Urteilskopf

2007/42

Auszug aus dem Urteil der Abteilung III i. S. A. AG gegen Schweizerisches Heilmittelinstitut, Swissmedic
C-2263/2006 vom 7. November 2007


Regeste Deutsch

Heilmittel. Erstanmelderschutz von Kombinationspräparaten.
Art. 12 HMG. Art. 17 VAM.
Eine neue Kombination von bereits zugelassenen Arzneimitteln ist als Weiterentwicklung eines Originalpräparates im Sinne von Art. 12 Abs. 2 HMG zu qualifizieren. Die Prüfungsergebnisse unterliegen gemäss Art. 17 Abs. 2 VAM einer Schutzdauer von drei Jahren oder - sofern die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 3 VAM erfüllt sind - einer Schutzdauer von fünf Jahren. Nicht zur Anwendung gelangt jedoch der 10-jährige Erstanmelderschutz (E. 5).


Regeste en français

Produits thérapeutiques. Protection du premier requérant d'une combinaison de préparations.
Art. 12 LPTh. Art. 17 OMéd.
Une nouvelle combinaison de médicaments déjà autorisés doit être qualifiée de développement d'une préparation originale au sens de l'art. 12 al. 2 LPTh. Les résultats d'essais bénéficient d'une protection d'une durée de trois ans en vertu de l'art. 17 al. 2 OMéd ou - pour autant que les conditions de l'art. 17 al. 3 OMéd soient remplies - d'une protection d'une durée de cinq ans. La protection d'une durée de dix ans en faveur du premier requérant n'est toutefois pas applicable (consid. 5).


Regesto in italiano

Agenti terapeutici. Protezione del primo richiedente di preparati combinati.
Art. 12 LATer. Art. 17 OM.
Una nuova combinazione di medicamenti già omologati deve essere qualificata ai sensi dell'art. 12 cpv. 2 LATer come un ulteriore sviluppo di un preparato originale. Secondo l'art. 17 cpv. 2 OM i risultati degli esami sono sottoposti a una durata di protezione di tre anni oppure - sempre che le condizioni dell'art. 17 cpv. 3 OM siano soddisfatte - a una durata di protezione di cinque anni. Non è tuttavia applicabile la protezione di dieci anni riconosciuta al primo richiedente (consid. 5).


Aus den Erwägungen:

5. Die Verfahrensbeteiligten stimmen darin überein, dass es sich beim Präparat B. nicht um ein « Arzneimittel, das im Wesentlichen gleich ist wie ein bereits zugelassenes Arzneimittel (Originalpräparat) und für die gleiche Anwendung vorgesehen ist », im Sinne von Art. 12 Abs. 1 des Heilmittelgesetzes vom 15. Dezember 2000 (HMG, SR 812.21) handelt. Streitig und im vorliegenden Verfahren zu prüfen ist die Dauer des Erstanmelderschutzes gemäss Art. 12 Abs. 2 HMG. Die Vorinstanz hat das Präparat als Weiterentwicklung von « C. Tablette » qualifiziert und gestützt auf Art. 17 Abs. 2 und 4 der Arzneimittelverordnung vom 17. Oktober 2001 (VAM, SR 812.212.21) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 Satz 2 HMG eine Schutzdauer von drei Jahren verfügt. Die Beschwerdeführerin hält dafür, B. sei als neues Präparat zu betrachten, da es sich um eine neue Kombination von Wirkstoffen handle, weshalb ein zehnjähriger Erstanmelderschutz zu gewähren sei. Zur Begründung beruft sie sich insbesondere auf die teleologische, historische und europarechtskonforme Auslegung des Art. 12 HMG.
Aufgrund der anerkannten Auslegungsregeln (E. 5.1) ist deshalb zu untersuchen, wie Art. 12 HMG im Hinblick auf den Erstanmelderschutz bei Kombinationen von bekannten Wirkstoffen zu interpretieren ist (E. 5.2 ff.).

