106 IV 314
79. Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1980 i.S. Z. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- 1. Art. 6 des Bundesratsbeschlusses über besondere Massnahmen zur Bekämpfung der Tollwut (SR 916.421.91).
- Begriff des jagenden Hundes (E. 1).
- 2. Art. 44.2 Ziff. 4 der Tierseuchenverordnung (SR 916.401).
- Wann ist der Abschuss eines im Tollwutsperrgebiet streunenden Hundes im Lichte dieser Bestimmung rechtmässig (E. 2)?
- 3. Art. 20
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 20 - Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen an.
Regeste (fr):
- 1. Art. 6 ACF du 28 février 1968 instituant des mesures particulières de lutte contre la rage (RS 916.421.91).
- Définition du chien chassant (consid. 1).
- 2. Art. 44.2 ch. 4 de l'ordonnance sur les épizooties (RS 916.401).
- Quand est-il conforme à cette disposition d'abattre les chiens errants, en zone d'interdiction (consid. 2)?
- 3. Art. 20 CP. Erreur de droit (consid. 3).
Regesto (it):
- 1. Art. 6 DCF del 28 febbraio 1968 concernente particolari misure di lotta antirabbica (RS 916.421.91).
- Nozione di cane cacciante (consid. 1).
- 2. Art. 44.2 n. 4 dell'ordinanza sulle epizoozie (RS 916.401).
- Quando è conforme a questa disposizione uccidere nella zona di sequestro cani randagi (consid. 2)?
- 3. Art. 20 CP. Errore di diritto (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 314
BGE 106 IV 314 S. 314
A.- Z. ist Pächter des Jagdreviers R. und Obmann der dortigen Jagdgesellschaft. Am Samstag, den 17. März 1979, schoss er im Jadgrevier R. drei Hunde ab. Die drei Tiere, ein Sennenhund, ein Schäfer und ein Bernhardiner, hatten sich - der Sennenhund etwas abseits von den beiden andern - in nicht genau bestimmter Entfernung von den Bauernhöfen ihrer Eigentümer in einer Wiese getummelt. Z. wies die Kadaver der drei Hunde gleichentags dem Polizeiposten Hochdorf vor und stellte Strafanzeige gegen die unbekannten Hundehalter wegen
BGE 106 IV 314 S. 315
Jagenlassens von Hunden während der geschlossenen Jagdzeit. Die Eigentümer, die in der Folge ermittelt werden konnten, stellten gegen Z. Strafantrag wegen Sachbeschädigung.
B.- Das Amtsgericht Hochdorf sprach Z. am 30. April 1980 in Bestätigung der Verfügungen des Amtsstatthalters von Hochdorf vom 16. August 1979/25. Januar 1980 der wiederholten Sachbeschädigung (Art. 145 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
C.- Z. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an das Obergericht zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei gemäss Art. 6 (i.V.m. Art. 9) des Bundesratsbeschlusses über besondere Massnahmen zur Bekämpfung der Tollwut vom 28. Februar 1968 (SR 916.421.91) zum Abschuss der drei Hunde berechtigt und verpflichtet gewesen, da es sich dabei um jagende Hunde im Sinne dieser Bestimmung gehandelt habe. Die Vorinstanz habe den bundesrechtlichen Begriff des "Jagens" falsch ausgelegt. Entgegen ihrer Auffassung sei mit "Jagen" nicht nur die unmittelbare Verfolgung von Jagdwild gemeint, sondern ein Hund sei, wie auch aus BGE 102 IV 140 hervorgehe, schon dann als "jagend" anzusehen, wenn er in einer Gegend, wo Wild zu erwarten ist, umherstreunt; denn es sei jederzeit mit der Möglichkeit zu rechnen, dass der jedem Hund innewohnende Jagdtrieb beim unbeaufsichtigten Umherstreunen in einem Jagdgebiet ausbreche. Die bundesrechtlichen Begriffe "Jagen" und "Streunen" seien somit, obschon sie verschiedene Tätigkeiten eines Hundes bezeichnen, in rechtlicher Hinsicht identisch. Diese Einwände gehen offensichtlich fehl. Der Kassationshof hat in BGE 102 IV 138 ff. (insbesondere S. 140) unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien, die Literatur und einen älteren Bundesgerichtsentscheid erkannt, dass unter Jagen (durch einen Hund) jede Verfolgung von Jagdwild durch irgendeinen
BGE 106 IV 314 S. 316
