach Diskussion Nachdruck zu verleihen; das unerlaubte Verbleiben im Sitzungsraum wird unter die subsidiäre Klausel des Art. 181
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BGE 107 IV 113 S. 117
Gewaltanwendung oder der Androhung ernstlicher Nachteile gleichzustellen. Die Beschwerdeführer verliessen den Sitzungsraum nicht. Damit hinderten sie faktisch die reguläre Durchführung der Sitzung. Was sie von diesem Teil ihrer Aktion erwarteten, ist im angefochtenen Entscheid nicht klar festgestellt. Offenbar hofften sie, es komme doch noch zu einer Diskussion mit den Dozenten, wenn die Delegation einfach nicht weggehe. Mit ihrem Verhalten übten die Beschwerdeführer einen gewissen Druck aus. Das Sitzenbleiben während 5-10 Minuten ohne jede Gewaltanwendung und ohne Drohung stellt jedoch kein Nötigungsmittel dar.
Eine oder mehrere Personen, die ein Begehren vorgetragen haben und nachher - trotz Aufforderung - den Besprechungsraum nicht verlassen, um durch ihre weitere Anwesenheit eine Diskussion herbeizuführen, erfüllen den Tatbestand des Art. 181
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4. Muss der Schuldspruch wegen Nötigung aus diesen Erwägungen aufgehoben werden, so stellt sich die Frage, ob eine Bestrafung wegen Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286
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b) Ob die Konkurrenzfrage Art. 286
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BGE 107 IV 113 S. 119
ordentlichen Sitzung abbrechen. Indem sie diese zeitliche Begrenzung der Einwilligung nicht beachteten und unerlaubterweise weiter im Sitzungsraum blieben, haben sie die Amtshandlung - Durchführung der Sitzung - rechtswidrig gehindert. Dass die Hinderung passiv, in Form einer Unterlassung, erfolgen konnte, weil die vorangehende aktive Phase (Betreten des Saales, Verlesen der Erklärung) wegen Einwilligung straflos bleibt, ändert nichts an der Strafwürdigkeit und Rechtswidrigkeit der unerwünschten Anwesenheit. Dass eine Hinderung im Sinne von Art. 286
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