S. 47 / Nr. 10 Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft (d)
BGE 65 I 47
10. Urteil des Kassatiollshofes vom 6. März 1939 i. S. Thurgau,
Staatsanwaltschaft gegen Dändliker.
Regeste:
Bundesbeschluss betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft,
vom 21. Juni 1935.
Art. 4 schützt die auf schweizerischem Gebiet sich aufhaltenden Personen, die
um bestimmte wirtschaftliche Vorgänge wissen deren Geheimhaltung wollen und
hieran ein schützenswertes Interesse haben.
Ob eine bestimmte Tatsache in der Schweiz nicht geheimgehalten werde oder der
Geheimhaltungswille gesetzlichen Schutz geniesse, ist unerheblich, wenn
Massnahmen des fremden Staates Verhältnisse schaffen, die die Geheimhaltung
nahelegen.
Arbeitnehmer eines schweiz. Betriebes können an der Geheimhaltung von
Lohnverhältnissen ein schützenswertes Interesse haben.
Arrêté fédéral tendant à garantir la sûreté de la Confédération, du 21 juin
1935.
L'art. 4 protège les personnes qui, séjournant en Suisse, connaissent
certaines circonstances économiques qu'elles veulent tenir secrètes pour
sauvegarder un intérêt digne de protection.
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Il importe peu que telle circonstance soit ou non tenue secrète en Suisse et
que la loi protège ou non la volonté de garder le secret: Il suffit que des
mesures prises par un Etat étranger rendent le secret désirable.
Des employés d'une entreprise suisse peuvent avoir un intérêt digne de
protection à tenir secret le montant de leur salaire.
Decreto federale per garantire la sicurezza della Confederazione, del 21
giugno 1935.
L'art. 4 protegge le persone che, soggiornando in Isvizzera, conoscono certe
circostanze concernenti l'ordinamento economico e vogliono tenerle secrete per
salvaguardare un interesse degno di protezione
Non importa che una certa circostanza sia o non sia tenuta segreta in
Isvizzera e che la legge protegga o no la volontà di mantenere il segreto:
basta che misure prese da uno stato estero facciano apparire il segreto come
desiderabile.
Gli impiegati di un'impresa svizzera possono avere un interesse degno di
protezione a tenere segreto l'importo del loro salario.
A. - Gegen Friedrich Dändliker ist durch die thurgauischen Strafbehörden wegen
Übertretung von Art. 4 des Bundesbeschlusses betreffend den Schutz der
Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 21. Juni 1935 ein Strafverfahren
durchgeführt worden. Dem Angeschuldigten wurde zur Last gelegt, deutsche
Arbeiterinnen, die in Diessenhofen tätig, aber in Deutschland wohnhaft sind,
dadurch denunziert zu haben, dass er den deutschen Zoll- und Devisenbehörden
über deren Lohnverhältnisse, wie das Datum des Zahltages und die Lohnhöhe,
ferner die Tatsache, dass einzelne Arbeiterinnen einen Teil des Lohnes in der
Schweiz in Mark umgewechselt oder daraus Waren gekauft hatten, Mitteilungen
machte. Das habe am Abend des 18. Juli zu einer Leibesvisitation von 70
Grenzgängerinnen durch die deutschen Zollbehörden von Gailingen und zur
Überführung von 2 Arbeiterinnen wegen Devisenvergehen geführt.
Das Bezirksgericht Diessenhofen erklärte den Angeschuldigten der Übertretung
von Art. 4 des Bundesbeschlusses schuldig; das Obergericht hat ihn dagegen mit
Urteil vom 6./14. Dezember 1938 von Schuld und Strafe freigesprochen, im
wesentlichen mit der Begründung: Schutzobjekt seien bei wirtschaftlichem
Nachrichtendienst nur Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse; als
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Geschäftsgeheimnisse könnten aber weder die Höhe des Lohnes der Angestellten,
noch das Datum des Zahltages oder die Tatsache angesehen werden, dass ein Teil
des Lohnes in der Schweiz in deutsches Geld umgewechselt worden sei.
Die Frage, ob der Angeschuldigte der ihm zur Last gelegten Handlungen
überführt sei, hat der angefochtene Entscheid offen gelassen.