5.1 Bei der Auslegung von Rechtsnormen lässt sich das Bundesgericht (BGer) von einem Methodenpluralismus leiten; es berücksichtigt mit der grammatikalischen, systematischen, teleologischen, historischen und der geltungszeitlichen Auslegung verschiedene Auslegungskriterien. Dabei geniesst keines der Kriterien einen grundsätzlichen Vorrang gegenüber den anderen. Vielmehr kommen alle Kriterien zur Anwendung, die für den konkreten Fall im Hinblick auf ein vernünftiges und praktikables Ergebnis am meisten überzeugen (vgl. Ulrich Häfelin/Georg Müller/Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich 2006, N. 217 mit Hinweisen). Im Verwaltungsrecht ist allerdings die teleologische Auslegung besonders bedeutsam, da es im Verwaltungsrecht im Wesentlichen um die Erfüllung bestimmter Staatsaufgaben geht, die alle ihren je besonderen Zweck haben (Pierre Tschannen/Ulrich Zimmerli, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 25 N. 5; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., N. 218). Bei neueren Gesetzen kommt den Materialien eine besondere Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahe legen (BGE 131 II 697 E. 4.1).
Als Auslegungshilfen können auch Regelungen beigezogen werden, die nicht als unmittelbar anwendbare Rechtssätze zu qualifizieren sind. Dazu gehören insbesondere Verwaltungsverordnungen, die der Gewährleistung einer einheitlichen, verhältnismässigen Verwaltungspraxis und der Sicherstellung der willkürfreien und rechtsgleichen Behandlung dienen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-2095/2006 vom 9. April 2007 E. 3.5 mit Hinweisen; Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für Heilmittel [REKO HM] 05.136 vom 11. Juli 2006 E. 4.3.1). Sowohl die Anleitung des Schweizerischen Heilmittelinstituts vom 31. Januar 2002 für Humanarzeimitteln mit neuen aktiven Substanzen (new active substance) (im Folgenden: NAS-Anleitung ) als auch die Anleitung vom 3. Dezember 2002 zum Einreichen von Zulassungsgesuchen für Arzneimittel der Humanmedizin mit bekannten Wirkstoffen (im Folgenden: Generika-Anleitung, Swissmedic-Journal 12/2002, S. 918) sind als Verwaltungsverordnungen des Instituts zu qualifizieren (zur Generika-Anleitung vgl. Entscheid der REKO HM 05.120 vom 21. April 2006 E. 3.2 mit Hinweisen).
Ebenfalls im Sinne einer Auslegungshilfe können die einschlägigen Regelungen der Europäischen Union (EU) - obwohl nicht direkt anwendbar (vgl. Peter Mosimann/Markus Schott, in: Thomas Eichenberger/Urs Jaisli/Paul Richli [Hrsg.], Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz, Basel 2006 [im Folgenden: Basler Kommentar], vor Art. 8 -17 N. 38 ) - beigezogen werden. Da mit dem Erlass des HMG auch eine Angleichung an das Recht der EU angestrebt wurde (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 1. März 1999 zu einem Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte, im Folgenden Botschaft HMG, BBl 1999 3453, Separatdruck S. 12), erscheint eine kongruente Auslegung dort sinnvoll, wo der schweizerische Gesetzgeber nicht eine abweichende Regelung getroffen hat (vgl. BGE 124 II 193 E. 6a; zur Berücksichtigung der ausländischen Zulassungen im Rahmen des schweizerischen Zulassungsverfahrens [Art. 13 HMG] siehe Entscheid der REKO HM 02.012 vom 19. März 2003 veröffentlicht in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden VPB 67.31 E. 9h, mit Hinweis).

