Urteilskopf

100 V 97

24. Auszug aus dem Urteil vom 29. Juli 1974 i.S. Stettler gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 97

BGE 100 V 97 S. 97

Aus den Erwägungen:

2. Im Urteil vom 18. Juli 1963 i.S. Wildhaber (ZAK 1963 S. 531) hat das Eidg. Versicherungsgericht eine Hornhautübertragung bei einer infolge Entzündung narbig veränderten Hornhaut nicht als eigentliche Leidensbehandlung, sondern - bei der 38jährigen Fabrikarbeiterin - als einen medizinischen Massnahmen der Invalidenversicherung zugänglichen Eingriff betrachtet. Im Falle Dami (nicht veröffentlichtes Urteil vom 29. Oktober 1970) dagegen wurde die Keratoplastik nicht übernommen, weil kein Defektzustand vorlag, sondern mit der Operation in ein labiles pathologisches Geschehen eingegriffen worden wäre, indem in absehbarer Zeit eine wesentliche Verschlimmerung (Perforation der Hornhaut) drohte. Und bei der Serviertochter Ruth Weilenmann wurde ein Anspruch verneint, weil die Keratoplastik gegen eine Hornhaut-Erosion gerichtet war (nicht veröffentlichtes Urteil vom 12. April 1972). Im Gegensatz dazu hatte beim bereits erwähnten Fall der Ursula Wildhaber keine frische Verletzung der Hornhaut vorgelegen, sondern der Endzustand nach einer im Alter von 11 Jahren durchgemachten Hornhautentzündung,

BGE 100 V 97 S. 98

die eine durch Bindegewebe erzeugte weisse Narbe als Defekt hinterlassen hatte.
3. Die Sehschärfe der 23jährigen Verkäuferin Maria Stettler beträgt am linken Auge weniger als 0,l; sie ist durch Gläser nicht zu verbessern. Nach Mitteilung von Dr. B. besteht an diesem Auge eine Eintrübung der Keratokonusspitze; der Zustand sei mit grösster Wahrscheinlichkeit stationär. Daraus muss geschlossen werden, dass der in Frage stehende Eingriff - wie eine Staroperation - nicht als Heilung oder Linderung labilen pathologischen Geschehens betrachtet werden kann. Die Keratoplastik ist vielmehr auf einen Defektzustand gerichtet. Sie ist deshalb als medizinische Massnahme zu übernehmen, sofern auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
1    Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
2    Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind.
3    Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt.
IVG erfüllt sind.
4. Die Akten geben indessen über Indikation und Erfolgsaussichten der Keratoplastik-Operation nicht hinreichend Auskunft. Die Sache ist daher an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie in dieser Richtung näher abkläre und gegebenenfalls die Massnahme anordne.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 100 V 97
Datum : 29. Juli 1974
Publiziert : 31. Dezember 1975
Quelle : Bundesgericht
Status : 100 V 97
Sachgebiet : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Gegenstand : Art. 12 Abs. 1 IVG. Keratoplastik (Hornhautübertragung) als medizinische Eingliederungsmassnahme: Zusammenfassung der Rechtsprechung.


Gesetzesregister
IVG: 12
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
1    Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
2    Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind.
3    Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt.
BGE Register
100-V-97
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
frage • hinterlassener • keratoplastik • leidensbehandlung • medizinische eingliederungsmassnahme • staroperation • versicherungsgericht • weiler