Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas

Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts

Prozess
{T 7}
I 256/05

Urteil vom 10. Oktober 2005
IV. Kammer

Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiber Hadorn

Parteien
W.________, 1988, Beschwerdeführerin, handelnd durch ihre Eltern,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17,
8005 Zürich, Beschwerdegegnerin

Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 24. Februar 2005)

Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 30. Juni 2003 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich ein Gesuch der W.________ (geb. 1988) um medizinische Massnahmen zur Behandlung einer Anorexie im Ausland ab. Diese Verfügung bestätigte die IV-Stelle mit Einspracheentscheid vom 5. Dezember 2003.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 24. Februar 2005 ab.
C.
W.________, vertreten durch ihre Eltern, führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Invalidenversicherung sei zur Übernahme medizinischer Massnahmen zu verpflichten.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Anspruch auf medizinische Massnahmen der Invalidenversicherung im Allgemeinen (Art. 12 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
1    Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
2    Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind.
3    Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt.
IVG) und bei Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr im Besonderen (Art. 8 Abs. 2
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 8 Invalidität - 1 Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.
1    Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.
2    Nicht erwerbstätige Minderjährige gelten als invalid, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird.12
3    Volljährige, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, gelten als invalid, wenn eine Unmöglichkeit vorliegt, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen. Artikel 7 Absatz 2 ist sinngemäss anwendbar.13 14
ATSG bzw. Art. 5 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 5 Sonderfälle - 1 Bei Versicherten mit vollendetem 20. Altersjahr, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, bestimmt sich die Invalidität nach Artikel 8 Absatz 3 ATSG50.51
1    Bei Versicherten mit vollendetem 20. Altersjahr, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, bestimmt sich die Invalidität nach Artikel 8 Absatz 3 ATSG50.51
2    Bei nicht erwerbstätigen Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr bestimmt sich die Invalidität nach Artikel 8 Absatz 2 ATSG.
IVG in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung), die zur Behandlung psychischer Leiden erlassenen Verwaltungsweisungen (Rz 645-647 / 845-847 des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherung über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen [KSME]) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 105 V 20; AHI 2003 S. 104 Erw. 2, 2000 S. 64 Erw. 1) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Versicherte Anspruch auf medizinische Massnahmen zu Lasten der Invalidenversicherung hat.
2.1 Nach der Rechtsprechung können bei nichterwerbstätigen Minderjährigen medizinische Vorkehren schon dann überwiegend der beruflichen Eingliederung dienen und trotz des einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der Invalidenversicherung übernommen werden, wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisierter Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit oder beide beeinträchtigt würden. Dabei geht es also um die erwerblich bedeutsame Heilung eines Leidens, das sich ohne vorbeugende medizinische Vorkehren zu einem stabilen pathologischen Zustand entwickeln würde. Hier soll der Eintritt eines stabilen Defektes verhindert werden. Handelt es sich aber nur darum, die Entstehung eines solchen Zustandes mit Hilfe von Dauertherapie hinauszuschieben, so liegt keine Heilung vor. Freilich wird auch durch derartige kontinuierliche Behandlung die Erwerbsfähigkeit positiv beeinflusst, aber es besteht eine ähnlich Situation wie beispielsweise beim Diabetiker, dessen Gesundheitszustand durch ständige medikamentöse Therapie bloss im Gleichgewicht gehalten und dadurch vor wesentlicher, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigender Verschlimmerung mit allenfalls letalem Risiko bewahrt wird;
auch hier ist die medizinische Vorkehr nicht auf die Heilung eines Leidens zur Verhütung eines stabilen pathologischen Defektes gerichtet. In allen derartigen Fällen stellen die Vorkehren nach der Rechtsprechung (dauernde) Behandlung des Leidens an sich dar, und es kommt ihnen kein Eingliederungscharakter im Sinne des IVG zu (BGE 100 V 43 Erw. 2a; vgl. auch BGE 105 V 19). Diese Rechtsprechung wurde in ZAK 1981 S. 548 Erw. 3a ausdrücklich bestätigt. Dabei ist bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen von Art. 12 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
1    Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
2    Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind.
3    Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt.
IVG bei Minderjährigen nicht entscheidend, ob eine Sofortmassnahme (z.B. eine Operation) oder eine zeitlich ausgedehntere (aber nicht unbegrenzte) Vorkehr (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie) angeordnet wird (Urteil Z. vom 23. September 2004, I 23/04).
2.2 Die dargelegte Rechtsprechung zu den medizinischen Massnahmen stützt sich auf Art. 12 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
1    Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
2    Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind.
3    Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt.
IVG, wonach nur solche Vorkehren von der Invalidenversicherung zu übernehmen sind, die "nicht auf die Behandlung des Leidens an sich", also nicht auf die Heilung oder Linderung labilen pathologischen Geschehens gerichtet sind. Während dies bei Erwachsenen ohne weiteres gilt, sind bei Jugendlichen - ihrer körperlichen und geistigen Entwicklungsphase Rechnung tragend - medizinische Vorkehren trotz des einstweilen noch labilen Leidenscharakters von der Invalidenversicherung zu übernehmen, wenn ohne diese Vorkehren in absehbarer Zeit eine Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisierter Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit oder beide beeinträchtigt würden (BGE 98 V 215 Erw. 2). Die Invalidenversicherung hat daher bei Jugendlichen - die Erfüllung der übrigen Voraussetzungen vorbehalten - nicht nur unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren zu übernehmen, sondern auch dann Leistungen zu erbringen, wenn es darum geht, mittels geeigneter Massnahmen einem die berufliche Ausbildung oder die künftige Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden
Defektzustand vorzubeugen. Diese Rechtsprechung wurde wiederholt bestätigt (BGE 105 V 20; AHI 2000 S. 64 Erw. 1, 2003 S. 104 Erw. 2; erwähntes Urteil Z.).
2.3 Es gibt Leiden, welche nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft ohne dauernde Behandlung nicht gebessert werden können. Dies trifft in der Regel unter anderem bei Schizophrenien und manisch-depressiven Psychosen zu (BGE 100 V 44 Erw. 2a; erwähntes Urteil Z.). Deren Behandlung fällt nach der Rechtsprechung nicht in den Bereich der Invalidenversicherung. Denn es geht in diesen Fällen nicht um einen "einstweilen noch labilen Leidenscharakter", sondern um eine dauernde Behandlung des Leidens, von welcher nicht mehr gesagt werden kann, sie diene (auch) der beruflichen Eingliederung. Es fehlt somit am Eingliederungscharakter der Therapie. Da die Behandlungsbedürftigkeit in diesen Fällen auch im Erwachsenenalter unverändert andauert, besteht kein Grund, die speziell für Versicherte vor dem vollendeten 20. Altersjahr geltende Praxis anzuwenden (erwähntes Urteil Z.).
2.4 Andere Krankheiten nehmen nach medizinischen Erkenntnissen einen individuell unterschiedlichen Verlauf. Dies ist beispielsweise bei der Anorexia nervosa der Fall, welche zur totalen Remission führen, aber auch chronisch-persistierende und chronisch-rezidivierende Varianten aufweisen kann. Von einer Heilung lässt sich nur bei 45 % der Fälle sprechen. Eine partielle Besserung tritt bei etwa 33 % der Patienten ein, und 20 % zeigen einen chronifizierten Krankheitsverlauf. Als positive Prognosefaktoren können Erkrankungen in der Adoleszenz, hysterische Persönlichkeitsanteile, konfliktfreie Eltern-Kind-Beziehungen, kurze und wenige stationäre Behandlungen, kurze Krankheitsdauer vor der stationären Therapie und höherer Bildungs- und Sozialstatus betrachtet werden. Ungünstige Prognosefaktoren sind hingegen Erbrechen, Bulimie, hoher Gewichtsverlust, Chronizität, prämorbide Auffälligkeiten im Sinne von Entwicklungsabweichungen und Verhaltensprobleme sowie männliches Geschlecht (erwähntes Urteil Z.; Hans -Christoph Steinhausen, Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen, Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie, 5. Auflage, München 2002, S. 169). Der Umstand, dass die Anspruchsvoraussetzungen oftmals nicht erfüllt sind, ändert
nichts daran, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob Anspruch auf medizinische Massnahmen gegenüber der Invalidenversicherung besteht. Die Anspruchsvoraussetzungen einer psychotherapeutischen Behandlung wurden denn auch in AHI 2000 S. 63 eingehend geprüft und gestützt auf die fachärztlichen Meinungsäusserungen als nicht gegeben erachtet. Ebenso war das Vorgehen in AHI 2003 S. 103 mit Bezug auf hyperkinetische Störungen und im erwähnten Urteil Z. bezüglich einer Anorexie.
2.5 Die Versicherte leidet seit ungefähr 2001 an einer Anorexie und Zwangsstörungen. Sie musste am 16. Juli 2001 notfallmässig ins Spital I.________ eingeliefert werden, wo sie bis 17. Oktober 2001 verblieb. Laut Bericht des Spitals vom 27. Februar 2002 verweigerte sie das Essen und litt an Untergewicht. Erwähnt werden eine familiäre Disharmonie und eine fehlende Krankheitseinsicht. Vom 30. Januar 2002 bis 31. Mai 2002 war sie nochmals in der genannten Klinik hospitalisiert. Dabei sank ihr Gewicht gemäss Bericht des Spitals vom 18. April 2002 auf 34,4 kg, was eine einmonatige Ernährung über eine Sonde erforderlich gemacht habe. Am 1. Juni 2002 trat sie in eine Therapeutische Gemeinschaft in N.________, Deutschland, ein. Gemäss Bericht des Dr. med. B.________, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Kinderheilkunde an dieser Institution, vom 18. Februar 2003 sei der Behandlungsverlauf "prinzipiell nicht unerfreulich, aber ausserordentlich langwierig". Die Zwangsgedanken, Handlungen und Rituale der Versicherten machten die Heilung der anorektischen Symptomatik "sehr schwer". Ob eine solche in nützlicher Zeit zu schaffen sei, halte Dr. B.________ für fraglich. Eine Pflegefamilie wäre mit der Versicherten wohl überfordert. Diese
müsse über 2 - 3 Jahre in einer Jugendgruppe leben unter sehr klarer und beschützter Führung. Sobald die Aufsicht gelockert werde, falle sie zurück.

Im Bericht vom 10. April 2003 führt Dr. B.________ aus, die medizinische Rehabilitation sei wegen der maximalen Zwangshaftigkeit ausserordentlich schwierig gewesen und habe ständiger personeller Betreuung bedurft. Die Zwangsstörungen hätten sich gebessert, seien aber immer noch deutlich, weshalb weiterhin häufige psycho-therapeutische Interventionen nötig seien. Eine Entlassung zur ambulanten Weiterbetreuung würde die Chronifizierung des Krankheitsbildes prädestinieren. Im Hinblick auf die Prognose und die Gefahr der Chronifizierung sei die medizinische Rehabilitation noch nicht beendet. Der vorliegende Typ der Anorexie sei ausserordentlich rezidivträchtig und neige zur Chronifizierung.

Im Bericht vom 6. Mai 2003 schreibt Dr. B.________, die Zwangsstörungen, -handlungen und -gedanken hätten sich lockern lassen. Indessen seien ganz entscheidende Kriterien keineswegs bewältigt: eine Mahlzeit ohne personelle Kontrolle sei noch nicht möglich. Die Versicherte vergleiche zwanghaft mit andern, reagiere auf Unregelmässigkeiten mit Zweifeln, depressiver Verstimmung, Minderwertigkeitsempfindungen und Rivalitätsgefühlen, weshalb keine intensive Auseinandersetzung mit dem Lernstoff zu Stande komme. Gemessen am bisherigen Verlauf und den Erfahrungen mit ähnlichen Krankheitsbildern habe das schon lange bestehende Zwangsverhalten mit ganz deutlich erschwerter Behandlung eine ungünstige Prognose. Eine Entlassung aus der medizinischen Rehabilitation oder die Unterbringung in einer Pflegefamilie würde sofort ein massives Rezidiv nach sich ziehen.

Am 21. Oktober 2003 berichtet Dr. B.________, es sei eine deutliche Besserung des sehr schweren Krankheitsbildes zu verzeichnen. Jedoch seien weiterhin dichte Betreuung und Kontrolle, Stabilisierung, psychotherapeutische Begleitung und Belastungserprobungen unverzichtbar. Die Prognose habe sich wesentlich gebessert, doch sei noch keine ambulante Weiterbetreuung möglich. Bei einer Fortführung der Massnahme zwischen 1½ und 2 Jahren sollte eine Eigenständigkeit erreicht werden können.

Laut Bericht des selben Arztes vom 19. Januar 2004 solle innerhalb von etwa 1 bis 2 Jahren eine voraussichtliche Wiedereingliederung auf allen Gebieten zu realisieren sein. Auf jeden Fall werde auch nach einer allfälligen Änderung der stationären Eingliederung eine ambulante, längerfristige und weitmaschige Weiterbetreuung anzusetzen sein.

Im Bericht vom 27. Mai 2004 bestätigt Dr. B.________ die bisherige Verbesserung des Zustandes. Die Versicherte brauche aber immer noch einen geschützten Lebensraum, tägliche Führung und Leitung und eine enge psychiatrische Betreuung. Sie könne nunmehr bei einer erfahrenen Familie gepflegt werden, was sehr erfolgversprechend sei. Ein Schulwechsel sei jedoch noch verfrüht.