5.2 Art. 12 Abs. 2 HMG und Art. 17 VAM sehen nur für Zulassungsunterlagen für Originalpräparate einen Schutz vor. Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen der eigentlichen Erstanmeldung im Sinne einer erstmaligen Zulassung eines Originalpräparates - bei der eine zehnjährige Schutzdauer zu gewähren ist - und der Weiterentwicklung eines Originalpräparates. Die Zulassungsunterlagen für eine neue Indikation, einen neuen Verabreichungsweg, eine neue Darreichungsform oder eine neue Dosierung eines Originalpräparates sind gemäss Art. 17 Abs. 2 VAM einer dreijährigen - oder unter den Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 3 VAM einer fünfjährigen - Schutzdauer zu unterstellen.
Der Begriff des Originalpräparates wird in der Heilmittelgesetzgebung jedoch nicht definiert. Insbesondere geht weder aus Art. 12 HMG noch aus Art. 17 VAM hervor, ob Kombinationspräparate als Originalpräparate oder vielmehr als Weiterentwicklungen von Originalpräparaten zu sehen sind. Das Institut hat im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der neuen Praxis betreffend Erstanmelderschutz den Begriff Originalpräparate definiert als « erstmals zugelassene Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff » (Swissmedic Journal 7/2003, S. 556).

5.3 Mit dem Abkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation (SR 0.632.20) hat die Schweiz auch das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS-Abkommen, Anhang 1C zu SR 0.632.20) abgeschlossen. Dessen Art. 39 verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Schutz vertraulicher Informationen (Geschäftsgeheimnisse). Art. 39 Abs. 3 TRIPS-Abkommen regelt den Erstanmelderschutz für die Zulassungsunterlagen von pharmazeutischen und agrochemischen Erzeugnissen wie folgt: « Schreiben die Mitglieder als Voraussetzung für die Marktzulassung von pharmazeutischen oder agrochemischen Erzeugnissen, in denen neue chemische Stoffe verwendet werden, die Vorlage vertraulicher Testergebnisse oder sonstiger Angaben vor, deren Erstellung erhebliche Anstrengungen erfordert, so schützen sie diese Angaben vor unlauterer gewerblicher Verwendung. Darüber hinaus schützen die Mitglieder diese Angaben vor Preisgabe, sofern diese nicht zum Schutz der Öffentlichkeit notwendig ist oder sofern nicht Massnahmen zum Schutz der Angaben vor unlauterer gewerblicher Verwendung getroffen werden. » Wie lange solche vertrauliche Unterlagen geschützt werden sollen, bestimmt das Abkommen nicht. Die frühere Regelung innerhalb der
EU, welche eine (uneinheitliche) Schutzfrist von sechs bis zehn Jahren vorsah, wurde aber als mit Art. 39 Abs. 3 TRIPS-Abkommen vereinbar betrachtet (Ulrich M. Gassner, Unterlagenschutz im Europäischen Arzneimittelrecht, Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht [GRUR Int.] 2004/12, S. 985; INGO MEITINGER, Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen im globalen und regionalen Wirtschaftsrecht, Diss. Bern 2001, S. 245).
Weiter beschränkt sich der Schutz gemäss Art. 39 Abs. 3 TRIPS-Abkommen auf Unterlagen über neue chemische Stoffe, worauf bereits in der Botschaft zur Genehmigung der GATT/WTO-Übereinkommen (Urugay-Runde) vom 19. September 1994 (BBl 1994 IV 1, S. 306) hingewiesen wurde. Der Begriff der neuen chemischen Stoffe ist auslegungsbedürftig. Eine Weiterentwicklung eines Arzneimittels (z. B. eine neue Indikation oder eine neue Dosierung) dürfte jedenfalls nicht darunter fallen (vgl. MEITINGER, a.a.O., S. 91 f.). Als vertrauliche Informationen sind nicht alle Zulassungsunterlagen zu qualifizieren, sondern nur die vertraulichen Testergebnisse sowie « Angaben, deren Herstellung erhebliche Anstrengungen erfordert ». Die Auslegung des Instituts, wonach nur erstmals zugelassene Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff unter den Begriff Originalpräparat im Sinne von Art. 12 HMG fallen, verstösst demnach nicht gegen das TRIPS-Abkommen.

5.4 Zu analysieren ist die Regelung des Instituts auch unter dem Aspekt der europarechtskonformen Auslegung. Die Beschwerdeführerin bringt nämlich vor, dass Kombinationspräparate hinsichtlich Erstanmelderschutz « wie Präparate mit einem neuen Wirkstoff behandelt würden ».

