338 ErbreCht. N° 55.

die ihm in allen übrigen Kantonen Strafe eintrügen, mit Fug behauptet
werden, er habe sich mit der Beiwohnung eines Verbrechens schuldig
gemacht, wenn diese Beiwohnung keinem Satz des am Orte der Begehung
geltenden Strafrechtes subsumiert werden kann.

Vorliegend ist durch die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten
festgestellt, dass er durch seinen Geschlechtsverkehr mit der Klägerin
einen Satz des bernischen Strafrechtes verletzt hat, der zum Schutz
der noch nicht sechzehnjährigen Mädchen gegen geschlechtliche Berührung
aufgestellt worden ist und entsprechend seinem Zwecke ohne Rücksicht auf
die Einwilligung des Mädchens Anwendung finden muss. Damit ist ausser
Zweifel gestellt, dass er sich mit der Beiwohnung eines Verbrechens an
der Klägerin schuldig gemacht hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des
Kantons Bern vom 1. Juli 1926 bestätigt.

II. ERBRECHT

DRO IT DES SUCCESSION S

55. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. November 1926
i. S. Semager-Böhner gegen Böhner.

Herabsetzungsklage, AusgleichungZGB Art. 522 ff., 626 ff., bes. 629
Abs. 1, 633.

Sind Erbschaftsaktiven nicht vorhanden, haben aber einzelne Kinder
Zuwendungen erhalten, die den Betrag ihrer Erbanteile übersteigen,
und zwar zwecks Begünstigung, so können die benachteiligten von den
begünstigten Kindern nicht nur mit der Herabsetzung klage Herstellung
ihrer Ptlichtteile verlangen, sondern gegebenenfalls ausserdem eine
billige Ausgleichung für die ihren Eltern zugewendete Arbeit. ·

Wann darf eine auf Art. 633 ZGB gestützte Klage als verfrüht
zurückgewiesen werden ? (Erw. 3 i. f.}.Erbrecht. N° 55. 539

A. Die am 4. Dezember 1923 verstorbene Witwe Böhner-Hetzer hinterliess
sechs Kinder, worunter die Klägerin und die beiden Beklagten.

Die im Jahre 1875 geborene Klägerin hatte bis zu ihrer im Jahre 1904
erfolgten Verheiratung in dem von der Erblasserin betriebenen und dann
im Jahre 1906 aufgegeben-en Wejsswarengeschäit unentgeltlich gearbeitet.

Drei Häuser, welehe die Erblasserin besass, hatte sie an die beiden
Beklagten verkauft, und zwar zwei Häuser in Aesch, welche sie zusammen
auf 23,700 Fr. zu stehen gekommen waren, am 25. Januar 191? um 15,250 Fr.,
und das Haus Klosterherg 11 in Basel am 9. Dezember 1918 gegen Übernahme
der bestehenden Hypothekenschulden von 66,000 Fr. und Errichtung einer
neuen Hypothek von 12,000 Fr. Letztere Hypothek wurde anfangs 1919
wieder gelöscht.

Die beiden Häuser in Aesch hatten die Beklagten schon im Jahre 1918 um
zusammen 34,000 Fr. wieder verkaufen können.

Beim Tode der Erblasserin fand sich ausser Kleidern und Wäsche keinerlei
Erbschaftsvermögen vor.

B. Mit Klage vom 4. Dezember 1924 bzw. 27. Januar 1925 stellte die
Klägerin folgende Anträge :

a a) Es seien die Beklagten I und II zu verurteilen, zu Gunsten
der Klägerin einen Voraus im Beträge von 4000 Fr. eventuell wieviel
nach richterlichem' Ermessen gemäss Art. 633 ZGB anzuerkennen und.
zum Ausgleich zu bringen.

6) Es seien die Beklagten I und II zu verurteilen, gemäss Art. 519 -533 ZGB
einen Betrag von 88,650 Fr. eventuell wieviel nach richterlichem Ermessen
zur Herabsetzung und Ausgleichung anzuerkennen und bei-zubringen.Zur
Begründung machte die Klägerin namentlich auch geltend, die Erblasserin
habe die Beklagten durch die Häuserverkäufe begünstigen wollen.

