Urteilskopf

100 II 330

49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. September 1974 i.S. Morel gegen Steiger.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 330

BGE 100 II 330 S. 330

Mit Vertrag vom 20. Juli 1959 mieteten die Eheleute Fredy und Barbara Morel von Frau Steiger in Klosters für Fr. 4000.-- im Jahr ein Ladenlokal, eine Wohnung und einen Keller. Das Mietverhältnis sollte am 1. Oktober 1959 beginnen und zehn Jahre dauern. Gemäss schriftlicher "Abmachung" vom 1. Juli 1963 war die Vermieterin wegen Umbauten, die zu Lasten der Mieter gingen, mit einer Verlängerung des Mietverhältnisses um weitere zehn Jahre einverstanden. Wenn es im Jahre 1963 dem Willen der Parteien entsprochen hätte, das Vertragsverhältnis ab 1. Oktober 1969 zum gleichen Mietzins fortzusetzen, hätten sie das ausdrücklich vereinbaren müssen. Ohne eine solche Vereinbarung darf angesichts der seit vielen Jahren ständig steigenden Lebenshaltungskosten, insbesondere auch der Mietzinse, nicht unterstellt werden, die Klägerin habe den Beklagten 1963 versprochen, die Räume ab 1. Oktober 1969 für weitere zehn Jahre zu dem bereits 1959 vereinbarten Zins zu vermieten. Dagegen könnte freilich eingewendet werden, mangels einer Einigung der Parteien über einen wesentlichen Punkt, nämlich
BGE 100 II 330 S. 331

die Höhe des Mietzinses, sei für die Zeit seit 1. Oktober 1969 überhaupt kein Vertrag zustande gekommen. Damit würde man der Streitsache aber nicht gerecht. Gewiss sind in solchen Fällen die Verhandlungen in der Regel als gescheitert zu betrachten, übereinstimmende Willensäusserungen im Sinne von Art. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1 - 1 Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich.
1    Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich.
2    Sie kann eine ausdrückliche oder stillschweigende sein.
OR folglich zu verneinen. Davon ist jedoch der Fall zu unterscheiden, wo die Parteien sich auf die entgeltliche Überlassung einer Sache zum Gebrauch geeinigt, die Höhe des Entgeltes aber nicht bestimmt haben. Diesfalls liegt ein unvollständiger Vertrag vor, der im Streitfall vom Richter nach Treu und Glauben zu ergänzen ist (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 61 und 65 zu Art. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1 - 1 Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich.
1    Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich.
2    Sie kann eine ausdrückliche oder stillschweigende sein.
OR; PIOTET, La formation du contrat en doctrine générale et en droit privé suisse, S. 30 ff.). Im Mietrecht fehlt allerdings eine den Art. 322 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 322 - 1 Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist.
1    Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist.
2    Lebt der Arbeitnehmer in Hausgemeinschaft mit dem Arbeitgeber, so bildet der Unterhalt im Hause mit Unterkunft und Verpflegung einen Teil des Lohnes, sofern nichts anderes verabredet oder üblich ist.
, 374
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 374 - Ist der Preis zum voraus entweder gar nicht oder nur ungefähr bestimmt worden, so wird er nach Massgabe des Wertes der Arbeit und der Aufwendungen des Unternehmers festgesetzt.
und 394 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 394 - 1 Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
1    Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
2    Verträge über Arbeitsleistung, die keiner besondern Vertragsart dieses Gesetzes unterstellt sind, stehen unter den Vorschriften über den Auftrag.
3    Eine Vergütung ist zu leisten, wenn sie verabredet oder üblich ist.
OR analoge Bestimmung. Diesen Normen liegt indes ein allgemeiner Rechtssatz zugrunde (so auch, für das deutsche Recht, ROQUETTE, Das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, Systematischer Kommentar, § 535 N. 238/9), dessen Anwendung hier umsomehr gerechtfertigt ist, als die Parteien zur Zeit der Vereinbarung vom 1. Juli 1963 bereits in einem Mietverhältnis standen und sich grundsätzlich darüber einig waren, den Vertrag über die gleichen Räume ab 1. Oktober 1969 um weitere zehn Jahre zu verlängern. Es verhält sich im vorliegenden Fall ähnlich wie in dem in BGE 99 II 290 ff. beurteilten, obwohl dort die Parteien eine Änderungsklausel ausdrücklich vereinbart haben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 100 II 330
Datum : 24. September 1974
Publiziert : 31. Dezember 1975
Quelle : Bundesgericht
Status : 100 II 330
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Art. 1 OR. Unvollständiger Vertrag: Mieter und Vermieter vereinbaren, das Vertragsverhältnis bei dessen Ablauf um weitere


Gesetzesregister
OR: 1 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 1 - 1 Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich.
1    Zum Abschlusse eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich.
2    Sie kann eine ausdrückliche oder stillschweigende sein.
322 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 322 - 1 Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist.
1    Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist.
2    Lebt der Arbeitnehmer in Hausgemeinschaft mit dem Arbeitgeber, so bildet der Unterhalt im Hause mit Unterkunft und Verpflegung einen Teil des Lohnes, sofern nichts anderes verabredet oder üblich ist.
374 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 374 - Ist der Preis zum voraus entweder gar nicht oder nur ungefähr bestimmt worden, so wird er nach Massgabe des Wertes der Arbeit und der Aufwendungen des Unternehmers festgesetzt.
394
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 394 - 1 Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
1    Durch die Annahme eines Auftrages verpflichtet sich der Beauftragte, die ihm übertragenen Geschäfte oder Dienste vertragsgemäss zu besorgen.
2    Verträge über Arbeitsleistung, die keiner besondern Vertragsart dieses Gesetzes unterstellt sind, stehen unter den Vorschriften über den Auftrag.
3    Eine Vergütung ist zu leisten, wenn sie verabredet oder üblich ist.
BGE Register
100-II-330 • 99-II-290
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beginn • beklagter • dauer • miete • norm • treu und glauben • vertrag • wesentlicher punkt • wille • zins