Bundesstrafgericht
Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal
Geschäftsnummer: BG.2009.25
Entscheid vom 16. November 2009 I. Beschwerdekammer
Besetzung
Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz, Tito Ponti und Alex Staub, Gerichtsschreiber Stefan Graf
Parteien
Kanton Zürich, Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Gesuchsteller
gegen
Cantone Ticino, Ministero pubblico,
Gesuchsgegner
Gegenstand
Örtlicher Gerichtsstand (Art. 279 Abs. 1 BStP i.V.m. Art. 345 StGB)
Sachverhalt:
A. Am 2. Juni 2009 erstattete A. bei der Kantonspolizei St. Gallen Strafanzeige gegen B. und dessen Lebenspartnerin C., beide wohnhaft in Z. (Kanton Zürich) wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht gemäss Art. 219
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 219 - 1 Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.297 |
B. Die Kantonspolizei St. Gallen leitete die Strafanzeige am 25. Juni 2009 zuständigkeitshalber an das Polizeikommando des Kantons Zürich weiter (act. 1.1). Auf Ersuchen der Kantonspolizei Zürich gelangte die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland am 21. Juli 2009 an das Ministero pubblico des Kantons Tessin (nachfolgend „Ministero pubblico“) und bat dieses um Prüfung des Gerichtsstandes und um Bestätigung der allfälligen Übernahme des Verfahrens (act. 1.4). Mit Schreiben vom 22. Juli 2009 befürwortete das Ministero pubblico ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand und ersuchte die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland seinerseits um Bestätigung der Übernahme des Verfahrens (act. 1.5). Das nachfolgende Ersuchen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 11. August 2009 um Anerkennung der Zuständigkeit lehnte das Ministero pubblico am 8. September 2009 ebenfalls ab (act. 1.8).
C. Mit Gesuch vom 9. September 2009 gelangte die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragte, es seien die Behörden des Kantons Tessin für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die B. und C. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen (act. 1).
Das Ministero pubblico schloss in seiner Gesuchsantwort vom 24. September 2009 auf Abweisung des Gesuchs (act. 4).
Die Gesuchsantwort wurde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 25. September 2009 zur Kenntnis gebracht (act. 5).
Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.
Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Zuständigkeit der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich aus Art. 345 StGB i.V.m. Art. 279 Abs. 1 BStP, Art. 28 Abs. 1 lit. g
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 219 - 1 Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.297 |
1.2 Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich ist berechtigt, den Gesuchsteller bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der I. Beschwerdekammer zu vertreten (§ 6 lit. m der Verordnung über die Organisation der Oberstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaften des Kantons Zürich vom 27. Oktober 2004 [LS 213.21]). Bezüglich des Gesuchsgegners steht diese Befugnis praxisgemäss dem Ministero pubblico des Kantons Tessin zu (Schweri/Bänziger, a.a.O., Anhang II – der dort enthaltene Hinweis auf die entsprechende gesetzliche Grundlage ist mittlerweile jedoch veraltet; vgl. zuletzt Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2009.30 vom 26. Oktober 2009, E. 1.2). Der Gesuchsteller hat mit dem Gesuchsgegner vor Einreichung des Gesuchs einen Meinungsaustausch durchgeführt. Auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben vorliegend zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass, so dass auf das Gesuch einzutreten ist.
2.
2.1 Zwischen den Parteien unumstritten ist die Frage nach dem gesetzlichen Gerichtsstand. Dieser liegt auf Grund des Art. 340 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 219 - 1 Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.297 |
2.2 Wo es zweckmässig erscheint, kann die I. Beschwerdekammer von den gesetzlichen Gerichtsstandsregeln abweichen und den Gerichtsstand anders als in Art. 340
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 219 - 1 Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.297 |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 219 - 1 Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.297 |
2.3 Der Gesuchsgegner befürwortet ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand zum einen mit der Tatsache, dass die beiden Beschuldigten ihren Wohnsitz im Kanton Zürich haben, wobei B. dort auch sein ihm hinsichtlich seines Sohnes zustehendes Besuchsrecht ausübt (act. 1.8). Es sei zudem nicht auszuschliessen, dass sich die beiden Beschuldigten hinsichtlich des Kindes bereits vorher eines, hinsichtlich des beanzeigten, gleichartigen Verhaltens schuldig gemacht hätten. Dem ist entgegen zu halten, dass der Wohnsitz im Strafverfahren keinen genügenden Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Gerichtsstandes begründet (Entscheid des Bundesstrafgerichts BK_G 127/04 vom 21. Oktober 2004, E. 2.1). Bezüglich der Vermutung, die Beschuldigten hätten bereits zuvor und andernorts auf gleiche Weise zum Nachteil des Kindes delinquiert, ist festzuhalten, dass sich die I. Beschwerdekammer bei der Beantwortung von Gerichtsstandsfragen an Fakten zu halten hat. Blosse Vermutungen genügen für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand nicht (Entscheid des Bundesstrafgerichts BK_G 108/04 vom 20. August 2004, E. 4; vgl. auch Guidon/Bänziger, a.a.O., [Rz 25] m.w.H.). Als weiteres vom Gesuchsgegner vorgebrachtes Argument verbleibt somit die Tatsache, dass es sich bei den Parteien durchwegs um deutschsprachige Personen mit Wohnsitz in der Deutschschweiz handelt, was die Übersetzung sämtlicher Verfahrensakten erforderlich mache und was im Falle der Durchführung des Strafverfahrens im Kanton Tessin für die Beteiligten zu langen und kostspieligen Reisen führen würde. Diese Argumente haben sicherlich ihre Berechtigung, drängen aber für sich alleine genommen kein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand auf; insbesondere dann nicht, wenn es im Kanton, in welchem das Strafverfahren nach einem solchen Abweichen durchgeführt werden soll an jeglichem Anknüpfungspunkt fehlt (anders im vom Gesuchsgegner angeführten Entscheid des Bundesstrafgerichts BK_G 024/04 vom 28. April 2004). Die vom Gesuchsgegner genannten Probleme dürften insbesondere dadurch etwas entschärft werden, als der Beschuldigte lediglich das Recht hat auf eine mündliche oder schriftliche Übersetzung der Akten, deren Verständnis für die Garantie eines fairen Verfahrens unabdingbar ist. Eine schriftliche Übersetzung sämtlicher Verfahrensakten kann nicht in jedem Fall
verlangt werden (TPF 2004 48 E. 2.3 und 2.4) und könnte sich im Falle des Beizuges von Rechtsvertretern, welche sowohl deutsch als auch italienisch beherrschen, weitgehend erübrigen. Angesichts der Wohnorte der in der Anzeige genannten möglichen Zeugen ergäbe sich zudem auch im Falle einer Durchführung des Strafverfahrens im Kanton Zürich zum Teil ein erheblicher Reiseaufwand. Hinsichtlich der beiden Beschuldigten, welche im Strafverfahren keinen Anspruch auf einen Richter an ihrem Wohnsitz haben, ist es möglich, sich am Ort der Begehung ihrer mutmasslichen Taten zu verteidigen, wie auch zumutbar, zu diesem Zweck in den Kanton Tessin zu reisen. Zumindest im Stadium des Ermittlungsverfahrens bzw. der Voruntersuchung steht es den Tessiner Strafverfolgungsbehörden zudem offen, Einvernahmen der beteiligten Personen auf dem Rechtshilfeweg vornehmen zu lassen, ein vorliegendenfalls im Sinne der Verfahrensökonomie sicher zu empfehlendes Vorgehen.
3. Nach dem Gesagten drängt sich kein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand auf. Das Gesuch ist somit gutzuheissen und es sind die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Tessin für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die B. und C. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
4. Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 245 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 219 - 1 Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer minderjährigen Person verletzt oder vernachlässigt und sie dadurch in ihrer körperlichen oder seelischen Entwicklung gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Geldstrafe.297 |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
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1 | Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
2 | Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden. |
3 | Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht. |
4 | Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist. |
5 | Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen. |
Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:
1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Tessin sind berechtigt und verpflichtet, die B. und C. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Bellinzona, 17. November 2009
Im Namen der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zustellung an
- Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
- Ministero pubblico
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.