Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 639/01
Urteil vom 1. April 2003
III. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und nebenamtlicher Richter Bühler; Gerichtsschreiber Grünvogel
Parteien
R.________, 1972, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Christof Tschurr, Bellerivestrasse 59, 8034 Zürich,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 11. September 2001)
Sachverhalt:
A.
Die 1972 geborene R.________ meldete sich am 1. April 1996 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 19. August 1997 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Wirkung ab 1. Februar 1996 eine ganze einfache Invalidenrente nebst zwei ganzen Kinderrenten zu. Am 10. Oktober 1997 hob die IV-Stelle diese Verfügung wieder auf und verpflichtete R.________, die im Jahre 1996 ausgerichteten Rentenbetreffnisse von Fr. 17'523.-?zurückzuerstatten. R.________ führte Beschwerde gegen diese Verfügung und beantragte deren Aufhebung. Am 3. Dezember 1997 hob die IV-Stelle die Rückerstattungsverfügung vom 10. Oktober 1997 wieder auf, widerrief aber mit Verfügung vom 18. März 1998 auch diese Aufhebungsverfügung (vom 3. Dezember 1997). R.________ führte auch gegen die Verfügung vom 18. März 1998 Beschwerde und beantragte deren Aufhebung.
Mit Entscheid vom 20. Januar 2000 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die gegen die Verfügung vom 10. Oktober 1997 erhobene Beschwerde ab. Die Verfügung vom 18. März 1998 betrachtete es "als Rückzug des (in der Wiedererwägung vom 3. Dezember 1997 sinngemäss enthaltenen) Antrags der Beschwerdeführerin auf Gutheissung der Beschwerde", weshalb eine materielle Beurteilung der gegen diese Verfügung gerichteten Beschwerde unterbleiben könne.
B.
In teilweiser Gutheissung der von R.________ dagegen geführten Verwaltungsgerichtsbeschwerde hob das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 14. Dezember 2000 den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Januar 2000 auf, stellte fest, dass die Beschwerde gegen die Rückerstattungsverfügung vom 10. November (recte: Oktober) 1997 gegenstandslos geworden ist und wies die Vorinstanz an, über die gegen die Verfügung vom 18. März 1998 erhobene Beschwerde zu entscheiden. Mit Entscheid vom 11. September 2001 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.
C.
R.________ lässt dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und der Verfügung vom 18. März 1998 beantragen.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Stellungnahme.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die angefochtene Wiedererwägungsverfügung sei unzulässig und ungültig, weil damit die Rückerstattungsverfügung vom 10. Oktober 1997 wieder in Kraft gesetzt worden sei, ohwohl diese durch die pendente lite erlassene Verfügung vom 3. Dezember 1997 gegenstandslos geworden sei. Es sei gar nicht möglich, einer "inexistenten" Verfügung wieder Rechtsgültigkeit zu verleihen. Wenn die IV-Stelle die Beschwerdeführerin wieder zur Rückerstattung der für das Jahr 1996 ausgerichteten Rentenleistungen in der Höhe von Fr. 17'523.- hätte verpflichten wollen, hätte sie zu diesem Zweck eine neue Rückerstattungsverfügung erlassen müssen, was nicht geschehen sei.
1.1 Wird ein Rechtsverhältnis mittels Verfügung geregelt, so muss in der Verfügungsformel (Dispositiv) festgehalten werden, wozu der Adressat berechtigt oder verpflichtet ist. Ist das Dispositiv in sich unklar, unvollständig, zweideutig oder widersprüchlich, kann zum Zwecke der Auslegung die Verfügungsbegründung herangezogen werden (vgl. BGE 110 V 222). Der Vertrauensgrundsatz, wie er nunmehr in Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden. |
1.2 Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung vom 18. März 1998 ist klar und eindeutig. Damit wurde unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Verfügung vom 3. Dezember 1997 widerrufen und aufgehoben wurde. Unter vertrauensrechtlichen (Auslegungs-) Gesichtspunkten kann auch nicht zweifelhaft sein, dass die IV-Stelle mit Dispositiv-Ziffer 2 der Verfügung vom 18. März 1998, wonach die Rückerstattungsverfügung vom 10. Oktober 1997 "wieder ihre volle Rechtsgültigkeit" erlange, nicht die Rechtsverbindlichkeit dieser Verfügung, sondern die damit geregelte Rückerstattungsforderung im Auge hatte. Das ergibt sich eindeutig aus Erwägung 3 der Verfügungsbegründung, in welcher die IV-Stelle im Einzelnen darlegte, weshalb die Rückerstattungsforderung nicht verwirkt sei und nach wie vor bestehe. In diesem den materiellrechtlichen Bestand der Rückerstattungsforderung umfassenden Rechtssinn mussten auch die Beschwerdeführerin und ihr Rechtsvertreter die Verfügung vom 18. März 1998 verstehen. Ihr auf den blossen Wortsinn von Dispositiv-Ziffer 2 reduziertes Verfügungsverständnis hält vor dem Vertrauensgrundsatz nicht stand.
2.
Die Beschwerdeführerin bestreitet sodann die materiellen Wiedererwägungsvoraussetzungen der erheblichen Bedeutung der Berichtigung und der zweifellosen Unrichtigkeit der aufgehobenen Verfügung vom 3. Dezember 1997.
2.1 Für die Erheblichkeit der Wiedererwägung einer zu Unrecht erfolgten Leistungsgewährung oder Beitragsfestsetzung lässt sich keine allgemein gültige betragliche Grenze festlegen. Massgebend sind stets die gesamten Umstände des Einzelfalles (BGE 107 V 182 Erw. 2b, ZAK 1989 S. 518 Erw. 2c). Als unerheblich gilt die Berichtigung von unrichtigen Leistungs- oder Beitragsverfügungen aber nach der Rechtsprechung dann, wenn es um geringfügige Beträge geht, deren Rück- oder Nachforderung in einem Missverhältnis zu dem hiefür erforderlichen Verwaltungs- und Prozessaufwand steht. Von einem geringfügigen Betrag ist das Eidgenössische Versicherungsgericht etwa in BGE 107 V 182 Erw. 2b bei einer Summe von Fr. 265.20 oder in ZAK 1989 S. 518 Erw. 2c von Fr. 165.90 ausgegangen (weitere Beispiele in Erw. 5 des noch nicht in der Amtlichen Sammlung auszugsweise veröffentlichten Urteils D. vom 8. Oktober 2002, C 205/00). Bei einer Rentenrückforderung von rund Fr. 17'500.- kann davon aber keine Rede sein. Die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin, wonach die Erheblichkeit und Verhältnismässigkeit einer Rückerstattungsforderung nicht nach Massgabe der im konkreten Einzelfall gegebenen Interessenlage, sondern des gesamten Leistungsaufwandes "von
vielen Millionen" des betreffenden Sozialversicherungszweiges zu beurteilen sei, ist sachfremd.
2.2 Das Fehlen der zweifellosen Unrichtigkeit der Rentenzusprechung für das Jahr 1996 sieht die Beschwerdeführerin in der zum Zeitpunkt des Verfügungserlasses (19. August 1997) in Kraft gewesenen Rechtsordnung begründet (Art. 6 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) IVG Art. 6 Versicherungsmässige Voraussetzungen - 1 Schweizerische und ausländische Staatsangehörige sowie Staatenlose haben Anspruch auf Leistungen gemäss den nachstehenden Bestimmungen. Artikel 39 bleibt vorbehalten.53 |
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1 | Schweizerische und ausländische Staatsangehörige sowie Staatenlose haben Anspruch auf Leistungen gemäss den nachstehenden Bestimmungen. Artikel 39 bleibt vorbehalten.53 |
1bis | Sieht ein von der Schweiz abgeschlossenes Sozialversicherungsabkommen die Leistungspflicht nur des einen Vertragsstaates vor, so besteht kein Anspruch auf eine Invalidenrente, wenn die von Schweizerinnen und Schweizern oder Angehörigen des Vertragsstaates in beiden Ländern zurückgelegten Versicherungszeiten nach der Zusammenrechnung einen Rentenanspruch nach dem Recht des andern Vertragsstaates begründen.54 |
2 | Ausländische Staatsangehörige sind, vorbehältlich Artikel 9 Absatz 3, nur anspruchsberechtigt, solange sie ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 13 ATSG55) in der Schweiz haben und sofern sie bei Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet oder sich ununterbrochen während zehn Jahren in der Schweiz aufgehalten haben. Für im Ausland wohnhafte Angehörige dieser Personen werden keine Leistungen gewährt.56 |
3 | Bei Personen, die mehrere sich ablösende Staatsangehörigkeiten besessen haben, ist für die Leistungsberechtigung die Staatsangehörigkeit während des Leistungsbezugs massgebend.57 |
Dabei wird die Tragweite des intertemporalrechtlichen Grundsatzes verkannt, wonach in zeitlicher Hinsicht diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des rechtlich zu ordnenden oder zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 125 V 44 Erw. 2b mit Hinweis). Die Übergangsbestimmungen zu den am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Änderungen des IVG sehen für Art. 6 Abs. 2 nichts Abweichendes vor. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte für eine vom Gesetzgeber gewollte (echte) Rückwirkung auszumachen. Übersieht oder missachtet die Verwaltung beim Erlass einer Verfügung wie vorliegend ein derartiges qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers in intertemporalrechtlicher Hinsicht, so begeht sie regelmässig eine zweifellos unrichtige Rechtsanwendung.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 1. April 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: