A. STAATSRECHTLICHE ENTSGHEIDUNGEN DES CONTESTATIONS DE DROlT PUBLICErster
Abschnitt. Première section.

Bundesverfassung. Constitution fédérale.

I. Gleichheit vor dem Gesetze. Egalité devant Ia loi.

27. Urtheil vom 26. April 1884 in Sachen Zürcher Telephongesellschaft.

A. Die Zürchet Telephongesellschaft, welche ihr Domizil in der
StadtZürich hat, besitzt in der Gemeinde Aussersihl Grundeigenthum.
Durch zweitinstanzliche Entscheidung des Regierungsrathes des Kantons
Zürich vom 2. November 1883 wurde dieselbe pflichtig erklärt, dieses
Grundeigenihnm gegenüber der Gemeinde Aussersihl seinem rollen Werthe
nach zu Verstenern.

B. Gegen diesen Entscheid ergriff die Zürcher Telephongesellschaft den
staatsrechtlichen Nekurs an das Bundesgericht, indem sie ausführtx Nach §
137 litt. c des zürcherischen Gesetzes betreffend das Gemeindewesen seien
allerdings Aktiengesellschaften für den vollen Werth ihres in der Gemeinde
gelegenen Grundeigenthums gemeindestenerpslichtig und der angefochtene
Entscheid entspreche daher (nbgesehen von der hier nicht zu erörternden
Taxationssrage) dem kantonalen Gesetze. Allein die Rekurrens tin halte
die erwähnte gesetzliche Bestimmung selbst für unzuIässig Sofern zwar
die Versteuerung des Grundeigenthums

x-1884 m

166 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

nach seinem vollen Werthe, ohne Schuldenabzug, allgemein geltende
Regel wäre, möchte dieselbe kaum beanstandet werden können. Allein
dies sei eben nach zürcherischem Rechte nicht der Fall, Vielmehr
kenne die zürcherische Gesetzgebung im allgemeinen eine eigentliche
Grundsteuer nicht, sondern unterwerfe das Grundeigenthum nur insofern
der Besteuerung, als dasselbe wirkliches Vermögen des Eigenthümers
repräsentire. Einzig die Aktiengesellschaften werden mit Bezug auf die
Gemeindebesteuerung einer ansnahmsweisen Behandlung unterworfen; es
bestehen also zweierlei Gesetze: für Aktiengesellschaften d. h. für die
bei solchen betheiligten Bürger und für die übrigen Staatsangehörigen. Die
Aktiengesellschaft und also der Aktionär müsse das Vermögen und dann
nochmals die Liegenschaften versteuern, andere Bürger dagegen seien für
ihre Liegenschaften nur insofern steuerpflichtig, als darin wirklich
Vermögen stecke. Darin liege eine gegen Art. 2 der Kantonsverfassuug
verstossende Ungleichheit vor dem Gesetze. Denn es werden hier in
der That verschiedene Bürger unter innerlich gar nicht verschiedenen
Verhältnissen mit verschiedenen Lasten belegt. Diese Verletzung der
Rechtsgleichheit verletze die einzelnen Bürger, welche ihr Vermögen
in Aktien angelegt haben; denn die Aktiengesellschaft sei, wenn auch
juristisch ein besonderes Rechtssubjekt, doch ökonomisch nichts anderes
als Verwalterin des Vermögens der Aktionäre. Uebrigens wäre, auch
abgesehen hievon, eine ungleiche Behandlung der Aktiengesellschaften
unstatthaft, da die verfassungsmässig garantirten Rechte, soweit es sich
um Rechtsverhältnisse handle, die auch ohne leibliche Individualität
denkbar sind, auch den juristischen Personen gewährleistet seien. Im
Fernern widerspreche die erwähnte Gesetzesbestimmung dem Art. 19 Absatz
1 und 5 der zürcherischen Kantorisverfafsung, denn eine solche Steuer,
wie das angefochtene Gesetz sie anordite, treffe nicht alle Bürger
im Verhältnisse ihrer Hiilfs mittel, wie dies doch Art. 19 Absatz
1 vorschreibe, und verstosse gegen die in Absatz 5 ihidem ftir die
Gemeindesteuer gewährleistete Proportionalität der Besteuerung.