Hund zu verstehen ist. Einerseits ist der Begriff also weder auf bestimmte Hunderassen noch auf abgerichtete oder von Jägern begleitete Hunde beschränkt, anderseits ist aber in jedem Fall irgendwelche Art von Jagdwildverfolgung vorausgesetzt. Dieses Erfordernis ist im vorliegenden Fall nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts nicht erfüllt. Keiner der drei Hunde hatte ein Jagdwild verfolgt oder einer Fährte nachgespürt; es war überhaupt kein Wild sichtbar. Dass die Hunde beim allfälligen Auftauchen eines Wildes vom Jagdtrieb erfüllt oder aus Spiellust dieses möglicherweise verfolgt hätten, reicht entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung offensichtlich nicht aus, um sie als jagend im Sinne des Gesetzes anzusehen; ein Hund jagt nicht schon dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass er unter gewissen Voraussetzungen jagen könnte. Dass nicht jeder in einem Jagdgebiet umherstreunende Hund als jagend qualifiziert werden kann, geht übrigens aus dem Gesetz selber hervor. In Art. 6 des Bundesratsbeschlusses über besondere Massnahmen zur Bekämpfung der Tollwut vom 28. Februar 1968 in der Fassung vom 24. September 1973, der die Kantonsregierungen zur Regelung der Abschussberechtigung ermächtigt, ist einerseits von "streunenden", anderseits von widerrechtlich "jagenden" Hunden die Rede; da somit gemäss Art. 6 des Bundesratsbeschlusses die Kantone Abschussrecht und Abschusspflicht hinsichtlich streunenden Hunden anders als hinsichtlich widerrechtlich jagenden Hunden regeln können, kann von der in der Nichtigkeitsbeschwerde behaupteten rechtlichen Identität der Begriffe "Streunen" und "Jagen" nicht die Rede sein.
2. Der Beschwerdeführer macht im weiteren geltend, er sei auch dann zum Abschuss der drei Hunde berechtigt und verpflichtet gewesen, wenn man mit der Vorinstanz annehme, dass es sich bei den von ihm erschossenen Tieren nicht um jagende, sondern um streunende Hunde gehandelt habe. Nach Art. 44
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 106 IV 314 S. 317
von Art. 44
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 106 IV 314 S. 318
b) Z. hat unbestrittenermassen nicht versucht, die Hunde einzufangen. Indem die Vorinstanz ihm diese Unterlassung zum Vorwurf machte, ging sie davon aus, dass ein solcher Versuch nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt war, die Unmöglichkeit, die Hunde einzufangen, mithin nicht von Anfang an feststand. Diese Annahme ist tatsächlicher Natur und daher für den Kassationshof im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verbindlich (Art. 277bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. |
|
a | innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; |
b | ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; |
c | sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; |
d | Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; |
e | unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 106 IV 314 S. 319
3. Der Beschwerdeführer beruft sich im weiteren auf Rechtsirrtum (Art. 20
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 20 - Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen an. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 20 - Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen an. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 20 - Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen an. |
BGE 106 IV 314 S. 320
und sich bei auftauchenden Zweifeln sorgfältig informieren. Dies hat er nicht getan. Es kann daher keine Rede davon sein, er habe zureichende Gründe zur Annahme gehabt, er tue überhaupt nichts Unrechtes. Daran ändert nichts, dass Z. die Kadaver der drei Hunde zur Polizei brachte und die Hundehalter anzeigte; dieses Verhalten lässt verschiedene Deutungen zu und bildet jedenfalls keinen Beweis für Rechtsirrtum.
4. Völlig abwegig ist schliesslich die erneute Berufung des Beschwerdeführers auf Notstand. Keiner der drei friedlich in der Wiese sich tummelnden Hofhunde zeigte die geringsten Anzeichen von Tollwut oder Jagdfieber. Z. hat keinerlei Versuche unternommen, die Tiere einzufangen. Von einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr kann nicht die Rede sein. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu diesem Punkt machen deutlich, dass es ihm nicht zuletzt auch darum ging, den Hundebesitzern einen Denkzettel zu geben und sie zu einer nicht zumutbaren, einschränkenden Hundehaltung zu zwingen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.