340 Erbrecht. N° 55.

Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt erkannte:

1. Es wird festgestellt, dass der Klägerin im Nachlass der Frau Witwe
Böhner-Hetzel 4000 Fr. zustehen.

2. Die Beklagten I und II werden verurteilt, in der Erbteilung über
den Nachlass der Frau Witwe Böhner-' Hetzel 30,000 Fr. zur Ausgleichung
zu bringen.

Gegen dieses Urteil appellierten nur die Beklagten.

C. Durch Urteil vom 18. Juni 1928 hat das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten die von der Erblasserin
erhaltenen Zuwendungen im Betrage von 23,135 Fr. sich an ihrem Erbanteil
von je 1/6 des. Nachlasses müssen anrechnen lassen. '

2. Es wird ferner festgestellt, dass der über den Erhanteil der Beklagten
hinausgehende Überschuss dieser Zuwendungen zu Gunsten der Klägerin bis
zu deren Pflichtteil im Betrage von 1/8 des Nachlasses der Herabsetzung
unterliegt.

3. Das Begehren um einen Liedlohn von 4000 Fr. wird zur Zeit abgewiesen.

D. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht
eingelegt mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

2. Der Unterschied in der Beurteilung des zweiten Klagantrages durch die
Vorinstanzen ist ein doppelter. Zunächst hat das Appellationsgericht
(in Dispositiv 1 seines Urteils) festgestellt, die Beklagten haben
Zuwendungen im Sinne des Art. 626 Abs. 2ZGB für den Betrag von
nur 23,135 Fr. erhalten, nicht von 30,000 Fr., wie das Zivilgericht
gefunden hatte. Da die Beklagten das Urteil des Appellationsgerichtes
nicht mehr angefochten haben, ist nur noch zu entscheiden, ob der vom
Appellationsgericht vorgenommene Abstrich gerechtfertigt war. (Wird
bejaht.)

Erbrecht. N° 55. 341

Im weitem hat das Appellationsgericht (in Dispositiv 2) ausgesprochen,
dass die Beklagten nicht den ganzen Betrag dieser Zuwendungen zur
Ausgleichung bringen müssen, wie das Zivilgericht wollte, sondern
dass der Überschuss der Zuwendungen über ihre Erbanteile nur der
Herabsetzung zu Gunsten der Klägerin bis zu deren . Pflichtteil von 1,8
des Nachlasses unterliege. Da die Klägerin selbst mehrfach behauptete,
die Erblasserin habe die Beklagten mit den in Rede stehenden Zuwendungen
begünstigen wollen, so ergibt sich die Richtigkeit der Verneinung
der Pflicht zur Ausgleichung des Überschusses ohne weiteres aus
Art. 629 Abs. 1 ZGB, welcher lautet : Übersteigen die Zuwendungen
den Betrag eines Erbauteiles, so ist der Überschuss unter Vorbehalt
des Herabsetzungsanspruches der Miterben nicht auszugleichen, wenn
nachweisbar der Erblasser den Erben damit begünstigen wollte. Ob die
Voraussetzungen der Herabsetzungsklage vom Appellationsgericht mit Fug
als zutreffend erachtet werden sind, braucht nicht geprüft zu werden,
nachdem die Beklagten dessen Urteil nicht weitergezogen haben.

3. Finden sich einerseits keine Erbschaftsaktiven vor und sind anderseits
die Beklagten auch nicht gemäss Art. 626 630 ZGB verpflichtet, den
Überschuss der erhaltenen Zuwendungen über ihre eigenen Erbanteile
hinaus in die Erbmasse einzuwerfen, sondern nur verpflichtet, den
Pflichtteil der Klägerin herzustellen, so erhebt sich zunächst die
Frage, aus welchen Mitteln der Klägerin die billige Ausgleichung für
die geleistete Arbeit, welche sie mit dem ersten Klagantrag über den
Pflichtteil hinaus beansprucht, auszurichten ist, wenn sie ihr überhaupt
gebührt. Die Antwort auf diese Frage darf jedenfalls nicht dahin lauten,
dass durch den Mangel jeglicher Erbschaftsaktiven die Geltendmachung
einer solchen billigen Ausgleichung für geleistete Dienste überhaupt
ausgeschlossen werde. Denn dem Erblasser kann nicht zugestanden werden,
einen derartigen Anspruch

