Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C 471/2017
Urteil vom 22. Dezember 2017
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Seiler, Präsident,
Bundesrichter Zünd,
Bundesrichter Haag,
Gerichtsschreiberin Straub.
Verfahrensbeteiligte
B.A.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger,
gegen
Migrationsamt des Kantons Zürich,
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.
Gegenstand
Aufenthaltsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 5. April 2017 (VB.2016.00794).
Sachverhalt:
A.
B.A.________ (geboren 1964) ist Staatsangehörige von Serbien und Kroatien. Sie reiste im September 2011 von Serbien in die Schweiz ein und heiratete am 17. November 2011 den hier niedergelassenen deutschen Staatsangehörigen A.A.________ (geboren 1965). In der Folge erhielt sie eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, die bis zum 19. August 2017 verlängert wurde.
Infolge eines handgreiflichen Streits zwischen den Ehegatten vom 9. Juli 2014 wurde B.A.________ mit Verfügung der Kantonspolizei Zürich vom 10. August 2014 aus der ehelichen Wohnung weggewiesen, und es wurde ein Betret- und Kontaktverbot ausgesprochen. Mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts Pfäffikon vom 18. August 2014 wurde das Verbot bis zum 24. November 2014 verlängert. B.A.________ begab sich nach dem Vorfall vom 9. August 2014 in die Clienia Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Oetwil am See und später in die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) in Rheinau, wo sie bis zum 23. Dezember 2014 in stationärer psychiatrischer Behandlung war. Am 23. Dezember 2014 zog B.A.________ wieder zu ihrem Ehemann. Mit Urteil des Bezirksgerichts Pfäffikon vom 11. März 2015 wurde den Eheleuten das Getrenntleben gestattet und die eheliche Wohnung dem Ehemann zugewiesen.
Das Migrationsamt des Kantons Zürich widerrief mit Verfügung vom 26. Oktober 2015 die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA von B.A.________, wies sie aus der Schweiz weg und setzte ihr eine Ausreisefrist bis 28. Dezember 2015.
B.
Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (Rekursentscheid der Sicherheitsdirektion vom 17. November 2016; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. April 2017).
C.
Mit Eingabe vom 22. Mai 2017 erhebt B.A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragt, die Aufenthaltsbewilligung sei nicht zu widerrufen, eventualiter sei von der Wegweisung abzusehen, subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Mit Verfügung vom 24. Mai 2017 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich verzichten auf Vernehmlassung. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) lässt sich nicht vernehmen.
B.A.________ ersucht mit Eingabe vom 19. Juni 2017 um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Am 26. Juni 2017 teilt sie mit, sie werde eine Invalidenrente erhalten und die Wegweisung sei ihr nicht zumutbar.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen den verfahrensabschliessenden Entscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a , Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin macht in vertretbarer Weise einen Bewilligungsanspruch nach Art. 7 lit. d FZA (SR 0.142.112.681) sowie Art. 50 AuG (SR 142.20) geltend (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario; BGE 139 I 330 E. 1.1 S. 332). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten. Soweit die Beschwerdeführerin den kantonalen Wegweisungsentscheid anficht, wäre hingegen einzig die subsidiäre Verfassungsbeschwerde zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 4 i.V.m. Art. 113 BGG). Mangels ausreichend erhobener Verfassungsrügen (Art. 117 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG) kann auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde indes nicht eingetreten werden.
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5 S. 144). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dabei gelten, wie bei den in Art. 106 Abs. 2 BGG genannten Rügen, strenge Anforderungen an die Begründung (BGE 139 I 72 E. 9.2.3.6 S. 96 mit Hinweis).
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f.). Echte Noven, d.h. Tatsachen, die erst nach dem angefochtenen Urteil eingetreten sind, bleiben im bundesgerichtlichen Verfahren in jedem Fall unberücksichtigt (BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123; 135 I 221 E. 5.2.4 S. 229; 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.). Der mit Eingabe vom 26. Juni 2017 eingereichte Vorbescheid der IV-Stelle der Sozialversicherungsanstalt (SVA) des Kantons Zürich vom 13. Juni 2017 ist als echtes Novum unzulässig und im vorliegenden Verfahren nicht zu beachten.
2.
Die Vorinstanz führte aus, eine Bewilligungserteilung aufgrund der kroatischen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin sei nicht Gegenstand des Verfahrens und daher nicht zu prüfen. Sie beschränkte sich auf die Prüfung, ob die Beschwerdeführerin als Ehefrau eines EU-Bürgers ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in der Schweiz habe und ob ein nachehelicher Härtefall gemäss AuG vorliege.
