Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
U 330/06
Urteil vom 26. September 2006
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ursprung, Bundesrichter Schön und Frésard; Gerichtsschreiber Wey
Parteien
SOLIDA Versicherungen AG, Saumackerstrasse 35, 8048 Zürich, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Marianne I. Sieger, Kuttelgasse 8, 8001 Zürich,
gegen
W.________, 1947, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Frischkopf, Bahnhofstrasse 24, 6210 Sursee
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 29. Mai 2006)
Sachverhalt:
A.
Der 1947 geborene W.________ war jeweils im Winter als Saisonangestellter bei der Luftseilbahn X.________ AG und im Sommer als landwirtschaftlicher Arbeiter tätig. Seit dem 15. April 2003 war er bei H.________ angestellt und dadurch bei der Concordia Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung (nachfolgend Concordia) für Heilbehandlung und Taggeld und bei der SOLIDA Versicherungen AG (nachfolgend SOLIDA) für Invalidenrente und Integritätsentschädigung obligatorisch unfallversichert. Am 15. April 2003 erlitt der Versicherte bei Waldarbeiten einen Unfall. Dabei zog er sich schwere Verletzungen an beiden Händen zu (Amputation des rechten dominanten Daumens auf Höhe Grundgelenk sowie ausgedehnte palmare Fingerkuppendefekte an Dig IV und V der linken Hand). W.________ war zwischen dem 15. April 2003 und dem 30. April 2003 im Spital Y.________, Abteilung für Hand- und Plastische Chirurgie, hospitalisiert. Gemäss Austrittsbericht der Dres. F.________ und E.________ vom 29. April 2003 wurde ein Replantationsversuch des rechten Daumens, eine Zeigefingerpollizisation, eine Fingerkuppendefektdeckung an Dig IV links mit retrogradem Insel-Lappen nach Oberlin, eine Defektdeckung an Dig V links mit latero-dorsalem, neurovasculärem Insellappen
nach Joshi sowie ein Débridement und eine Spalthauttransplantation vom Oberschenkel rechts vorgenommen. Während die Concordia die Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen per 31. Januar 2005 einstellte, sprach die SOLIDA mit Verfügung vom 13. Januar 2005, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 10. Mai 2005, dem Versicherten eine 20%ige Integritätsentschädigung zu, verneinte aber den Anspruch auf eine Invalidenrente.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiess die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 29. Mai 2006 in dem Sinne gut als es die Sache zur ergänzenden medizinischen Abklärung (Einholung eines handchirurgischen Gutachtens) und anschliessenden neuen Verfügung über den Rentenanspruch an die SOLIDA zurückwies.
C.
Die SOLIDA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben.
Während W.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist, ob der zur Beurteilung des Invaliditätsgrades (Art. 16
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 16 Grad der Invalidität - Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. |
1.1 Im eingangs erwähnten Austrittsbericht vom 29. April 2003 beurteilten die Dres. F.________ und E.________ den postoperativen Verlauf als problemlos; "unter Antibiotikaprophylaxe über 48h iv." hätte sich "erfreulicherweise kein Infekt" entwickelt. "Nach einer Woche, nach genügender Granulation konnten die verbleibenden Hautdefekte über Dig IV und V links sowie über der Grundphalanx des Daumens rechts mit Spalthaut gedeckt werden." Der Versicherte sei in gutem Allgemeinzustand und mit reizlosen Wundverhältnissen nach Hause entlassen worden. Der Hausarzt Dr. B.________ bescheinigte ihm bis auf weiteres eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit (Arztzeugnis vom 2. Mai 2003). Im Bericht vom 16. September 2003 hielt Dr. F.________ fest, die Wundheilung sei zufriedenstellend, indessen liege eine eingeschränkte Beweglichkeit der Strecksehne vor. Deshalb sei "eine Raffung der Strecksehne mit zusätzlicher besserer Weichteilpolsterung am Daumen mittels interossea posterior-Lappen" geplant. Zudem berichtete er, es bestehe seit dem 30. Juni 2003 eine 25%ige Arbeitsfähigkeit und eine erhebliche "Einschränkung der Funktion der dominanten Hand bei entsprechendem Kraftverlust und Einschränkung der Feinmotorik". Nach erfolgreicher Durchführung der
zweiten Operation, die eine Hospitalisation vom 8. bis 11. Oktober 2003 zur Folge hatte, erachtete Dr. F.________ in seinem Bericht vom 3. Februar 2004 den Verlauf als zufriedenstellend, stellte "jedoch wenig aktive Funktion im Mittelgelenk des Neodaumens" fest und schloss gegebenenfalls eine "Arthrodese des Mittelgelenkes am Neodaumen zu einem späteren Zeitpunkt" nicht aus. Eine Arbeitsaufnahme befürwortete er ab 16. Dezember 2003 zu einem Pensum von 50 %. Der Vertrauensarzt der Concordia, Dr. L.________, nahm in seinem Bericht vom 30. März 2004 Bezug auf die prognostizierte allfällige Arthrodese und ging dabei davon aus, dass die Arbeitsfähigkeit bei 50 % verbleiben werde; er fügte bei, er könne sich "nur schwer vorstellen, dass diese Einschätzung berufsabhängig variabel" sei. Denn "die dominante Hand rechts als auch die adominante Hand links fingerseits" seien "hinsichtlich Kraft und Feinmotorik entscheidend invalidisiert". Gemäss Arztbericht von Dr. F.________ vom 8. Juni 2004 könne der Versicherte den Neodaumen zum Teil einsetzen. Zudem sei auf der Seite der Fingerkuppenverletzungen links der Faustschluss erreicht, die Streckfähigkeit der Mittelgelenke sei hingegen etwas eingeschränkt. Eine Arbeitsfähigkeit bestehe
mittlerweile "zu 50 % ab dem 21.04.04 bis auf weiteres". Auch in seiner Stellungnahme vom 18. Juni 2004, den Dr. F.________ für die IV-Stelle Luzern verfasste, hielt er die bisherige Arbeit im Rahmen "einer etwa 50%-igen Tätigkeit (...) in verminderter Intensität" für zumutbar. "Tätigkeiten, die rohe Kraft voraussetzen", seien "nur in vermindertem Ausmass möglich, ebenso Tätigkeiten, die ein hohes Mass an Feinmotorik stellen". Diese Einschätzung wurde von Dr. F.________ in einem Schreiben vom 9. August 2006 an den Rechtsvertreter des Versicherten präzisiert: Danach seien Letzterem "tatsächlich auf Dauer unfallbedingt weder grobmotorische noch feinmotorische Tätigkeiten (bei längerer Tätigkeit) zumutbar". Am 26. Oktober 2004 hatte Dr. F.________ berichtet, es gäbe mit Blick auf die Vorzeugnisse keine relevanten Änderungen. Die Leistungsfähigkeit betrage seit dem 16. Dezember 2003 bis auf weiteres 50 %. Dieser Einschätzung der Arbeitsfähigkeit schloss sich mit Bericht vom 14. November 2004 auch der Vertrauensarzt der Concordia, Dr. L.________, an. Zur Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit äusserte er sich dahingehend, dass der Versicherte "praktisch kompensierend die adominante linke Hand einsetzen" müsse. Insgesamt sei "natürlich die
effektive Muskelkraft einschneidend reduziert". Als zumutbare Arbeiten wurden Anbügeln beim Skilift sowie leichte Kontrollarbeiten genannt. Hingegen seien Pistenreparaturen und Sicherheitsnetzinstallationen "undenkbar"; in der Landwirtschaft seien "nur noch leichte Hilfsarbeiten realistisch". In einem Aktenbericht vom 23. November 2004 legt der Vertrauensarzt der SOLIDA, Dr. C._______, zur Zumutbarkeit einer Tätigkeit als Landwirt etwa dar, dass "allgemein schwere Arbeiten" nicht mehr ausgeführt werden könnten. Weiter werde der Versicherte vor allem "Schwierigkeiten beim kräftigen Einsatz seiner linken Hand [recte wohl: rechten Hand] haben, wie z.B. beim Heben von schweren Lasten, beim Heben von Heuballen, Führen einer Schaufel oder einer Gabel". Auch seien "solche Hände (...) etwas Kälte überempfindlich, so dass in der kalten Jahreszeit eine zusätzliche Einschränkung des Einsatzes resultieren" könne. Dr. C._______ empfahl eine "Abklärung der Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz" und ging davon aus, dass "als Leitlinie eine Restarbeitsfähigkeit (...) von 65 % angestrebt werden sollte". Für die Tätigkeit als Portier, Kassier, Kleinbuschauffeur (Pendeldienst Hotel-Bahnhof, Hotel-Flugplatz usw.), Parkplatzkontrolleur im Verkehrsdienst
sowie als Zugbegleiter attestierte er jeweils eine 100%ige Arbeitsfähigkeit.
1.2 Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Beurteilungen im Hinblick auf die verbleibende Arbeitsfähigkeit des Versicherten divergieren: Während mehrheitlich eine Restarbeitsfähigkeit von 50 % angenommen wird, spricht Dr. C._______ von einer solchen von 65 % bzw. gar 100 % in einer leidensangepassten Tätigkeit. Der Entscheid der Vorinstanz, wonach es unumgänglich sei, ein handchirurgisches Gutachten einzuholen, ist somit namentlich vor dem Hintergrund sich widersprechender medizinischer Berichte nicht zu beanstanden. Hervorzuheben gilt es darüber hinaus, dass der Bericht von Dr. C._______ vom 23. November 2004, auf den sich die SOLIDA im Einspracheentscheid vom 10. Mai 2005 massgeblich stützt, einerseits klare Aussagen zur verbleibenden Arbeitsfähigkeit macht, andererseits aber ebenfalls eine weitere "Abklärung zur Leistungsfähigkeit" für notwendig erachtet. Zu den Berichten von Dr. F.________ ist insbesondere zu bemerken, dass sie wohl das Mass der verbleibenden Arbeitsfähigkeit beziffern, es dabei aber an einer hinreichenden Bezugnahme auf die Art der noch möglichen Tätigkeiten vermissen lassen. Das zusätzlich einzuholende Gutachten hat namentlich in diesem und ebenso in den weiteren von der Vorinstanz richtigerweise genannten
Punkten Aussagen zu enthalten.
2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die SOLIDA dem Beschwerdegegner dessen Parteikosten zu ersetzen (Art. 159 Abs. 2
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ATSG Art. 16 Grad der Invalidität - Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. |
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die SOLIDA hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 26. September 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: