Urteilskopf

102 V 245

60. Auszug aus dem Urteil vom 30. August 1976 i.S. Pfäffli gegen Ausgleichskasse des Kantons Aargau und Obergericht des Kantons Aargau
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 245

BGE 102 V 245 S. 245

Aus den Erwägungen:
a) Gemäss Art. 3 Abs. 6
SR 831.30 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG)
ELG Art. 3 Bestandteile der Ergänzungsleistungen - 1 Die Ergänzungsleistungen bestehen aus:
1    Die Ergänzungsleistungen bestehen aus:
a  der jährlichen Ergänzungsleistung;
b  der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten.
2    Die jährliche Ergänzungsleistung ist eine Geldleistung (Art. 15 ATSG4), die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten eine Sachleistung (Art. 14 ATSG).
ELG ist der Bundesrat befugt, u.a. über die Rückforderung von Leistungen nähere Vorschriften aufzustellen. Der gestützt hierauf erlassene Art. 27
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV)
ELV Art. 27 Frist für die Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen - 1 Die Frist zur Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen nach Artikel 16a Absätze 1 und 2 ELG beträgt drei Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Rückforderungsverfügung.
1    Die Frist zur Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen nach Artikel 16a Absätze 1 und 2 ELG beträgt drei Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Rückforderungsverfügung.
2    Macht die Rückerstattung den Verkauf einer oder mehrerer Liegenschaften nötig, so erstreckt sich diese Frist auf ein Jahr, höchstens jedoch auf 30 Tage nach der Eigentumsübertragung.
ELV bestimmt, dass unrechtmässig bezogene Ergänzungsleistungen vom Bezüger oder seinen Erben zurückzuerstatten sind, wobei für die Rückerstattung solcher Leistungen und den Erlass der Rückforderung die Vorschriften des AHVG sinngemäss anwendbar sind. Laut Art. 47 Abs. 1
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 47
AHVG kann bei gutem Glauben und gleichzeitigem Vorliegen einer grossen Härte von der Rückforderung abgesehen werden. Hinsichtlich des guten Glaubens sind die Voraussetzungen nicht schon mit der Unkenntnis des Rechtsmangels gegeben. Vielmehr darf sich der Bezüger unrechtmässiger Leistungen nicht nur keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben. Der Erlass der Rückforderung ist daher auch zu verweigern, wenn der Versicherte die nach den Umständen zumutbare Aufmerksamkeit nicht beachtet oder seine Meldepflicht hinsichtlich Änderungen in den massgebenden Verhältnissen in grober Weise verletzt hat (ZAK 1973 S. 659, 1970 S. 336, 1965 S. 373). b) Nach der bisherigen Rechtsprechung sind die von der Vorinstanz festgestellten Umstände, auf Grund derer zu beurteilen ist, ob der gute Glaube gegeben sei, für das Eidg.
BGE 102 V 245 S. 246

Versicherungsgericht im Sinne von Art. 105 Abs. 2
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 47
OG verbindlich. Eine vom Gericht frei zu überprüfende Rechtsfrage ist dagegen, ob sich aus jenen Umständen der gute Glaube ableiten lasse. Ferner sind Feststellungen des kantonalen Richters, welche sich nicht auf feste Beweise stützen, sondern aus der allgemeinen Lebenserfahrung abgeleitet werden, Rechtserwägungen gleichgestellt und daher vom Eidg. Versicherungsgericht frei überprüfbar (BGE 100 V 152 Erw. 2b, ZAK 1973 S. 661 Erw. 2). Wie das Gesamtgericht entschieden hat, ist diese Praxis wie folgt zu präzisieren: Im Sinne von Art. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 3 - 1 Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
1    Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
2    Wer bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte, ist nicht berechtigt, sich auf den guten Glauben zu berufen.
ZGB ist zu unterscheiden zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf seinen guten Glauben berufen kann bzw. ob er bei der Aufmerksamkeit, die von ihm zumutbarerweise verlangt werden kann, den bestehenden Rechtsmangel hätte kennen sollen (vgl. BGE 99 II 147, BGE 100 II 14 sowie JÄGGI, Berner Kommentar, N. 16 ff. und 104 ff. zu Art. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 3 - 1 Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
1    Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
2    Wer bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte, ist nicht berechtigt, sich auf den guten Glauben zu berufen.
ZGB). Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und ist daher Tatfrage, diejenige nach der Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit dagegen Rechtsfrage, soweit es darum geht, unter den jeweiligen tatsächlichen Voraussetzungen festzustellen, ob sich jemand auf den guten Glauben berufen kann. Daraus ergibt sich, dass auch die vom erstinstanzlichen Richter getroffene Feststellung über das Vorhandensein oder Fehlen des guten Glaubens für das Eidg. Versicherungsgericht im Sinne von Art. 105 Abs. 2
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 47
OG verbindlich ist. Für die frei überprüfbare Rechtsfrage, ob sich die Prozesspartei auf den guten Glauben berufen kann, bleibt nur soweit Raum, als die Vorinstanz den guten Glauben im Sinne des fehlenden Unrechtsbewusstseins nicht (auf Grund einer Beweiswürdigung) verneint hat.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 102 V 245
Datum : 30. August 1976
Publiziert : 31. Dezember 1976
Quelle : Bundesgericht
Status : 102 V 245
Sachgebiet : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Gegenstand : Art. 104 und 105 OG. Überprüfungsbefugnis des Eidg. Versicherungsgerichts im Beschwerdeverfahren betreffend den Erlass von


Gesetzesregister
AHVG: 47
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 47
ELG: 3
SR 831.30 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG)
ELG Art. 3 Bestandteile der Ergänzungsleistungen - 1 Die Ergänzungsleistungen bestehen aus:
1    Die Ergänzungsleistungen bestehen aus:
a  der jährlichen Ergänzungsleistung;
b  der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten.
2    Die jährliche Ergänzungsleistung ist eine Geldleistung (Art. 15 ATSG4), die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten eine Sachleistung (Art. 14 ATSG).
ELV: 27
SR 831.301 Verordnung vom 15. Januar 1971 über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELV)
ELV Art. 27 Frist für die Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen - 1 Die Frist zur Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen nach Artikel 16a Absätze 1 und 2 ELG beträgt drei Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Rückforderungsverfügung.
1    Die Frist zur Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen nach Artikel 16a Absätze 1 und 2 ELG beträgt drei Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Rückforderungsverfügung.
2    Macht die Rückerstattung den Verkauf einer oder mehrerer Liegenschaften nötig, so erstreckt sich diese Frist auf ein Jahr, höchstens jedoch auf 30 Tage nach der Eigentumsübertragung.
OG: 104  104e  105
ZGB: 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 3 - 1 Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
1    Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
2    Wer bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte, ist nicht berechtigt, sich auf den guten Glauben zu berufen.
BGE Register
100-II-8 • 100-V-151 • 102-V-245 • 99-II-131
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aargau • bezogener • bundesrat • elv • erbe • frage • gerichts- und verwaltungspraxis • guter glaube • meldepflicht • richterliche behörde • sorgfalt • tatfrage • unrechtsbewusstsein • versicherungsgericht • vorinstanz