5.4.1 Wie der Bundesrat in seiner Botschaft ausführte, sollte eine Angleichung des schweizerischen Heilmittelrechts an dasjenige der EU angestrebt werden (Botschaft HMG, S. 12). Aus diesem Grund schlug er vor, die Dauer des Erstanmelderschutzes in Art. 12 Abs. 2 HMG nicht festzulegen, sondern eine entsprechende Delegation an den Bundesrat vorzusehen. Dadurch sollte der notwendige Spielraum und die notwendige Flexibilität geschaffen werden, um auf Änderungen des EU-Rechts umgehend zu reagieren (Botschaft HMG, S. 48). Der Nationalrat hat aber auf Antrag seiner Kommission beschlossen, die Schutzdauer von zehn Jahren im Gesetz selber festzulegen (Amtliches Bulletin der Bundesversammlung [AB] 2000 N 89). Die Begründung ergibt sich aus den Erläuterungen der Kommissionssprecherin im Ständerat: « Die Festlegung der Schutzdauer ist eine Frage von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung. Da die Schutzdauer in praktisch allen EU-Ländern zehn Jahre beträgt, hat der Nationalrat diese Dauer auch im Gesetz verankert (Art. 12 Abs. 2). Ihre Kommission schliesst sich diesem Entscheid an. » Wie zuvor der Nationalrat, hat auch der Ständerat diesem Vorschlag diskussionslos zugestimmt (AB 2000 S 595). Der Verweis auf die Praxis in den EU-Ländern ändert
nichts daran, dass der schweizerische Gesetzgeber hier einer festen (im Gesetz verankerten) Schutzdauer gegenüber einer flexiblen, europakompatiblen Regelung den Vorzug gegeben hat.

5.4.2 Die Regelung des Erstanmelderschutzes im schweizerischen Heilmittelrecht unterscheidet sich auch in weiteren Punkten von derjenigen im europäischen Recht.
Das Arzneimittelrecht der EU hat in den letzten Jahren einige Änderungen erfahren und wurde im Jahr 2004 nicht nur reformiert, sondern auch konsolidiert. Die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (Amtsblatt der Europäischen Union [ABl.] L 131 S. 1) ersetzt. Der überwiegende Teil der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 trat am 20. November 2005 in Kraft (Art. 90 Abs. 2). Für die vor diesem Datum beantragten Genehmigungen sind die Schutzzeiträume gemäss Art. 14 Abs. 11 noch nicht anwendbar (Art. 89). Die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel wurde unter anderem durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März
2004 geändert (ABl. L 136 S. 34).
In Art. 14 Abs. 11 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 ist die Schutzfrist wie in Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG in der gemäss Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung geregelt. Demnach besteht ein Datenschutz von acht Jahren und ein Vermarktungsschutz von zehn Jahren. Der Vermarktungsschutz wird um ein Jahr verlängert, « wenn der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen innerhalb der ersten acht Jahre dieser zehn Jahre die Genehmigung eines oder mehrerer neuer Anwendungsgebiete erwirkt, die bei der wissenschaftlichen Bewertung vor ihrer Genehmigung als von bedeutendem klinischen Nutzen im Vergleich zu den bestehenden Therapien betrachtet werden. »
Gemäss Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung gemäss Richtlinie 2004/27/EG löst eine Genehmigung für das Inverkehrbringen weiterer « Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen » eines Arzneimittels, für welches bereits eine Erstgenehmigung erteilt wurde, keine weitere Schutzfrist aus. Unter diese Erweiterungen der Produktlinien (line extensions), welche als Bestandteil der Erstgenehmigung zu betrachten sind, dürften auch Änderungen des Wirkstoffs bzw. der Wirkstoffe fallen (vgl. GASSNER, a.a.O., S. 986 [mit Hinweis auf die Praxis der Kommission] und S. 993). Einen um ein Jahr verlängerten Vermarktungsschutz gibt es nur bei Genehmigung einer neuen Indikation eines bereits gut etablierten Wirkstoffs, wobei diese zusätzliche Schutzfrist nur einmal gewährt wird (Art. 10 Abs. 5 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung gemäss Richtlinie 2004/27/EG). Diese Regelung ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen den beiden verfolgten gegenläufigen Zwecken, einerseits das Entstehen eines Marktes für Generika nicht zu behindern, andererseits Forschungsanreize im Zusammenhang mit bekannten Wirkstoffen zu schaffen (GASSNER, a.a.O., S. 991
f.). Bis zu diesem Zeitpunkt gab es « praktisch keinen Unterlagenschutz für vorklinische oder klinische Versuche im Zusammenhang mit bekannten Wirkstoffen » (GASSNER, a.a.O., S. 992).