AS 52 u 1926 24

342 Erbrecht. N° 55.

dadurch illusorisch zu machen, dass er unter Hintensetzung des
betreffenden Kindes sein Vermögen noch zu Lebzeiten unter seine
übrigen Erben verteilt. Wenn infolge derartiger Machenschaften nicht
mehr genügend Erbschaftsakt'iven vorhanden sind, um einem Kind für
die geleisteten Dienste eine billige Ausgleichung zu gewähren, so kann
dem Anspruch darauf doch noch dadurch zum Durchbruch verhelfen werden,
dass die Erben, welche Zuwendungen erhalten haben, die den Betrag ihres
Erbanteiles übersteigen, auch bei nachgewiesener Begünstigungsabsicht des
Erblassers nicht nur gemäss dem in Art. 629 Abs. 1 ZGB ausgesprochenen
Vorbehalt der Herabsetzungsklage, sondern ausserdem auch noch der
auf Art. 833 ZGB gegründeten, besonders gearteten Ausgleichungsklage
unterworfen werden. Dies hat dann zur Folge, dass die begünstigten
dem benachteiligten Erben nicht nur den Pflichtteil,sondern auch noch
die billige Ausgleichung für die geleisteten Dienste aus ihrem eigenen
freilich durch die Zuwendungen vermehrtenVermögen gewähren müssen. Unter
diesem Gesichtspunkte erscheint es auch gerechtfertigt, dass die Klägerin
ihren bezüglichen Klagantrag nicht gegen sämtliche Miterben gemeinsam
gestellt hat; übrigens haben die Beklagten keinerlei prozessuale Einrede
daraus hergeleitet, das die übrigen Miterben nicht ebenfalls in den
Prozess einbezogen worden sind.

Die Vorinstanz hat den ersten Klagantrag in Anlehnung an BGE 45 II S. 1
ff. und 48 II S. 315 ff. deswegen zur Zeit abgewiesen, weil der von der
Klägerin erhobene Ausgleichungsanspruch erst existent werde, wenn dessen
Grundlagen, nämlich alle in billiger Weise zu berücksichtigenden Umstände
des Falles, insbesondere auch der Stand des Nachlasses, feststehen;
dies sei aber erst bei der Teilung der Fall. DieserArgumentation vermag
das Bundesgericht nicht zu folgen. Auch mit dem zweiten Klagantrag hat
die Klägerin ja einen Teilungsanspruch geltend gemacht, soweit sie damit
Ausgleichung ver-

Erbrecht. N° 55. 343

langte. Ihr zu versagen, gleichzeitig mit diesem Teillungsanspruch auch
den weiteren Teilungsanspruch auf billige Ausgleichung für die geleistete
Arbeit einzuklagen, m. a. W. sie auf einen zweiten Prozess zu verweisen,
liesse sich nur dann rechtfertigen, wenn die Beurteilung auf Grund des
beigebrachten Prozessstoffes noch nicht möglich wäre. Solches lässt
sich aber nicht sagen. Beharrt die Klägerin darauf, dass hierüber im
gegenwärtigen Prozess entschieden wird, obschon ihr weiterer gegen die
Beklagte Julia Böhner allein gerichteter Anspruch aufj Ausgleichung,
eventuell Herabsetzung der Zuwendung des Mobiliars an sie von der Hand
gewiesen wurde, so nimmt sie damit in den Kauf, dass diese Zuwendung
bei der Berechnung des Standes der Erbschaft unberücksichtigt bleibt
...... Infolgedessen ist als Stand der Erbschaft einfach der von der
Vorinstanz festgestellte Betrag der Zuwendungen anzusehen, welche die
Beklagten erhalten haben (Art. 475 ZGB) ......

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird dahin teilweise begründet erklärt, dass Dispositiv
3 des Urteils des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom
19. Juni 1926 aufgehoben und die Sache zur materiellen Beurteilung des
ersten Klagantrages an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. Im
wird die Berufung abgewiesen und das angefochtene Urteil bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 52 II 338
Datum : 01. Juli 1926
Publiziert : 31. Dezember 1926
Quelle : Bundesgericht
Status : 52 II 338
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 338 ErbreCht. N° 55. die ihm in allen übrigen Kantonen Strafe eintrügen, mit Fug


Gesetzesregister
ZGB: 475  519  533  626  629  633  833
BGE Register
45-II-1
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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