106 IV 125
40. Urteil des Kassationshofes vom 2. Mai 1980 i.S. W. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- 1. Begriff der Androhung. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter seine Androhung eines ernstlichen Nachteils tatsächlich auch wahrmachen kann; es genügt, wenn der Eintritt des Übels nach der Darstellung des Täters als von seinem Willen abhängig erscheint (E. 2).
- 2. Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit der Nötigung (E. 3).
Regeste (fr):
- Art. 181 CP.
- 1. Notion de menace. Il n'est pas nécessaire que l'auteur soit en état de réaliser sa menace d'un dommage sérieux; il suffit que, d'après ses déclarations, la réalisation de ce dommage apparaisse comme dépendant de sa volonté (consid. 2).
- 2. Conditions de l'illicéité de la contrainte (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 181 CP.
- 1. Nozione di minaccia. Non occorre che l'agente sia in grado di realizzare la sua minaccia di grave danno; basta che, secondo le sue dichiarazioni, la realizzazione di tale danno appaia dipendente dalla sua volontà (consid. 2).
- 2. Presupposti dell'illiceità della coazione (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 126
BGE 106 IV 125 S. 126
A.- Am 20. März 1976 verkaufte Sch. dem A. einen Personenwagen "Alfa Romeo", Jahrgang 1970, zum Preis von Fr. 3'900.--. Entgegen der Zusicherung im Kaufvertrag war das Fahrzeug nicht mit dem serienmässigen 1750 ccm-Motor, sondern mit einem 1300 ccm-Motor ausgerüstet. Es stellte sich in der Folge heraus, dass einer der Vorbesitzer des Wagens den Motor ausgewechselt hatte. Sch., dem dies nicht bekannt gewesen war, erklärte sich auf Begehren des A. hin zum kostenlosen Einbau eines 1750 ccm-Motors bereit; lediglich über den genauen Zeitpunkt des Einbaus konnten sich die Parteien nicht einigen. In der Folge nahm sich W. der Sache an. Mit Schreiben vom 5. und 10. Mai teilte er Sch. mit, dass A. vom Kaufvertrag zurücktrete und die Rückleistung der Anzahlung von Fr. 1'200.-- verlange. W. berichtete im "Gross-Anzeiger" (St. Gallen) über den Vorfall, ohne allerdings Namen zu nennen. Die "Ostschweizer AZ" behandelte daraufhin die Angelegenheit ebenfalls und erwähnte dabei den Namen Sch. Auch mit den für die Sendung "Kassensturz" des Schweizer Fernsehens Verantwortlichen setzte sich W. in Verbindung. Am 31. Mai 1976 sandte W. dem Sch. eine Rechnung, in welcher er neben der Rückleistung der Anzahlung von Fr. 1'200.-- Fr. 102.-- für die von ihm eingeholte "Expertise S." und Fr. 310.-- "Umtriebsentschädigung W." verlangte. Am 6. September 1976 reichte Sch. beim Bezirksamt Rorschach Strafanzeige gegen W. wegen Erpressung, eventuell Nötigung ein. Sch. führte aus, W. habe ihn anlässlich einer Besprechung am 3. September 1976 aufgefordert, innerhalb einer Woche für seine Umtriebe etc. Fr. 500.-- zu bezahlen, ansonsten er sich gezwungen sehe, ihn, Sch., in der Fernsehsendung "Kassensturz", die demnächst über den Autooccasionshandel berichten werde, namentlich zu erwähnen; am 6. September 1976 habe W. seine Forderung und die Drohung erneuert.
B.- Am 10. November 1977 verurteilte die Gerichtskommission Rorschach W. wegen vollendeten Nötigungsversuchs
BGE 106 IV 125 S. 127
zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 500.--. Eine gegen dieses Urteil eingereichte Berufung wies das Kantonsgericht St. Gallen am 15. Januar 1979 ab.
C.- W. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat innert Frist keine Gegenbemerkungen eingereicht.