5.4.3 Daraus erhellt, dass der Schutz der Zulassungsunterlagen bei Weiterentwicklungen von Originalpräparaten im schweizerischen Heilmittelrecht sehr viel weiter geht als im europäischen Recht. Gemäss Art. 12 Abs. 2 HMG i.V.m. Art. 17 Abs. 2 VAM werden die Zulassungsunterlagen für neue Indikationen, neue Verabreichungswege, neue Darreichungsformen oder neue Dosierungen für ein Originalpräparat einer dreijährigen Schutzfrist unterstellt. Demgegenüber sieht das europäische Recht vor, dass solche Erweiterungen in die Erstgenehmigung einzubeziehen sind, ohne dass ein zusätzlicher Schutz gewährt wird. Sofern dem weiterentwickelten Originalpräparat ein bedeutender therapeutischer Mehrnutzen attestiert wird, kann nach schweizerischem Recht eine fünfjährige Schutzdauer gewährt werden (Art. 17 Abs. 3 VAM), während das europäische Recht lediglich einen maximal einjährigen Vermarktungsschutz (keinen Unterlagenschutz) vorsieht - wobei dieser Schutz nur bei neuen Indikationen gewährt wird. Vor diesem Hintergrund ist deshalb für die Auslegung von Art. 12 HMG nicht entscheidend, dass im europäischen Recht Kombinationsprodukte - auch wenn sie aus bekannten Wirkstoffen bestehen - immer als neue Originalpräparate anerkannt werden, dies, weil der
schweizerische Gesetzgeber in diesem Bereich eine abweichende bzw. autonome Regelung getroffen hat (vgl. E. 5.1). Aus dem von der Beschwerdeführerin nach Abschluss des Schriftenwechsels eingereichten Schreiben der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) betreffend den in der EU gewährten Erstanmelderschutz kann deshalb für die hier zu entscheidende Frage nichts abgeleitet werden.