2.1. Seit dem 1. Januar 2017 gilt das FZA auch für kroatische Staatsbürgerinnen und -bürger, wenngleich derzeit noch keine volle Freizügigkeit besteht und insbesondere noch Zulassungsvoraussetzungen (wie der Inländervorrang) und Höchstzahlen (Kontingente) hinsichtlich des Zugangs zum hiesigen Arbeitsmarkt gelten (vgl. Protokoll vom 4. März 2016 zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Kroatien als Vertragspartei infolge ihres Beitritts zur Europäischen Union [Protokoll III FZA; AS 2016 5251]; Rundschreiben des Staatssekretariats für Migration SEM vom 21. Dezember 2016 zur "Ausdehnung vom 1. Januar 2017 des Freizügigkeitsabkommens [FZA] auf Kroatien"). Mit Urteil 2C 116/2017 vom 3. Oktober 2017 hat das Bundesgericht in Bezug auf Art. 5 Anhang I FZA entschieden, dass die Bestimmung auf die Beendigung der Anwesenheit bereits hier ansässiger kroatischer Bürgerinnen anzuwenden ist, sodass diese gegenüber anderen Unionsbürgerinnen nicht schlechter gestellt sind (vgl. Urteil 2C 116/2017 vom 3. Oktober 2017 E. 3.4.2). Dasselbe muss für die übrigen Bestimmungen des FZA
gelten, soweit ihre sofortige Anwendung nicht durch das erwähnte Protokoll III FZA ausgeschlossen wird.
2.2. Die Beschwerdeführerin macht keine Rechte aus Art. 4 Abs. 1 oder Art. 24 Abs. 1 Anhang I FZA geltend. Das Bundesgericht prüft die Anwendung von Bundesrecht und Völkerrecht (wozu das FZA zählt) frei und auch ohne entsprechende Rüge, wenn der Anspruch - wie hier - geradezu ins Auge springt (Art. 95 Bst. a und b BGG; vgl. E. 1.2 hiervor; Urteil 2C 1102/2013 vom 8. Juli 2014 E. 4.3). Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil ausdrücklich festgehalten, ein Anspruch der Beschwerdeführerin aus Art. 4 Abs. 1 Anhang I FZA (Verbleiberecht nach Beendigung der Erwerbstätigkeit) oder allenfalls ein Anspruch aus Art. 24 Abs. 1 Anhang I FZA (Aufenthaltsregelung ohne Erwerbstätigkeit) komme in Betracht. Unter Hinweis auf den beschränkten Streitgegenstand verzichtete sie jedoch auf Ausführungen hierzu und unterliess eine entsprechende Prüfung.
2.3. Da Aufenthaltsbewilligungen gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen keine rechtsbegründende, sondern bloss deklaratorische Bedeutung haben (BGE 136 II 329 E 2.2 S. 332 f.; 134 IV 57 E. 4 S. 58 f.), ist nicht auszuschliessen, dass die Beschwerdeführerin seit der Ausdehnung des FZA auf Kroatien und Inkrafttreten des Protokolls III FZA über einen eigenen, von demjenigen ihres Ehemannes unabhängigen freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsanspruch verfügt. Dies hätte im Verfahren betreffend Widerruf der Aufenthaltsbewilligung von der Vorinstanz im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 110 BGG) beachtet werden müssen, zumal sich dieser als unverhältnismässig resp. unzulässig erweisen könnte. Verfahrensgegenstand vor der Vorinstanz war die Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin. Die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage diese beruht, betrifft nicht den Streitgegenstand, sondern dessen rechtliche Beurteilung (vgl. Urteile 2C 44/2017 vom 28. Juli 2017 E. 3; 2C 1140/ 2015 vom 7. Juni 2016 E. 2.2.1). Indem die Vorinstanz trotz der bestehenden Anhaltspunkte für eine eigene freizügigkeitsrechtliche Aufenthaltsberechtigung die Ansprüche der Beschwerdeführerin aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 Anhang I FZA nicht prüfte,
verletzte sie Bundesrecht.
3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und die Sache ist zur Prüfung eines freizügigkeitsrechtlichen Anspruchs der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer kroatischen Staatsbürgerschaft an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. April 2017 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.- auszurichten.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Dezember 2017
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Seiler
Die Gerichtsschreiberin: Straub