101 IV 28
9. Urteil des Kassationshofes vom 21. März 1975 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
Regeste (de):
- Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 229 - 1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308
1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 2 Lässt der Täter die anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser Acht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. - 1. Ein Bauunternehmer oder -leiter, der eine Gefahr für Leib und Leben anderer setzt, muss alle notwendigen Massnahmen zur Verhinderung einer Schädigung vorkehren (Erw. 2 lit. a u. b).
- 2. Frage der adäquaten Kausalität bei Unterlassungsdelikten (Erw. 3).
Regeste (fr):
- Art. 117 et 229 CP.
- 1. Un entrepreneur ou un chef de chantier qui crée un danger pour la vie ou l'intégrité corporelle d'autrui doit prendre toutes les mesures nécessaires pour empêcher qu'un dommage ne se produise (consid. 2 lit. a et b).
- 2. Problème de la causalité adéquate en matière de délit d'omission (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 117 e 229 CP.
- 1. Un imprenditore edile o un capocantiere che crea un pericolo per la vita e l'integrità altrui deve adottare tutte le misure necessarie per impedire l'insorgere di un pregiudizio (consid. 2 lett. a, b).
- 2. Problema della causalità adeguata in materia di delitti commessi per omissione (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 28
BGE 101 IV 28 S. 28
A.- Am 2. Mai 1972, ungefähr 17.10 Uhr ereignete sich in S. im Bereich eines von den Firmen X. und Y. ausgehobenen Wasserleitungsgrabens ein Unfall. Die Grabenteile der beiden Firmen stiessen in einem Winkel von 30 bis 40o aufeinander. Im Los 1 (Firma Y.) waren seit einem Tag Arbeiter damit beschäftigt, einen 30 m langen und fast 3 m tiefen Graben auszuheben. Am Nachmittag des 2. Mai wurde auch im Los 2 (Firma X.) mit der Aushubarbeit begonnen. Als die Baggermaschine der Firma X. in unmittelbarer Nähe der Grenze beider Lose eingesetzt war, hielten sich Arbeiter der Firma Y. wenige Meter davon entfernt im Grabenteil von Los 1 auf. In Richtung Grenze zu Los 2 war der Graben bereits beinahe bis zur Endtiefe ausgehoben. Als gegen Abend des 2. Mai D. im Grenzbereich von Los 1 zu Los 2 beschäftigt war, stürzte der Graben teilweise ein. Die Arbeitskollegen wollten D. zu Hilfe kommen, bewirkten jedoch dabei einen weiteren Einsturz. Von den insgesamt sechs verschütteten Arbeitern starben zwei an den Folgen der erlittenen Verletzungen.
BGE 101 IV 28 S. 29
X., der in seinem Los die Bauführung innehatte, befand sich am Nachmittag des 2. Mai zweimal während kurzer Zeit auf der Baustelle. Obschon er sah, dass der von der Firma Y. ausgehobene Graben nicht verspriesst war und Arbeiter sich darin aufhielten, sah er sich nicht veranlasst, dieselben dahin zu instruieren, dass während der Baggerarbeiten niemand im Graben sein dürfe.
B.- Mit Urteil vom 12. Juni 1974 sprach der Kreisgerichtsausschuss Oberengadin X. der fahrlässigen Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde sowie der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 500.--. Eine gegen diesen Entscheid erhobene Berufung wies der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am 20./21. November 1974 ab.
C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil vollumfänglich aufzuheben und an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 229 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 229 - 1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
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1 | Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
2 | Lässt der Täter die anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser Acht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
BGE 101 IV 28 S. 30
nötigenfalls durchzusetzen. Ferner habe das Aushubmaterial ohne weiteres auf der Bergseite deponiert werden dürfen.