5.5 Zweck des Erstanmelderschutzes ist in erster Linie, die aufwändigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, welche im Hinblick auf eine erstmalige Zulassung eines Arzneimittels erforderlich sind, während einer bestimmten Zeit vor dem Zugriff der Konkurrenz zu schützen. Dadurch sollen, entsprechend der Zweckbestimmung des HMG, für die Forschung und Entwicklung im Heilmittelbereich günstige Rahmenbedingungen gewährleistet werden (Art. 1 Abs. 3 Bst. b HMG). Der Erstanmelderschutz betrifft die Zulassungsunterlagen - bzw. das darin enthaltene Know-how - und dient somit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Insofern hat er nichts mit Patentschutz zu tun (Botschaft HMG, S. 48), kann diesen aber in wesentlicher Weise ergänzen (vgl. Gassner, a.a.O., S. 383 f.). Der Erstanmelderschutz steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zu anderen öffentichen Interessen, weshalb dieser Schutz regelmässig zeitlich limitiert wird. Aufgrund der Kostenexplosion im Gesundheitswesen besteht mit Blick auf die soziale Krankenversicherung ein erhebliches Interesse daran, dass möglichst frühzeitig preisgünstigere Generika zugelassen werden. Weiter sollen Versuche an Tieren und Menschen nur dort durchgeführt werden, wo dies für den Nachweis der Sicherheit und
Wirksamkeit erforderlich ist (vgl. MEITINGER, a.a.O., S. 245). Der Gesetzgeber hatte hier eine Abwägung zwischen sich widersprechenden Zwecken vorzunehmen.
In der Botschaft hat der Bundesrat die Bestimmung, wonach auch Prüfungsergebnisse für neue Indikationen, neue Verabreichungswege, neue Darreichungsformen oder neue Dosierungen des Originalpräparates einer angemessenen Schutzdauer unterstellt werden können (Art. 12 Abs. 2 Satz 2 HMG), damit begründet, dass der Umfang der zu erarbeitenden Daten und Unterlagen für diese Elemente in der Regel unter demjenigen für einen neuen Wirkstoff liege, weshalb die Gewährung einer kürzeren Schutzdauer gerechtfertigt sei. Selbstverständlich könne eine ursprüngliche, noch nicht abgelaufene Schutzdauer für einen neuen Wirkstoff nicht durch eine bereits abgelaufene, weil kürzere Schutzdauer für beispielsweise eine neue Indikation eines Originalpräparates unterlaufen werden (Botschaft HMG, S. 48). Demnach liegt Art. 12 HMG die Annahme zu Grunde, dass die Erstellung der Zulassungsunterlagen für ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff in der Regel erheblich aufwändiger ist als für ein Arzneimittel mit bekannten Wirkstoffen. Aus der Begründung geht weiter hervor, dass die Schutzdauer entsprechend dem Aufwand für die Herstellung der erforderlichen Unterlagen abgestuft festgelegt werden soll. Da sich das Parlament zu diesem Teil der Bestimmung nicht
äusserte, kann aus den Materialien geschlossen werden, dass der Gesetzgeber den zehnjährigen Erstanmelderschutz auf Präparate mit einem neuen Wirkstoff beschränken wollte.
Der Beschwerdeführerin ist darin zuzustimmen, dass der Gesetzgeber über die Verpflichtungen des TRIPS-Abkommens (siehe E. 5.3) hinausgegangen ist, insofern er auch für die Weiterentwicklung von Originalpräparaten einen angemessenen Schutz vorgesehen hat. Im Übrigen stellt die Botschaft den Erstanmelderschutz klar vor den Hintergrund des TRIPS-Abkommens (vgl. Botschaft HMG, S. 20). Für die Annahme, der Gesetzgeber habe auch für neue Präparate mit bereits in Arzneimitteln zugelassenen Wirkstoffen einen zehnjährigen Erstanmelderschutz vorsehen wollen, fehlen in den Materialien jegliche Anhaltspunkte.

5.6 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Praxis zum Erstanmelderschutz bei Pflanzenschutzmitteln - welcher ebenfalls durch Art. 39 Abs. 3 TRIPS-Abkommen vorgeschrieben wird. Gemäss Art. 26
SR 916.161 Verordnung vom 12. Mai 2010 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (Pflanzenschutzmittelverordnung, PSMV) - Pflanzenbehandlungsmittel-Verordnung
PSMV Art. 26 Fristen - 1 Die Fristen zur Bearbeitung des Gesuchs richten sich nach der Verordnung vom 17. November 199977 über Ordnungsfristen für die Behandlung von Gesuchen in erstinstanzlichen wirtschaftsrechtlichen Verfahren.
1    Die Fristen zur Bearbeitung des Gesuchs richten sich nach der Verordnung vom 17. November 199977 über Ordnungsfristen für die Behandlung von Gesuchen in erstinstanzlichen wirtschaftsrechtlichen Verfahren.
2    Verlangt die Zulassungsstelle eine Ergänzung des Dossiers, so stehen die Fristen bis zur Einreichung der Ergänzung still.
der Pflanzenschutzmittelverordnung vom 18. Mai 2005 (PSMV, SR 916.161) bzw. Art. 14 der alten Pflanzenschutzmittel-Verordnung vom 23. Juni 1999 wird ein zehnjähriger Erstanmelderschutz lediglich bei Präparaten mit neuen Wirkstoffen gewährt. Eine neue Kombination von bereits bekannten Wirkstoffen kann deshalb nicht zu einem zehnjährigen Erstanmelderschutz führen (siehe Urteil des BGer 2A.98/2002 vom 13. September 2002 E. 2.4. f.). Die Praxis des Instituts fügt sich somit auch in die in ähnlichen Regelungsgebieten getroffene und umgesetzte Lösung ein.

