Tribunal federal
{T 0/2}
2A.511/2001 /dxc
Urteil vom 10. Juni 2002
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler, Müller, Merkli,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Andreas Bernoulli, Arnold Böcklin-Strasse 37, 4051 Basel,
gegen
Polizei- und Militärdepartement des Kantons Basel-Stadt, Spiegelhof, Spiegelgasse 6, Postfach, 4001 Basel,
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht), Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
Widerruf der Niederlassungsbewilligung
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt [als Verwaltungsgericht] vom 13. September 2001)
Sachverhalt:
A.
Der türkische Staatsangehörige X.________ (geb. 1. November 1962) reiste am 28. September 1987 mit Hilfe von Schleppern illegal in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch. Er machte geltend, als Kurde sei er von der türkischen Polizei schikaniert und auch geschlagen worden, er gehe deshalb "nicht zurück" in sein Heimatland. Im Asylverfahren gab er sich als kinderlos aus, ebenso im "Gesuch um Bewilligung zur Beschäftigung einer ausländischen Arbeitskraft", das sein Arbeitgeber am 14. März 1989 bei der Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt eingereicht hatte.
Am 20. Oktober 1989 heiratete X.________ die zwölf Jahre ältere invalide Schweizer Bürgerin Y.________. Daraufhin erhielt er die Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei der Ehefrau. Sein nach wie vor hängiges Asylgesuch zog er zurück. In der Folge wurde ihm die Aufenthaltsbewilligung auf Gesuch hin regelmässig verlängert.
B.
Im Oktober 1994 nahm die Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt das vom Arbeitgeber von X.________ gestellte und gemäss Eingangsstempel am 26. September 1994 eingegangene Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zum Anlass, dessen ausländerrechtlichen Status zu prüfen, und erteilte ihm am 18. Oktober 1994 die Niederlassungsbewilligung.
Am 15. Oktober 1996 wurde die Ehe zwischen X.________ und Y.________ vom Zivilgericht Basel-Stadt geschieden. Im Jahr zuvor hatte der Ehegerichtspräsident die Trennung der Ehegatten bewilligt.
Am 11. Mai 1999 beantragte X.________ eine Zivilstandsänderung. Er reichte den Einwohnerdiensten das Familienbüchlein ein, woraus sich ergab, dass er am 18. März 1998 in der Türkei seine Landsfrau A.________ geheiratet hatte. Mit ihr hat er drei Kinder: B.________ (geb. 28. Juli 1986), C.________ (geb. 1. Januar 1991), und D.________ (geb. 10. Juni 1996).
Mit Verfügung der Eidgenössischen Invalidenversicherung vom 13. April 1999 wurden X.________ mit Wirkung ab 1. Januar 1998 ordentliche Leistungen der IV von monatlich Fr. 2'150.-- (eine ganze Invalidenrente zuzüglich drei Kinderrenten) zugesprochen.
C.
Nachdem sie X.________ das rechtliche Gehör gewährt hatten, widerriefen die Einwohnerdienste des Kantons Basel-Stadt mit Verfügung vom 21. September 1999 die Niederlassungsbewilligung vom 18. Oktober 1994 und setzten X.________ eine Ausreisefrist von 60 Tagen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ehe mit Y.________ habe allein dem Zweck gedient, die Aufenthalts- bzw. Niederlassungsbewilligung zu erhalten. Die letztere wäre nie erteilt worden, wenn der Fremdenpolizeibehörde die tatsächlichen Familienverhältnisse bekannt gewesen wären. X.________ habe den Behörden wesentliche Tatsachen verschwiegen, was zum Widerruf des Bewilligungsentscheides führe.
Das Polizei- und Militärdepartement des Kantons Basel-Stadt wies einen gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs am 17. Januar 2001 ab. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht) bestätigte diesen Entscheid am 13. September 2001.
D.
Mit Eingabe vom 26. November 2001 führt X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, das Urteil des Appellationsgerichts vom 13. September 2001 aufzuheben und festzustellen, "dass der Beschwerdeführer weiterhin einen Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung" habe.
Das Polizei- und Militärdepartement und das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesamt für Ausländerfragen hat sich vernehmen lassen, ohne einen Antrag zu stellen.
E.
Mit Verfügung vom 10. Januar 2002 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde - antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3



1.2 Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a


1.3 Das Bundesgericht wendet im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde das Bundesrecht von Amtes wegen an; es ist gemäss Art. 114 Abs. 1

2.
2.1 Gemäss Art. 7 Abs. 1



noch formell besteht oder aufrechterhalten wird mit dem alleinigen Ziel, dem Ausländer eine Anwesenheitsbewilligung zu ermöglichen. Dieses Ziel wird von Art. 7

2.2 Sind die Voraussetzungen gemäss Art. 7 Abs. 1


3.
3.1 Die Basler Behörden haben die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 9 Abs. 4 lit. a

3.2 Nach Art. 3 Abs. 2

Die Erschleichung einer Niederlassungsbewilligung durch falsche Angaben oder durch wissentliches Verschweigen von Tatsachen kann schon darin liegen, dass die Angaben, auf welche sich die Behörden bei der seinerzeitigen Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gestützt hatten oder die bei späteren Verlängerungen der Aufenthaltsbewilligung oder bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung mangels anderer Angaben immer noch als massgebend betrachtet werden konnten, falsch oder unvollständig waren. Immerhin ist die kantonale Behörde ihrerseits verpflichtet, vor Erteilung der Niederlassungsbewilligung "das bisherige Verhalten des Ausländers nochmals eingehend zu prüfen" (Art. 11 Abs. 1

3.3 Das Appellationsgericht hat erwogen, ob bereits bei Eheschluss mit Y.________ eine Scheinehe vorgelegen habe, könne offen bleiben. Entscheidend sei, dass der Beschwerdeführer das Rechtsinstitut der Ehe nach hiesigem Verständnis zu einem Zweck missbraucht habe, dem es nicht diene, und dass er die Niederlassungsbewilligung nicht erhalten hätte, wenn die Einwohnerdienste seine Familienverhältnisse in der Türkei bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung gekannt hätten. Der Beschwerdeführer habe den Fremdenpolizeibehörden bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung - obwohl er hierzu verpflichtet gewesen wäre - nicht mitgeteilt, dass er vor seiner Heirat mit Y.________ bereits ein Kind mit seiner heutigen Ehefrau in der Heimat gehabt und während der hiesigen Ehe ein weiteres Kind mit dieser Frau gezeugt habe. Damit stehe fest, dass die fremdenpolizeilichen Behörden getäuscht worden seien und der Beschwerdeführer sich die Niederlassungsbewilligung im Sinne von Art. 9 Abs. 4 lit. a

3.4 In der Beschwerde wird eingewendet, die Fremdenpolizei habe, ohne dass dies vom Arbeitgeber oder vom Beschwerdeführer selbst beantragt worden wäre, diesem im Oktober 1994 von sich aus die Niederlassungsbewilligung erteilt. Es habe für den Beschwerdeführer keinen Grund zur Annahme gegeben, dass die beiden drei Jahre vor bzw. zwei Jahre nach der Eheschliessung mit Frau Wagner in der Türkei geborenen Kinder für die Fremdenpolizei von Interesse wären. Dass die Kinder nicht bewusst verschwiegen worden seien, gehe auch aus der Tatsache hervor, dass der Arbeitgeber, die Ausgleichskasse, die Steuerverwaltung und auch das Bundesamt für Flüchtlinge von deren Existenz gewusst hätten. Wenn die Einwohnerdienste dem Beschwerdeführer die Niederlassungsbewilligung ohne weitere Abklärungen von sich aus erteilt hätten, so könne diesem nun nicht ein planmässiges Vorgehen zum Zweck der Täuschung der fremdenpolizeilichen Behörden zur Last gelegt werden.
3.5 Die Feststellung des Appellationsgerichts, der Beschwerdeführer habe die Tatsache, dass er mit einer anderen Frau in der Türkei Kinder hat (wobei eines vor der Ehe mit der Schweizerin, eines während dieser Ehe und eines in der bewilligten Trennungszeit gezeugt worden ist), gegenüber der Fremdenpolizeibehörde bewusst verschwiegen, ist für das Bundesgericht gemäss Art. 105 Abs. 2

3.6 Die Fremdenpolizei nahm das vom Beschwerdeführer bzw. von dessen Arbeitgeber im September 1994 gestellte Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zum Anlass, die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu prüfen, da der Ablauf der fünfjährigen Frist gemäss Art. 7 Abs. 1



Niederlassungsbewilligung geboten wäre, den erforderlichen Aufschluss über die familiäre Situation des Beschwerdeführers vermutlich gebracht und der Behörde eine Beurteilung des Niederlassungsanspruches in besserer Kenntnis der Sachlage ermöglicht. Anderseits hatte der Beschwerdeführer die Fremdenpolizeibehörden über seine familiären Verhältnisse bis anhin unrichtig bzw. unvollständig informiert. Er hätte schon im Gesuchsformular von 1989, wo ausdrücklich und unter Hinweis auf die Rechtsfolgen unwahrer oder unvollständiger Angaben nach "Familienangehörigen (Ehegatten und Kinder)" gefragt wurde, zumindest sein im Jahre 1986 geborenes Kind erwähnen müssen, welches er mit seiner heutigen Ehefrau bzw. mit der ihm damals schon informell verbundenen türkischen Partnerin gezeugt hatte. Auch über das zweite, nach Eingehung der Ehe mit Y.________ in der Türkei mit der gleichen Partnerin gezeugte aussereheliche Kind (geb. 1991) wurde die Fremdenpolizeibehörde nie informiert, womit der bisherige falsche Anschein über die familiäre Situation des Beschwerdeführers aufrecht erhalten blieb. Dass die von ihm neben der Ehe mit Y.________ in der Türkei parallel unterhaltene "Zweitfamilie" fremdenpolizeilich, d.h. insbesondere für das eventuelle
spätere Niederlassungs- und Familiennachzugsrecht, relevant war, musste auch dem Beschwerdeführer bewusst sein. Gelegenheit zur Korrektur oder Ergänzung der bisherigen Angaben hätte jeweils in den Verfahren zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bestanden. Schon ein Hinweis auf die 1986 und 1991 in der Türkei geborenen Kinder hätte aller Wahrscheinlichkeit nach die Fremdenpolizei zu Fragen über die Beziehung des Beschwerdeführers zu deren Mutter veranlasst und alsdann entweder zur Offenlegung der Verhältnisse oder jedenfalls zu Erklärungen geführt, auf welchen der Beschwerdeführer gemäss Art. 9 Abs. 4