B. - Mit rechtzeitig erhobener Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides und die Rückweisung der Sache an die kantonalen Behörden zu neuer
Behandlung und Entscheidung.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Art. 4 des Bundesbeschlusses verbietet nicht die Kenntnisgabe
irgendwelcher wirtschaftlicher Vorgänge, an deren Geheimhaltung kein Interesse
besteht, sondern bezweckt den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Was hierunter
zu verstehen sei, wird nicht ausdrücklich gesagt. Im allgemeinen handelt es
sich dabei um bestimmte Tatsachen oder Vorgänge geschäftlicher Natur, die nach
dem Willen des Geschäftsinhabers nicht ausserhalb des Betriebes stehenden
Personen oder der Öffentlichkeit preisgegeben werden sollen. Mit dem Erlass
des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1935 beabsichtigte aber der Gesetzgeber
nicht nur den Schutz derartiger Geheimnisse des Geschäftsherrn im engern
Sinne, sondern auch denjenigen weiterer auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft
sich aufhaltender Personen vor der Preisgabe von Tatsachen des
Wirtschaftslebens, an deren Geheimhaltung diese ein Interesse besitzen. Es
kann daher nicht allein darauf abkommen, ob ein Geschäftsinhaber an einem
bestimmten wirtschaftlichen Vorgang und seiner Geheimhaltung ein Interesse
besitze. Der Wille zur Geheimhaltung und das Interesse daran, dass fremde
Regierungen, Behörden oder Parteien keine Kenntnis davon erhalten,
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kann ebenso bei Dritten, dem Kunden einer Bank, dem Auftraggeber eines
Anwaltsbureau, dem Arbeitnehmer oder Käufer von Waren vorhanden sein, der mit
dem Geschäftsinhaber in Beziehung steht. Geschützt sind daher durch Art. 4
alle jene, die um bestimmte wirtschaftliche Vorgänge wissen, deren
Geheimhaltung wollen und hieran nach schweizerischer Auffassung ein
schützenswertes Interesse haben. Die Bestimmung will dem Spitzeltum begegnen,
gleichgültig, ob es Geschäftsinhaber, Arbeiter bezw. Angestellte oder dritte
Personen gefährde, die sich auf dem schweizerischen Gebiet aufhalten. Ob der
Geheimhaltungswille für die betreffende Tatsache gesetzlichen Schutz geniesse,
wie das z. B. beim Anwaltsgeheimnis zutrifft, ob er jedermann oder nur
bestimmten Dritten gegenüber bestehe, ja selbst ob der Vorgang in der Schweiz
unter Umständen nicht geheimgehalten wird, ist unerheblich, sofern nur
bestimmte gesetzgeberische Erlasse oder Verwaltungsmassnahmen von Behörden
eines fremden Staates Verhältnisse schaffen, die, sei es dem schweizerischen
Staatsbürger, sei es dem Angehörigen eines dritten Staates oder selbst
demjenigen des Landes, dessen Erlasse in Frage stehen, die Geheimhaltung
nahelegen. Es ist daher auch gleichgültig, ob derartige Tatsachen mit der Zeit
in einem gewissen Kreis offenkundig werden, solange sie dem Staate gegenüber,
dem sie geheimgehalten werden wollen nicht zugänglich bezw. nicht bekannt
geworden sind. Nur diese Auslegung des Begriffes des Geschäftsgeheimnisses
gestattet es, dem wirtschaftlichen Spitzeltum wirksam zu begegnen.
2.- Entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils kommt daher bei
Entscheidung der Frage, ob der Angeklagte Art. 4 des Bundesbeschlusses
übertreten habe, nichts darauf an, ob die Lohnverhältnisse in den Betrieben,
in denen die deutschen Arbeiterinnen tätig sind, insbesondere die Höhe des
Lohnes und der Zeitpunkt seiner Auszahlung von den Geschäftsinhabern nicht als
Geschäftsgeheimnis betrachtet werden. Es genügt, dass die Arbeiterinnen
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gegenüber den deutschen Behörden ein Interesse an der Geheimhaltung dieses
Teiles des Arbeitsverhältnisses besitzen. Das trifft aber zu. Dass die
Mitteilungen, die der:Nichtigkeitsbeklagte hierüber gemacht haben soll, den
deutschen Zollbehörden schon vorher bekannt gewesen seien, steht in keiner
Weise fest. Ebenso bestünde unbestreitbar ein schutzwürdiges Interesse daran,
dass die deutschen Behörden nicht erfahren, dass die Arbeiterinnen einen Teil
ihres Lohnen in der Schweiz in Silbermark umwechseln oder damit Waren
einkaufen. Auch das war jedenfalls nicht offenkundig. Das Interesse an der
Geheimhaltung dieser Tatsachen ist deswegen nicht ein nicht schutzwürdiges,
weil das Ausland die Übertretung seiner Devisenvorschriften verfolgen will,
nachdem diese Devisengesetzgebung als mit dem schweizerischen ordre public
unvereinbar erklärt worden ist (BGE 64 II S. 98 und dortige Zitate). Die
deutsche Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeiterinnen vermag an der
Widerrechtlichkeit der Denunziation als der Bekanntgabe eines wirtschaftlichen
Vorganges, der sich auf schweizerischem Gebiet zugetragen hat, ebenfalls
nichts zu ändern.
Die Mitteilungen des Beschwerdebeklagten stellen daher die Bekanntgabe eines
Geschäftsgeheimnisses im Sinne von Art. 4 dar; wenn der Beweis für das ihm zur
Last gelegte Verhalten erbracht werden kann, muss der Angeschuldigte gemäss
der genannten Bestimmung bestraft werden. Die Sache ist deswegen unter
Aufhebung des angefochtenen Entscheides zur Abklärung des Tatbestandes und
neuen Beurteilung an die kantonalen Behörden an die kantonalen Behörden
zurückzuweisen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und die Sache zu neuer Behandlung
und Entscheidung an die Vorinstanzen zurückgewiesen.