5.7 Zu erwähnen sind schliesslich die Regelungen des Krankenversicherungsrechts, in denen der Verordnungsgeber den Begriff des Originalpräparates definiert: Mit der Änderung vom 26. April 2006 der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV, SR 832.102) wurde in Art. 64a Abs. 1
SR 832.102 Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV)
KVV Art. 64a Begriffe - 1 Als Originalpräparat gilt ein von der Swissmedic als erstes mit einem bestimmten Wirkstoff zugelassenes Arzneimittel, einschliesslich aller zum gleichen Zeitpunkt oder später zugelassenen Darreichungsformen.258
1    Als Originalpräparat gilt ein von der Swissmedic als erstes mit einem bestimmten Wirkstoff zugelassenes Arzneimittel, einschliesslich aller zum gleichen Zeitpunkt oder später zugelassenen Darreichungsformen.258
2    Als Generikum gilt ein von der Swissmedic259 zugelassenes Arzneimittel, das im wesentlichen gleich ist wie ein Originalpräparat und das mit diesem aufgrund identischer Wirkstoffe sowie seiner Darreichungsform und Dosierung austauschbar ist.
3    Als Co-Marketing-Arzneimittel gilt ein von der Swissmedic zugelassenes Arzneimittel, das sich von einem anderen von der Swissmedic zugelassenen Arzneimittel (Basispräparat) mit Ausnahme der Bezeichnung und der Packung nicht unterscheidet.
4    Als Präparat mit bekanntem Wirkstoff gilt ein im vereinfachten Zulassungsverfahren von der Swissmedic zugelassenes Arzneimittel, dessen Wirkstoff in einem Arzneimittel enthalten ist, das von der Swissmedic zugelassen ist oder war.260
5    Als Biosimilar gilt ein von der Swissmedic zugelassenes biologisches Arzneimittel, das eine genügende Ähnlichkeit mit einem anderen von der Swissmedic zugelassenen biologischen Arzneimittel (Referenzpräparat) aufweist und das auf die Dokumentation des Referenzpräparates Bezug nimmt.261
6    Als für den Parallelimport zugelassenes Arzneimittel gilt ein Arzneimittel, das direkt aus einem Land mit gleichwertigem Zulassungssystem eingeführt wird, das über eine Zulassung der Swissmedic verfügt und zu dem ein wirkstoffgleiches Arzneimittel in der Spezialitätenliste aufgeführt ist.262
eine neue Legaldefinition von Originalpräparaten aufgenommen, welche die bisher in Art. 66
SR 832.102 Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV)
KVV Art. 66 Unabhängigkeit der Preisüberprüfungen - Die Preisüberprüfungen nach den Artikeln 65a-65g werden unabhängig voneinander durchgeführt. Es sind mehrere Preissenkungen innerhalb eines Kalenderjahres möglich.
KVV enthaltende Definition ersetzt. « Als Originalpräparat gilt ein vom Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic (Institut) als erstes mit einem bestimmten Wirkstoff zugelassenes Arzneimittel, einschliesslich aller zum gleichen Zeitpunkt oder später zugelassenen Darreichungsformen. » Im Kommentar zur Verordnungsänderung wird dazu Folgendes ausgeführt: « Der BegriffOriginalpräparat wird neu präziser und in Übereinstimmung mit Art. 9 Abs. 1
SR 832.102 Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV)
KVV Art. 66 Unabhängigkeit der Preisüberprüfungen - Die Preisüberprüfungen nach den Artikeln 65a-65g werden unabhängig voneinander durchgeführt. Es sind mehrere Preissenkungen innerhalb eines Kalenderjahres möglich.
Heilmittelgesetz (HMG) umschrieben. » (Kommentar zu den KVV Änderungen vom 26. April 2006, S. 5, online auf der Website des Bundesamtes für Gesundheit > Themen > Krankenversicherung > Projekte, besucht am 5. Oktober 2007). Obwohl die Legaldefinition in Art. 64a
SR 832.102 Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV)
KVV Art. 64a Begriffe - 1 Als Originalpräparat gilt ein von der Swissmedic als erstes mit einem bestimmten Wirkstoff zugelassenes Arzneimittel, einschliesslich aller zum gleichen Zeitpunkt oder später zugelassenen Darreichungsformen.258
1    Als Originalpräparat gilt ein von der Swissmedic als erstes mit einem bestimmten Wirkstoff zugelassenes Arzneimittel, einschliesslich aller zum gleichen Zeitpunkt oder später zugelassenen Darreichungsformen.258
2    Als Generikum gilt ein von der Swissmedic259 zugelassenes Arzneimittel, das im wesentlichen gleich ist wie ein Originalpräparat und das mit diesem aufgrund identischer Wirkstoffe sowie seiner Darreichungsform und Dosierung austauschbar ist.
3    Als Co-Marketing-Arzneimittel gilt ein von der Swissmedic zugelassenes Arzneimittel, das sich von einem anderen von der Swissmedic zugelassenen Arzneimittel (Basispräparat) mit Ausnahme der Bezeichnung und der Packung nicht unterscheidet.
4    Als Präparat mit bekanntem Wirkstoff gilt ein im vereinfachten Zulassungsverfahren von der Swissmedic zugelassenes Arzneimittel, dessen Wirkstoff in einem Arzneimittel enthalten ist, das von der Swissmedic zugelassen ist oder war.260
5    Als Biosimilar gilt ein von der Swissmedic zugelassenes biologisches Arzneimittel, das eine genügende Ähnlichkeit mit einem anderen von der Swissmedic zugelassenen biologischen Arzneimittel (Referenzpräparat) aufweist und das auf die Dokumentation des Referenzpräparates Bezug nimmt.261
6    Als für den Parallelimport zugelassenes Arzneimittel gilt ein Arzneimittel, das direkt aus einem Land mit gleichwertigem Zulassungssystem eingeführt wird, das über eine Zulassung der Swissmedic verfügt und zu dem ein wirkstoffgleiches Arzneimittel in der Spezialitätenliste aufgeführt ist.262
KVV im Zusammenhang mit den Vorschriften zur Spezialitätenliste steht, kann sie - zumal explizit auf die bezweckte Übereinstimmung mit dem HMG
verwiesen wird - als Auslegungshilfe für den Begriff Originalpräparat in Art. 12 HMG beigezogen werden.