Bei Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer neben der Ehe mit der schweizerischen Partnerin noch regelmässige Beziehungen zu einer türkischen Frau unterhielt, mit der er damals bereits ein und später zwei Kinder hatte, hätte nach der Rechtsprechung zu Art. 7

geschieden worden sei, ist entgegenzuhalten, dass die Scheidungsklage vom Beschwerdeführer eingereicht worden ist (vgl. Anzeige des Zivilgerichts Basel-Stadt vom 21. Oktober 1996 und Aktennotiz der Einwohnerdienste vom 16. Juli 1999). Die Voraussetzungen für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung sind insofern gegeben. Zu prüfen bleibt die Verhältnismässigkeit dieser Massnahme.
4.
Das Vorliegen eines Widerrufsgrundes führt nicht zwingend dazu, dass die Niederlassungsbewilligung auch zu widerrufen ist. Vielmehr ist den besonderen Gegebenheiten eines Falles Rechnung zu tragen, wobei den Fremdenpolizeibehörden ein gewisser Ermessensspielraum zusteht (BGE 112 Ib 473 E. 4 und 5 S. 477 ff.).
4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Appellationsgericht und die Vorinstanzen hätten ihr Ermessen nicht pflichtgemäss ausgeübt. Die Niederlassungsbewilligung sei erst volle fünf Jahre, nachdem die Kinder hätten angemeldet werden müssen, entzogen worden. Nie habe er in der Zeit, in welcher er im Besitz der Niederlassungsbewilligung gewesen sei, irgendwelche Probleme mit der Polizei oder der Justiz gehabt; er lebe seit vierzehn Jahren in der Schweiz, ohne dass er sich hier irgend etwas habe zu schulden kommen lassen. Der Verzicht auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung dränge sich aber auch aus gesundheitlichen Gründen auf, da er an Depressionen leide und deshalb regelmässiger psychiatrischer Betreuung und medikamentöser Behandlung bedürfe.
4.2 Dem Beschwerdeführer ist zugute zu halten, dass von der Erteilung bis zum Widerruf der Niederlassungsbewilligung rund fünf Jahre verstrichen sind, während denen er sich offenbar klaglos verhalten hat. Zu berücksichtigen ist sodann, dass ihm die Niederlassungsbewilligung seinerzeit ohne ausdrückliches Gesuch erteilt worden ist und er keine ihm bei Erteilung dieser Bewilligung ausdrücklich gestellte Frage falsch beantwortet, sondern lediglich eine von ihm vor Jahren gegebene falsche bzw. unvollständige Sachverhaltsdarstellung nie berichtigt hat.
Das gesamte Vorgehen des Beschwerdeführers - auch im Asylverfahren erwähnte er sein damals erstes Kind (geb. 1986) zunächst nicht und behauptete, er werde verfolgt und gehe nicht in die Türkei zurück (vgl. aber seine Stellungnahme vom 25. August 1999: "Während meinen Ferien in der Türkei habe ich jeweils meine jetzige Frau getroffen") - deutet indessen darauf hin, dass es ihm von Anfang an darum ging, sich und nach Möglichkeit seiner türkischen Partnerin und den mit ihr gezeugten Kindern unter Umgehung des Fremdenpolizeirechts ein festes Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu verschaffen.
Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer heute mit A.________ verheiratet ist, die sich bis jetzt in der Türkei aufgehalten hat und mit der er drei ebenfalls in der Türkei lebende und dort integrierte Kinder hat, erweist sich der Widerruf der Niederlassungsbewilligung als zumutbar. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer heute nicht mehr erwerbstätig ist, sondern krankheitshalber eine IV-Rente und, nach den Feststellungen des Appellationsgerichts, auch eine Pensionskassenrente bezieht. Er wird durch den Widerruf der Niederlassungsbewilligung nicht in einer beruflichen Karriere betroffen. Seine wirtschaftliche Existenz bleibt dank der bezogenen Renten auch in der Türkei gesichert, und das Appellationsgericht durfte zulässigerweise davon ausgehen, dass die medizinische Behandlung des Beschwerdeführers in der Türkei ebenfalls möglich ist.
5.
Nach dem Gesagten erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unbegründet.
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1




Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Polizei- und Militärdepartement des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (als Verwaltungsgericht) sowie dem Bundesamt für Ausländerfragen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. Juni 2002
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: