Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
U 408/04
Urteil vom 9. Mai 2005
III. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger; Gerichtsschreiber Lanz
Parteien
S.________, 1945, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Fredy Fässler, Oberer Graben 42, 9000 St. Gallen,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 15. September 2004)
Sachverhalt:
A.
Der 1945 geborene S.________, Staatsangehöriger des ehemaligen Jugoslawien, war nach seiner Einreise in die Schweiz im Jahr 1977 als Bauarbeiter tätig, zuletzt ab November 1997 in der Firma X.________ AG. Am 6. Februar 2002 stolperte er auf einer Baustelle und fiel auf die linke Hüfte. S.________ wurde auf der Notfallaufnahme des Spitals Y.________ ambulant behandelt, wo eine Arbeitsunfähigkeit bestätigt wurde. Nachdem zunächst lediglich von einer Hüftkontusion ausgegangen worden war, ergaben kernspintomografische Untersuchungen vom 13. März 2002 eine Längsfraktur der Ala ossis ili linksseitig und den dringenden Verdacht auf einen partiellen Ausriss der Sehne des Musculus rectus femoris links am Ursprung bei schalenförmigem, leicht disloziertem Knochenfragment daselbst. Weiter wurde eine mittelvolumige linksseitige foraminale bis extraforaminale Diskushernie L4/5 ohne direkten Kontakt zur austretenden Nervenwurzel L4 beschrieben. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als zuständiger obligatorischer Unfallversicherer erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Vom 22. Mai bis 26. Juni 2002 hielt sich S.________ zur stationären Rehabilitation und Abklärung in der Klinik Q.________ auf. Gestützt
auf deren Austrittsbericht vom 15. Juli 2002 setzte die SUVA mit Verfügung vom 31. Juli 2002 die Arbeitsfähigkeit des Versicherten ab 8. Juli 2002 auf 33 1/3 % und ab 12. August 2002 auf 50 % fest. Nach weiteren medizinischen Abklärungen (unter anderem Einholung eines Gutachtens des Spitals Y.________, Klinik für Orthopädische Chirurgie, vom 2. April 2003) verfügte der Unfallversicherer am 22. Oktober 2003 mit sofortiger Wirkung die Einstellung der Leistungen, und er verneinte zugleich einen Anspruch auf eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung. Zur Begründung wurde angeführt, die noch geklagten Beschwerden seien organisch nicht als Folge des erlittenen Unfalls zu erklären, und die gegebene psychische Problematik stehe nicht in rechtserheblichem Zusammenhang zu diesem Ereignis. Die von S.________ gegen die beiden Verfügungen erhobenen Einsprachen wies die SUVA ab (Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2003).
B.
Beschwerdeweise beantragte S.________ die Zusprechung einer Rente und einer Integritätsentschädigung, eventualiter die Rückweisung der Sache zur Beweisergänzung an die SUVA. Mit Entscheid vom 15. September 2004 wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Beschwerde ab.
C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 % sowie eine angemessene Integritätsentschädigung zuzusprechen, eventuell sei die Sache zu ergänzenden Abklärungen an Vorinstanz oder Unfallversicherer zurückzuweisen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist wie schon im Beschwerdeverfahren, ob eine auf das Unfallereignis vom 6. Februar 2002 zurückzuführende Gesundheitsschädigung vorliegt, welche den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung über den 22. Oktober 2003 hinaus begründet, wobei vom Versicherten konkret eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung geltend gemacht werden.
Die Verfügung vom 31. Juli 2002, mit der die SUVA die für das Taggeld massgebende Arbeitsfähigkeit ab 8. Juli und ab Mitte August 2002 festsetzte, wurde ebenfalls einspracheweise angefochten. Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid erwogen, dass mit dem Einspracheentscheid vom 19. Dezember 2003 auch über diese Einsprache - abschlägig - befunden wurde und eine beschwerdeweise Anfechtung in diesem Punkt nicht stattfand. Diese Feststellung trifft nach Lage der Akten zu und wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch nicht beanstandet.
2.