5.8 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich allein aus dem Wortlaut des Art. 12 HMG nicht ermitteln lässt, ob der zehnjährige Erstanmelderschutz auf Unterlagen für die Zulassung von Arzneimitteln mit einem neuen Wirkstoff beschränkt ist und demnach Kombinationspräparate mit bekannten Wirkstoffen unter Weiterentwicklung von Originalpräparaten im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Satz 2 HMG fallen. Diese Interpretation des Instituts erweist sich aber aufgrund der historischen und der teleologischen Auslegung von Art. 12 HMG und Art. 17 VAM als zutreffend. Zum gleichen Ergebnis führt die systematische Auslegung, worunter auch die völkerrechtskonforme Auslegung fällt (vgl. ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht 6. Aufl., Zürich 2005, N. 98). Kombinationspräparate mit bekannten Wirkstoffen sind somit keine (neuen) Originalpräparate im Sinne von Art. 12 HMG, deren Zulassungsunterlagen während zehn Jahren geschützt sind.
An diesem Ergebnis vermag auch der Hinweis der Beschwerdeführerin nichts zu ändern, dass durch die unterschiedliche Rechtslage in der Schweiz und in der EU Standortnachteile für die Schweiz entstehen können, indem neue Kombinationspräparate in erster Linie in der Europäischen Union auf den Markt gebracht werden, um einen früheren Zugriff auf die Unterlagen zu vermeiden. Sofern die Regelung zum Unterlagenschutz aus dem europäischen Recht übernommen werden soll, obliegt es dem Gesetzgeber und nicht den rechtsanwendenden Behörden, die erforderlichen Änderungen vorzunehmen (vgl. E. 5.4.3).