C. Der Regierungsrath des Kantons Zürich bemerkt in seiner Vernehmlassung
auf diese Beschwerde: Art. 19 der Kan-I. Gleichheit vor dem Gesetze. N°
I?. 167

tonsverfassung stehe der Einführung einer förmlichen Grundsteuer
im Gemeindesteuerwesen keineswegs entgegen. Der angefochtene §
137 litt. c. des Gemeindesteuergesetzes besteure allerdings das
Grundeigenthum der Aktiengesellschaften anders als dasjenige physischer
Personen; er schreibe eine spezifische Besteuerung des Grundeigenthums der
Aktiengesellschaften zu Gemeindezwecken vor. Wenn nun auch anzuerkennen
sei, dass die Besteuerung der Aktiengesellschaften zu den schwierigsten
Problemen der Staatswirthschaft gehöre, so müsse doch hervorgehoben
werden, dass eine Kommission des zürcherischen Kantonsrathes, welche
neuerdings die Bestimmungen betreffend das Gemeindesteuerwesen geprüft
habe, einstimmig dazu gelangt sei, auf unveränderte Beibehaltung der
angefochtenen Gesetzesbestimmung anzutragen.

D. In ihrer Replik führt die Rekurrentin aus, der Regierungsrath
berühre in seiner Vernehmlassung den wahren Kern der Frage gar nicht,
er erkenne die Begründetheit der Beschwerde eigentlich selbst an und
habe nicht einmal einen Antrag auf Abweisung derselben gestellt. Darauf,
was eine Kommission des Kantonsrathes beantragt oder beschlossen habe
und fo weiter, komme nichts an; über allen Gesetzen und Verordnungen
stehe die Verfassung und nach dieser sei die Beschwerde begründet,
wie in weiterer Entwicklung der in der Rekursschrist geltend gemachten
Argumente dargethan wird.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Dass die Bestimmung des Art. 137 litt. c des zürcherischen
Gemeindegesetzes vom 20. April 1875, wonach Aktiengesellschaften
der Gemeinde gegenüber für den vollen Werth ihres in der Gemeinde
gelegenen Grundeigenthums ohne jeden Abzug steuerpflichtig find, mit den
Vorschriften des am. 19 der Kantonsverfassung nicht im Widerspruche stehe,
ist vom Bundesgerichte bereits in seiner Entscheidung in Sachen Wasch-

. und Badanstalt Winterthur vom 26. Mai IST? (Amtliche

Sammlung, III, S. 317, Erw. 2) entschieden und näher begründet worden. Da
an dieser Entscheidung in allen Theilen festzuhalten isf, so kann
rückstchtlich der Begründung einfach auf dieselbe verwiesen werden.