2. a) Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen hat der Beschwerdeführer gesehen, dass sich bei Beginn des Baggereinsatzes im unverspriessten Graben Leute der Firma Y. ungefähr 6-7 m von der Losgrenze entfernt aufgehalten haben und dass bei seinem zweiten Besuch diese Arbeiter in einer Distanz von nur 5-6 m zum Bagger standen. Als Fachmann kannte X. die Gefahren einer solchen Situation genau. Er wusste ausserdem - wie der Beschwerde zu entnehmen ist -, dass K. sich nicht auf dem Bauplatz befand und bloss ein unqualifizierter Mann die Stellung eines "Vorarbeiters" einnahm. Unter den gegebenen Umständen bestand für den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Bauleiter eine Verpflichtung, nicht nur seine eigenen Arbeiter, sondern auch diejenigen der andern Baufirma dahin zu instruieren, dass sich während der Baggerarbeiten niemand im Graben aufhalten dürfe. Die Unterlassung einer diesbezüglichen Instruktion stellt eine Verletzung der von Art. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht. |
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1 | Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht. |
2 | Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 229 - 1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
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1 | Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
2 | Lässt der Täter die anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser Acht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
BGE 101 IV 28 S. 31
gebotenen Vorsichtsmassnahmen zu treffen (BGE 90 IV 250 mit Verweisungen). Demnach muss ein Bauunternehmer oder -leiter, der eine Gefahr für Leib und Leben anderer setzt, alle notwendigen Massnahmen zur Verhinderung einer Schädigung vorkehren. Im vorliegenden Fall haben X. und sein Baggerführer die Einsturzgefahr herbeigeführt bzw. dieselbe erhöht. Deshalb hätte der Beschwerdeführer nicht nur seine eigenen Arbeiter, sondern auch die übrigen von der Gefahr betroffenen Warnen müssen. Ob die gefährdeten Personen in einem rechtlichen Subordinationsverhältnis zu ihm standen, spielt dabei keine Rolle. Der gleichen Verpflichtung hätte er nämlich auch gegenüber unbeteiligten Dritten - etwa im Graben spielenden Kindern - nachkommen müssen.
c) Dem Umstand, dass das Aushubmaterial auf der Bergseite des Grabens abgelagert wurde, kommt keine selbständige Bedeutung zu. Er vergrösserte jedoch nach der Auffassung der Vorinstanz und nach allgemeiner Lebenserfahrung sowohl das Risiko des Einsturzes wie auch das Ausmass seiner Folgen. Die Einwände, welche der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, sind nicht zu hören, da sie sich gegen tatsächliche Feststellungen des Kantonsgerichtsausschusses richten, die für den Kassationshof verbindlich sind (Art. 277bis Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 229 - 1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
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1 | Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
2 | Lässt der Täter die anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser Acht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
3. Da der Beschwerdeführer durch seine fahrlässige Verletzung der Bauregeln den Tod von zwei Arbeitern bewirkt hat, sind neben Art. 229
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 229 - 1 Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
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1 | Wer vorsätzlich bei der Leitung oder Ausführung eines Bauwerks oder eines Abbruchs die anerkannten Regeln der Baukunde ausser Acht lässt und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.308 |
2 | Lässt der Täter die anerkannten Regeln der Baukunde fahrlässig ausser Acht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 101 IV 28 S. 32
den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 2. Auflage, Bd. I, S. 109). b) Sowohl für einen Laien als auch erst recht für den Beschwerdeführer als Fachmann war es klar, dass der Einsatz des Baggers unter den gegebenen Umständen die Gefahr des Einsturzes des unverspriessten Grabens wesentlich erhöhte. Es entsprach dem normalen Lauf der Dinge, dass durch derartige Baggerarbeiten ein Einsturz ausgelöst werden konnte - und zwar mit immer grösserer Wahrscheinlichkeit, je näher der Bagger zum bereits ausgehobenen Graben gelangte - und dass dadurch die darin beschäftigten Arbeiter den Tod finden konnten. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Arbeiter die Gefahr hätten erkennen und den Graben verlassen sollen. Gewiss weiss auch jemand ohne Bildung, dass ein schmaler und tiefer Graben einstürzen und das herabfallende Erdreich Menschen erschlagen kann. Ebenso bekannt ist aber, dass viele Leute derartige offensichtliche Gefahren nicht beachten, was sich auch im vorliegenden Fall deutlich gezeigt hat. Es ist somit davon auszugehen, dass der Einsatz des Baggers eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Arbeiter der Firma Y. bedeutete und den Tod zweier dieser Arbeiter herbeigeführt hat. Nach menschlichem Ermessen hätte der Beschwerdeführer diese Todesfolge durch eine entsprechende Warnung verhindern können. Daher lässt sich die adäquate Kausalität zwischen der unterlassenen Warnung und dem Tod der beiden Arbeiter nicht in Abrede stellen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.