Im kantonalen Entscheid sind die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitsache, namentlich auch die Grundsätze zu den sich stellenden Kausalitäts- und Beweisfragen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
Vorinstanz und Unfallversicherer verneinen einen Anspruch auf die beantragten Leistungen mit der Begründung, für die noch bestehenden, den Versicherten in der Arbeitsfähigkeit und gegebenenfalls Erwerbsfähigkeit einschränkenden sowie Behandlung erfordernden gesundheitlichen Beschwerden liege kein auf den Sturz vom 6. Februar 2002 zurückzuführendes organisch nachweisbares Korrelat vor. Soweit für die Symptomatik ein psychisches Leiden verantwortlich gemacht werden könne, fehle es an einem rechtserheblichen Zusammenhang mit dem versicherten Ereignis.
3.
Der Beschwerdeführer war im Einsprache- und im kantonalen Verfahren noch wie Unfallversicherer und Vorinstanz davon ausgegangen, dass unfallbezogen nurmehr psychische Gründe für die persistierende Symptomatik verantwortlich seien. Letztinstanzlich lässt er als Begründung hiefür erstmals einen weiterhin bestehenden organischen unfallbedingten Gesundheitsschaden geltend machen.
3.1 Soweit dabei auf die diagnostizierte Diskushernie Bezug genommen wird, ist festzuhalten, dass die beteiligten Ärzte verschiedener Fachrichtung die Bandscheibenveränderung weder als Ursache der Beschwerden interpretiert noch in einen kausalen Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 6. Februar 2002 gebracht haben. Einzig Dr. med. M.________, Chirurgie FMH, vertrat mit Bericht vom 26. März 2002 eine abweichende Auffassung. Hiefür wird aber keine überzeugende Begründung abgegeben. Es entspricht im Übrigen einer medizinischen Erfahrungstatsache im Bereich des Unfallversicherungsrechts, dass praktisch alle Diskushernien bei Vorliegen degenerativer Bandscheibenveränderungen entstehen und ein Unfallereignis nur ausnahmsweise unter besonderen Voraussetzungen als eigentliche Ursache in Betracht fällt. Die Annahme einer ausnahmsweisen Unfallkausalität setzt u.a. voraus, dass das Unfallereignis von besonderer Schwere und geeignet war, eine Schädigung der Bandscheibe herbeizuführen (RKUV 2000 Nr. U 379 S. 193 Erw. 2a mit Hinweisen, 2000 Nr. U 378 S. 190 f. Erw. 3; statt vieler: Urteil Z. vom 9. Oktober 2003, U 360/02, Erw. 4.2 mit weiteren Hinweisen). Als Beispiele werden etwa ein freier Sturz aus erheblicher Höhe, ein Sprung aus 10 m
Höhe, ein Sturz beim Tragen von Lasten oder ein Zusammenstoss bei grosser Geschwindigkeit genannt (Urteil Z. vom 26. Juli 2000, U 24/00, Erw. 3c). Ein solches Ereignis liegt hier, wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, mit Blick auf den aktenkundigen Unfallhergang (ebenerdiger Stolpersturz auf die seitliche Hüft-/Beckenregion mit kleinerem Rohr in der Hand) nicht vor. Es kann im Übrigen auf die vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen werden.
3.2 Die weiteren Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit welchen eine unfallkausale organische Ursache der bestehenden Schmerzsymptomatik begründet werden soll, stellen im Wesentlichen Mutmassungen dar, die in den medizinischen Akten keine Stütze finden und hier nicht im Einzelnen wiederzugeben sind. Besonderer Erwähnung bedarf lediglich, dass der tatsächlich bestehende Beckenschiefstand bereits in einem Arztbericht aus dem Jahr 1981 beschrieben wurde und somit entgegen der vom Versicherten vertretenen Auffassung keine Rückschlüsse auf kausale Zusammenhänge mit dem Unfall vom 6. Februar 2002 zu begründen vermag.