168 A. Staatsrechtlic-he Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

2. Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetze sodann erstreckt
sich allerdings nicht nur auf physische sondern auch aus juristische
Personen, soweit letzteren überhaupt Nechtsfähigkeit zukommt Gehe
Amtliche Sammlung, VIII, S. 8, Erwägung 2); es kann sich also auch die
Rekurrentin auf denselben berufen. Allein dieser Grundsatz verbietet,
wie das Bundesgericht schon häufig ausgesprochen hat, keineswegs alle
Verschiedenheiten in der rechtlichen Behandlung einzelner Personen oder
Personenklassen; er schliesst vielmehr nur solche Rechtsverschiedenheiten
aus, welche nicht auf objektive Gründe sondern blos auf willkürliche
Satzung, auf subjektive Bevorzugung oder Benachtheiligung einzelner
Personen oder ganzer Personenklassen, zurückgeführt werden können. Als
ein derartiges der objektiven Begründung entbehrendes Ausnahmegesetz kann
aber die in Frage stehende Bestimmung des zürcherischen Steuerrechtes
nicht bezeichnet werden. Der legislatioe Werth derselben mag zweifelhaft
sein; allein es kann doch nicht gesagt werden, dass die besondere
Vorschrift, welche sie für die Gemeindebesteuerung der Aktiengesellschaft
aufstellt, jeder Begründung in der Natur der Verhältnisse ermangle. Die
Aktiengesellschaft ist wesentlich die Vereinsform für grössere Unterneh-
mungen, sie sammelt zu deren Betrieb erhebliche Vermögenswerthe,
sei es in Geld, sei es in liegenden Gütern, Fabriketablissements und
dergleichen, an. In diesem Momente nun kann allerdings ein Grund für
die angefochtene besondere Behandlnng der Aktiengesellschaft in der
Gemeindebesteuerung gefunden werden. Denn es ist nicht zu Verkennen,
dass bei Ausdehnung der gemeinrechtlichen Bestimmungenan die Besteuerung
der Aktiengesellschaften, die Steuertraft solcher Gemeinden, in welchen
sich grössere Aktienetablissements befinden, ohne dass die betreffenden
Gesellschaften dort ihren Sitz hätten, wesentlich beeinträchtigt werden
könnte, während doch gerade in Folge des Bestehens der fraglichen
Etablifsements grosse Anforderungen an die Gemeinde gestellt werden
müssen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.I. Gleichheit vor dem
Gesetze. N° 28. 169

28. Urtheil vom-4. April 1884 in Sachen Neff und Konsorten.

A. Vermittelst Nekursschrift vorn 13. Januar 1884 machen I. Nefs und
Konsorten beim Bundesgerichte im Wesentlichen Folgendes geltend: Am
27. April 1879 habe die Landsgemeinde des Kantons Appenzell Jnnerrhoden
beschlossen, dass in Zukunft das Tragen des Seitengewehres an der
Landsgerneinde, welches bisher nur als fakultativ betrachtet worden und
daher mehr und mehr abgekommen sei, obligatorisch sein solle. Diesem
Beschlusse sei in der Folge nachgelebt und es seien daher massenhaft
Landsgemeindedegen angeschafft worden Nur die Geistlichkeit in ihrer
Mehrzahl habe sich nicht fügen wollen und es seien daher Anstände
zwischen der Landsgemeindewache und einzelnen Geistlichen, welche ohne
Seitengewehr in den Landsgemeindering haben treten wollen, entstanden. In
Folge dessen habe sich die gesammte Geistlichkeit des Landes an die
Standeskommission gewendet, mit dem Begehren, dass sie vom Tragen des
Seitengewehrs dispensirt werde. Durch Beschluss vom 20. Juli 1883 habe die
Standeskommission diesem Begehren entsprochen und habe mit Berufung auf
Art. 49 der Bundesversassung die Geistlichkeit Vom Degentragen dispensirtz
dieser Beschluss sei einzig und allein mit Bezug auf die Geistlichkeit
gefasst und es sei dabei keine Andeutung gemacht worden, dass auch andere
Bürger non dem Tragen des Seitengewehres dispensirt werden îfinnen. Dies
ergehe sich aus den betreffenden Korrespondenzen in den öffentlichen
Blättern und auch aus dem ursprünglichen, unveränderten Protokolle der
Standeskommission. Jnfolge dessen haben die Rekurrenten in dem Beschlusse
der Standeskommission eine Verfassungsverletzung und ungleiche Behandlung
der Bürger vor dem Gesetze erblickt und haben dagegen den Rekurs an den
Grossen Rath ergriffen. Bei der Berathung über diesen Nekurs im Grossen
Rathe habe das under-änderte Protokoll der Standeskommission vorgelegen
Und die Diskussion habe sich daher lediglich um die Dispensation der
Geistlichen gedreht; durch Beschluss des Grossen Rathes
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 10 I 165
Datum : 25. April 1884
Publiziert : 30. Dezember 1885
Quelle : Bundesgericht
Status : 10 I 165
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : A. STAATSRECHTLICHE ENTSGHEIDUNGEN DES CONTESTATIONS DE DROlT PUBLICErster Abschnitt.


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