In einer jugendpsychiatrischen Stellungnahme vom 31. März 2005 gibt Dr. B.________ an, bis Mai 2003 sei die eigentliche medizinische Rehabilitation im Sinne der Kankheitsbehandlung abgeschlossen worden; Die nachfolgenden Massnahmen seien als Eingliederungsmassnahmen zu betrachten. Angesichts der herausragenden intellektuellen und manuellen Fähigkeiten sei voraussichtlich nicht mit einer Erwerbsunfähigkeit zu rechnen. Allerdings sei eine Fortsetzung der Eingliederungsmassnahmen zwingend nötig. In Anbetracht der noch jahrelangen Persönlichkeitsreifung in diesem Alter sei weiterhin eine gute prospektive Entwicklung und schulische Bildung zu erwarten. Dies gelte zumindest bis Ende 2005, spätestens aber bis zum Abitur, welches 2008 zu erwarten sei. Die Heilungstendenz bei Anorexia nervosa im Jugendalter bei nicht schwer wiegender Belastung liege immerhin bei 45 %. Die positiven Ressourcen seien vorliegend noch nicht ausgeschöpft.
2.6 Aus den Angaben des Dr. B.________ und den übrigen Akten ergibt sich, dass mehrere der in der medizinischen Literatur als ungünstig bezeichneten Prognosefaktoren (Erw. 2.4 hievor) vorliegen: eine - zumindest initial - belastende familiäre Situation, zwei monatelange Hospitalisationen in I.________ und nunmehr ein bereits Jahre andauernder Aufenthalt in Deutschland, Verhaltensprobleme (Zwangsstörungen), hoher Gewichtsverlust (Berichte des Spitals I.________). Zwar spricht Dr. B.________ von Erfolgen in der bisherigen Behandlung und einer guten prospektiven Entwicklung. Allerdings räumt auch er ein, dass die von ihm als "Eingliederungsmassnahmen" bezeichneten Vorkehren zwingend weitergeführt werden müssten. Die Persönlichkeitsreifung der Versicherten werde noch jahrelang andauern. Zudem gab er an, dass ein rezidivträchtiger und zur Chronifizierung neigender Anorexietypus vorliege. Als Zeithorizont nennt er die Jahre 2005 und 2008, ohne jedoch ausdrücklich davon ausgehen zu können, dass dannzumal keine weitere Behandlung mehr nötig sein werde. Daher ist ungeachtet der günstigen Aussagen von Dr. B.________ auf ein Leiden zu schliessen, dessen Folgen derzeit nicht ausreichend zuverlässig abgeschätzt werden können. Es handelt sich
um eine Störung, die in naher Zukunft nicht zu einem stabilen Defektzustand führt. Zwar sind die zur Diskussion stehenden Behandlungen auch der Berufsbildung und der Erwerbsfähigkeit nützlich; doch ändert sich nichts daran, dass sie nicht dazu bestimmt sind, einen sich in naher Zukunft einstellenden Defektzustand zu verhindern. Sie sind daher nicht von der Invalidenversicherung zu übernehmen (so auch das erwähnte Urteil Z.).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherung und der Krankenkasse Agrisano zugestellt.
Luzern, 10. Oktober 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
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Dokument : I 256/05
Datum : 10. Oktober 2005
Publiziert : 02. November 2005
Quelle : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Invalidenversicherung
Gegenstand : Invalidenversicherung


Gesetzesregister
ATSG: 8
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 8 Invalidität - 1 Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.
1    Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.
2    Nicht erwerbstätige Minderjährige gelten als invalid, wenn die Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit voraussichtlich eine ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit zur Folge haben wird.12
3    Volljährige, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, gelten als invalid, wenn eine Unmöglichkeit vorliegt, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen. Artikel 7 Absatz 2 ist sinngemäss anwendbar.13 14
IVG: 5 
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 5 Sonderfälle - 1 Bei Versicherten mit vollendetem 20. Altersjahr, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, bestimmt sich die Invalidität nach Artikel 8 Absatz 3 ATSG50.51
1    Bei Versicherten mit vollendetem 20. Altersjahr, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, bestimmt sich die Invalidität nach Artikel 8 Absatz 3 ATSG50.51
2    Bei nicht erwerbstätigen Personen vor dem vollendeten 20. Altersjahr bestimmt sich die Invalidität nach Artikel 8 Absatz 2 ATSG.
12
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
1    Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
2    Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind.
3    Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt.
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