D.- Eine von W. gegen das Urteil des Kantonsgerichts eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wegen Aktenwidrigkeit und willkürlicher Beweiswürdigung wies das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen am 5. Oktober 1979 ab.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Soweit eingangs der Beschwerde verschiedene tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz als unrichtig bemängelt werden, ist auf das Rechtsmittel nicht einzutreten. Kritik an der Sachdarstellung des Kantonsgerichts ist im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2. Der Beschwerdeführer bestreitet, Sch. einen ernstlichen Nachteil angedroht zu haben. Er habe Sch. für den Fall der Nichteinlösung seines Versprechens betreffend die Zahlung von Fr. 500.-- die Meldung des Sachverhalts beim "Kassensturz" in Aussicht gestellt. Doch habe er auf die Ausstrahlung und Gestaltung einer solchen Fernsehsendung und auf die namentliche Erwähnung des Sch. keinen Einfluss gehabt, weshalb es sich bei seinem Vorgehen um eine blosse Warnung und nicht um eine Androhung im Sinne von Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 106 IV 125 S. 128
Person in der Lage des Betroffenen motivieren könnten. Sch. sei jedoch in seiner Tätigkeit im Autooccasionshandel an rauhe Sitten gewöhnt. Dem sei im Sinne einer Relativierung des angedrohten Nachteils Rechnung zu tragen. So gesehen aber könne die Warnung nie den Stellenwert gehabt haben, den die Vorinstanz ihr beimesse. Tatsächlich habe sich Sch. durch das Verhalten des Beschwerdeführers denn auch in keiner Weise beeindrucken lassen. a) Es trifft zu, dass eine blosse Warnung dem Erfordernis der Androhung eines ernstlichen Nachteils im Sinne von Art. 181
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 181 - Wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 106 IV 125 S. 129
durch einen solchen geringerer Leistung ausgewechselt worden war, was dem Käufer nicht bekanntgegeben worden sei. Die Androhung eines solchen Nachteils ist nach seinem objektiven Ausmass geeignet, den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit wesentlich zu beeinträchtigen (BGE 105 IV 122, BGE 101 IV 48, 96 IV 62, BGE 81 IV 105). Dass Sch. sich nicht hat beeinflussen lassen, ändert nichts. Die subjektive Widerstandskraft des Opfers spielt entgegen der Meinung des Beschwerdeführers keine Rolle. Wo sich dieses aus irgendeinem Grunde nicht einschüchtern lässt, liegt ein Versuch der Nötigung vor (BGE 101 IV 48 sowie bezüglich der Erpressung BGE 79 IV 64), und nur ein solcher wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt. Würde man das Vorliegen einer Nötigungshandlung stets verneinen, wenn das Opfer sich durch sie nicht beeinflussen liess, dann wäre eine Bestrafung wegen versuchter Nötigung gar nicht möglich. Dass es aber bei diesem Delikt keinen strafbaren Versuch geben könne, behauptet der Beschwerdeführer zu Recht selber nicht. c) Unbehelflich ist auch der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, wonach es normalerweise kein Nachteil im Rechtssinne sei, wenn tatsächliche oder vermeintliche öffentliche Missstände bei der Presse als dem zuständigen Organ der öffentlichen Meinung anhängig gemacht würden. Diese Überlegung kann gegebenenfalls für die Frage nach der Widerrechtlichkeit der Drohung von Belang sein (s. BGE 101 IV 302), nicht aber für diejenige nach dem angedrohten Nachteil. Eine Mitteilung an das Fernsehen kann rechtmässig sein, ihre Ausstrahlung durch das Medium aber dennoch den Betroffenen sehr ernsthaft schädigen.
3. W. bestreitet sodann die Rechtswidrigkeit der Drohung.
a) Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 105 IV 123 mit Verweisungen). Letzteres trifft insbesondere zu, wenn zwischen dem Gegenstand der Drohung und demjenigen der Forderung kein sachlicher Zusammenhang besteht.
b) Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz die Rechtswidrigkeit
BGE 106 IV 125 S. 130
der Nötigung einerseits in der sachfremden Verknüpfung von Mittel und Zweck und anderseits in der Unverhältnismässigkeit des Mittels erblickt. Geht man von dem im angefochtenen Urteil verbindlich festgestellten Sachverhalt aus, dann bestand in der Tat zwischen der Drohung, die Sache im "Kassensturz" zur Sprache zu bringen, und der Forderung von Fr. 500.-- kein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang. In der fraglichen Fernsehsendung hätte nach der Androhung des Beschwerdeführers das Gebaren des Sch. als Occasionshändler dargestellt werden sollen, der ein Auto mit einem schwächeren als dem im Fahrzeugausweis aufgeführten Motor verkauft hatte. Insoweit aber hatten sich Sch. und der Käufer nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz geeinigt gehabt, indem der erstere den Austausch des Motors zugesichert hatte; einzig über den Einbautermin war man noch nicht einig geworden, was der vorgenannten Feststellung entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht widerspricht. Die geltend gemachte Forderung von Fr. 500.-- stellt demgegenüber einen Pauschalbetrag für angebliche Auslagen des Beschwerdeführers für eine von ihm eingeholte Expertise und andere Umtriebe dar und war nach den Feststellungen der Vorinstanz bestritten und keineswegs liquid; es handelte sich bei dieser Forderung also nicht etwa um einen Ersatzanspruch des Käufers für den Minderwert des Kaufgegenstandes. Die Vorinstanz hat daher einen unmittelbaren sachlichen Zusammenhang zwischen dem Sachverhalt, der im Fernsehen androhungsgemäss dargestellt werden sollte, und der Forderung von Fr. 500.-- mit Recht verneint. Die Nötigung war somit mangels eines rechtsgenüglichen Zusammenhangs zwischen Mittel und Zweck rechtswidrig. Sie war es auch deswegen, weil die Nachteile, welche Sch. durch die Fernsehsendung entstanden wären, unverhältnismässig viel grösser gewesen wären als der Vorteil (Umgehung der Risiken eines Zivilprozesses), den der Beschwerdeführer mit der Drohung erwirken wollte. Dass schliesslich W. vorsätzlich gehandelt hat, wurde im angefochtenen Urteil ausdrücklich festgestellt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.