3.3 Festzuhalten bleibt, dass die Akten umfassenden und zuverlässigen Aufschluss über die sich stellenden medizinischen Sachverhaltsfragen geben. Soweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde Kritik an einzelnen medizinischen Berichten geübt wird, ist diese, auch mit Blick auf die in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden weiteren ärztlichen Stellungnahmen, unbegründet. Es ist in diesem Zusammenhang überdies zu betonen, dass sich die beteiligten Ärzte ihre Meinung jeweils in Kenntnis der mittels bildgebender Verfahren erhobenen Befunde gebildet haben. Von medizinischen Beweisergänzungen ist abzusehen, da hievon keine entscheidrelevanten neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b; RKUV 2003 Nr. U 473 S. 50 Erw. 3.4, 2002 Nr. U 469 S. 527 Erw. 2c).
3.4 Nach dem Gesagten bleibt es bei der Feststellung, dass die noch bestehende und den Beschwerdeführer in der Arbeitsfähigkeit - gegebenenfalls Erwerbsfähigkeit - einschränkende Symptomatik, soweit nicht ohnehin unfallfremd degenerativ begründet, mit einer psychischen Problematik zu erklären ist. Diese wird in den medizinischen Akten (worunter ein im Verfahren der Invalidenversicherung eingeholtes psychiatrisches Gutachten vom 21. November 2003) als chronifiziertes Schmerzsyndrom resp. als anhaltende somatoforme Schmerzstörung interpretiert.
4.
Das kantonale Gericht hat ohne weitere Ausführungen zum natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem psychischen Leidensbild und dem Unfall vom 6. Februar 2002 die Adäquanz geprüft. Nach SVR 1995 UV Nr. 23 S. 68 Erw. 3c ist dies nicht zu beanstanden.
4.1 Bei der Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs von psychischen Unfallfolgen ist an das Ereignis anzuknüpfen. Der Sturz vom 6. Februar 2002 kann aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufes (vgl. Erw. 3.1 hievor) und der erlittenen Verletzungen mit der Vorinstanz als mittelschwer im Grenzbereich zu den leichten Unfällen eingeordnet werden.
Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa), müssten demnach für eine Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges entweder ein einzelner in besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb). Dies trifft, wie das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid einlässlich dargelegt hat, nicht zu.
4.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zunächst eingewendet, der Unfall vom 6. Februar 2002 sei zwar als mittelschwer, aber nicht an der Grenze zu den leichten Unfallereignissen zu einzustufen. Dies würde indessen am Erfordernis der in der dargelegten Weise zu erfüllenden Adäquanzkriterien nichts ändern.
4.3 Sodann lässt der Versicherte sein vorinstanzliches Vorbringen erneuern, er sei von den beteiligten Ärzten fehlbehandelt worden. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, die Fraktur der Beckenschaufel und der Ausriss der Sehne seien erst am 13. März 2002 diagnostiziert und nicht adäquat behandelt worden. Weiter hätten die beteiligten Ärzte die Schmerzproblematik nicht ernst genommen.
Es trifft zu, dass eine ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert, als massgebendes Adäquanzkriterium in Betracht kommt (BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa). Wie das kantonale Gericht aber richtig erkannt hat, ist dieses Kriterium, selbst wenn es grundsätzlich bejaht werden könnte, jedenfalls nicht in besonders ausgeprägter Weise gegeben und vermöchte somit für sich alleine die Adäquanz nicht darzutun.
Es kann im Übrigen auf die zutreffenden Erwägungen des kantonalen Gerichts verwiesen werden. Dies gilt namentlich auch für die einlässliche und letztinstanzlich bis auf die eben behandelten Punkte nicht beanstandete Auseinandersetzung mit den die Adäquanzfrage betreffenden Vorbringen des Versicherten im Beschwerdeverfahren.
4.4 Kommt somit dem Unfall vom 6. Februar 2002 keine rechtlich massgebende Bedeutung für die Entstehung des psychischen Leidensbildes zu, ist der angefochtene Entscheid in allen Teilen rechtens. Damit erübrigen sich auch Weiterungen dazu, ob und unter welchen Umständen eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung überhaupt geeignet wäre, eine Invalidität (vgl. hiezu BGE 130 V 352) und eine Integritätseinbusse zu begründen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
Luzern, 9. Mai 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: