453 Erbrecht. N° 70.

sich nämlich nicht rechtfertigen, den ausschlagenden Erben, welchem der
Erblasser zu Lebzeiten Zuwendungen gemacht hat, schlechter zu stellen
als den Erben, welcher mit Rücksicht auf derartige Zuwendungen noch zu
Lebzeiten des Erblassers Erbverzi'cht geleistet hat. Für den Fall des
Erbverzichts aber bestimmt Art. 535 ZGB zunächst, dass die Herabsetzung
nur insoweit verlangt werden kann, als die dem verzichtenden Erben
gemachten Leistungen den verfügbaren Teil der Erbschaft übersteigen,
der vorliegend einen Viertel beträgt, und sodann, dass die Verfügung
jedoch nur für den Betrag der Herabsetzung unterliegt, um den sie
den Pflichtteil des Verzichtenden übersteigt. Der Pflichtteil des
Verzichtenden kann nun nicht anders ermittelt werden, als dass dieser
schon bei der Berechnung der gesetzlichen Erbansprüche nntgezählt wird ;
dadurch werden aber notwendigerweise die gesetzlichen Erbansprüche und
damit auch die Pflichtteile der (übrigen) Erben reduziert, mindestens
; mit Wirkung für die Herabsetzungskiage gegen den VerJzichtenden.
Die analoge Anwendung jener Vorschrift ,führt somit zur Bezifferung
des Pflichtteils des Klägers auf s/3 von 86,000 Fr. = 24,750 Fr., zu
deren? Bezahlung die Beklagte zu verurteilen ist, weil sie den Betrag
Ihrer auch heute noch vorhandenen Bereicherung darstellt (Art. 528 ZGB).--

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Beide Berufungen werden abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Luzern vom 16. Juni 1924 bestätigt.

Erbrecht. N° 71. 459.

71. Urteil der II. Zivflabteilung vom 11. Dezember 1924 i. S. Hartmann-Rey
gegen Bey-Widmer.

Bäuerliches Erbrecht: Streit um die Zuweisung des landwirtschaitlichcn
Gewerbes

des Erblassers zum Ertragswert zwischen Witwe und Tochter (aus erster
Ehe), welche beide es zum Selbstbetrieb übernehmen möchten und hiefür
in gleicher Weise geeignet erscheinen. Unzulässigkeit der Veräusscrung;
Zuweisung an die Tochter, auch-wenn dadurch die durch Verfügung von
Todes wegen begünstigte Witwe benachteiligt

wird (Erw. 1). Verhältnis des Anspruchs der Tochter auf Zuweisung zu
der der Witwe vermachten Nutzniessung bezw. Wohnrecht

(Erw. 2)! ZGB Art. 473, 620 f., 777.

A. Die Beklagte ist die Witwe des am 3. April 1922 verstorbenen Johannes
Rey, Eigentümers des landwirtschaftlichen Heimwesens Heuhof in Scherz,
der ausserdem als Erben zwei Kinder aus erster Ehe hinterliess, nämlich
die Klägerin und einen Sohn, welcher den Monteurberuf betreibt. Vor der
zweiten Verheiratung hatte Rey am 15. März 1903 einen Ehevertrag mit
der Beklagten abgeschlossen mit folgenden wesentlichen Bestimmungen :

Johannes Rey entzieht seinen Kindern erster Ehe die Verwaltung und
Nutzm'essung am väterlichen Vermögen bis zum Todestag ihrer zukünftigen
Stiefmutter Elise Widmer, Johann Friedrichs.

Der zukünftigen Ehefrau Elise Widmer, Johann Friedrichs, soll das
lebenslängliche Verwaltungsund Nutzniessungsrecht am ganzen Vermögen
des Ehemannes Johannes Rey zukommen...

Am 16. Mai 1919 sodann hatte Rey ein Testament errichtet mit folgenden
wesentlichen Bestimmungen: verfüge ich letztwillig, dass meine Ehefrau
Elise Rey nach meinem Ableben mit dem ihr nach Gesetz zukommenden
Erbanspruch Zeit ihres Lebens ein un-

460 Erbrecht. N° 71.

entgeltliches Hausund Wohnrecht in der mir gehörenden und von mir
bewohnten Liegenschaft im Heuhof in Scherz erhalten soll. Zugleich
verfüge ich, dass nach meinem Ableben der schon bisher von meiner Ehefrau
geführte Tuchund Mercerieladen mit dem ganzen Inventar an Waren, Vorräten,
Ladenmobiliar etc. in ihr ausschliessliehes Eigentum übergehen soll,
und dass ihr die bisher zum Betriebe des Ladens verwendeten Lokalitäten
unentgeltlich zur Benutzung (Nutzniessung) überlassen werden...

Am 26. März 1923 gab die Beklagte die Erklärung ab, sie sei damit
einverstanden, dass die letztwilligen Verfügungen, welche ihr Ehemann
Johannes Rey sei. im Ehevertrag vom 15. März 1903 und im Testamente vom
16. Mai 1919 zu ihren Gunsten getroffen hat, auf das gesetzlich Erlaubte
herabgesetzt werden und demzufolge, soweit sie die Pflichtteilsreehte
der Nachkommen des Erblassers verletzen, aufgehoben sein sollen. '

Mit der vorliegenden Klage stellt die Klägerin das Begehren :

1. Die sämtlichen im öffentlichen Inventar über den Nachlass des am
3. April 1922 verstorbenen Johannes Rey... verzeichneten Liegenschaften
Nr. 1-23 in den Gemeinden Lupfig, Scherz und Oberflachs im Schatzungswerte
von 49,555 Fr. (recto 41,650 Fr. 30 Cts.) nebst allen landwirtschaftlichen
Gerätschaften, den Vorräten und dem Vieh, seien der Klägerin zum
Ertragswert auf Anrechnung ungeteilt gemäss Art. 620 ff . ZGB zuzuweisen.

2. Der Anrechnungswert sei gemäss Art. 617 und 618 ZGB durch
Sachverständige festzusetzen.

Demgegenüber zog die Beklagte den Antwortschluss :

1. Die Klage sei abzuweisen.

2. Das zur Verlassenschaft des Johann Rey... gehörende landwirtschaftliche
Gewerbe sei der Beklagten zum Ertragswert auf Anrechnung ungeteilt
zuzuweisenErbrecht. N° 71. 461 .

und ihr auch das Recht einzuräumen, den Viehstand, die Gerätschaften und
die Vorräte zu demjenigen Wert zu übernehmen, der ihnen als Zugehör zu
dem gesamten Gewerbe zukommt.

3. Der Ertragswert des Grundbesitzes und der Übernahmswert des
Viehstandes, der Gerätschaften und Vorräte seien gemäss Art. 618 ZGB
durch richterlich zu bestellenden Sachverständigen festzustellen.

Laut einer von der Klägerin vorgelegten v zu Handen des Gerichts
abgegebenen Erklärung ihres Bruders ist dieser mit der Übernahme der
sämtlichen im öffentlichen Inventar über die I linterlassenschaft des
Vaters Johann Rey verzeichneten Liegenschaften durch seine Schwester
Elisabeth Hartmann zum Ertragswert gemäss Art. 620 ZGB einverstanden.

B. Durch Urteil vom 17. April 1924 hat das Bezirksgericht Brugg erkannt:
Der Heuhof, d. h. sämtliche im öffentlichen Inventar über den Nachlass
des am 3. April 1922 verstorbenen Erlassers Johann Rey verzeichneten
Liegenschaften Nr. 1-23... nebst allen landwirtschaftlichen Gerätschaften,
den Vorräten und dem Vieh, ist unter den Parteien zur Versteigerung;
'zu bringen. Gegen dieses Urteil hat einzig die Klägerin

Beschwerde geführt und dabei auch den Eventnalan-L'

trag gestellt, dass an Stelle der Versteigerung unter den-"j Parteien
eine öffentliche Versteigerung angeordnet werde. Durch Urteil vom 14. Juli
1924 hat das Obergericht des Kantons Aargau das bezirksgerichtliche Urteil
dahin abgeändert, dass eine öffentliche Versteigerung stattzufinden hat.

C. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht
eingelegt mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass die im Streit liegenden
Grundstücke für den landwirt-

462 Erbrecht. N° 71.

schaftlichen Gewerbebetrieb eine Einheit bilden,. dass die Klägerin und
ihr Ehemann (wie übrigens auch. die

Beklagte) sie zum Selbstbetrieb übernehmen möchten

und hief'ur auch (in gleicher Weise) geeignet erscheinen. In der heutigen
Verhandlung hat die Beklagte keinen dieser Punkte des angefochtenen
bezw. des erst-instanzlichen Urteils in Frage gezogen, und es ist
auch nicht

ersichtlich, inwiefern sie gegen Bundesrecht verstossen.

würden. Sodann hat die Vorinstanz angenommen, dass bei der Zuweisung
die Tochter des Erblassers seiner Witwe vorzuziehen wäre (AS 42 II
S. 429 ff.), aber nichtsdestoweniger gestützt auf Art. 621 Abs. 1 ZGB
aus 'Billigkeitsgründen von der Zuweisung an die Klägerin abgesehen
und die Veräusserung verfügt, weil nämlich offenbar der Ertragswert
erheblich unter der Katasterschätzung stehe, infolgedessen nach Abzug
der sehr beträchtlichen Schulden vom Ertragswert nichts oder wenig
mehr übrig bliebe und daher die Beklagte, welche der Erblasser habe
begünstigen wollen, tatsächlich benachteiligt würde. Damit hat sich
die Vorinstanz jedoch in Widerspruch zu Art. 621 Abs. 3 ZGB gesetzt,
' wonach, wenn keiner der Söhne das Gut zum Selbstbetrieb übernehmen
will, auch Töchter zur Übernahme b e r e c h t i g t sind, sofern. sie
selbst oder ihre Ehemänner (das Gewerbe selbst betreiben wollen und) zum
Betriebe geeignet erscheinen. Durch diese Vorschrift wird den Töchtern,
welche (bezw. deren Ehemänner) die erwähnten Voraussetzungen erfüllen,
ein Recht auf Übernahme landwirtschaftlicher Gewerbe aus der Erbschaft
von Vater oder Mutter zum Ertragswert eingeräumt, dessen Ausübung nur
einerseits durch die vom Erblasser selbst angeordnete Zuweisung an einen
Erben oder (im Rahmen der Verfügungsfreiheit) an einen Dritten, anderseits
durch das bessere Recht der Söhne, welche jene Voraussetzungen ebenfalls
erfüllen, oder allfällig durch das konkurrierende Recht anderer Töchter
ausgeschlossen werden kann. Da die

Erbrecht. N° 71. 463

Beklagte sich nicht auf eine das Eigentum am Landwirtschaftsgewerbe
des Erblassers beschlagende Verfügung, sei es Teilungsvorschrift oder
Vorausvermächtnis, zu ihren Gunsten berufen kann, der Bruder der Klägerin
es gar nicht für sich beansprucht, die Klägerin

, und ihr Ehemann die erwähnten Voraussetzungen er-

füllen und eine Schwester, welche anfällig mit ihr in Konkurrenz treten
könnte, überhaupt nicht existiert, kann die Übernahme des Gewerbes zum
Ertragswert der Klägerin nicht vorenthalten werden und ist insbesondere
dessen Veräusserung nicht zulässig. Dieser Zuweisung steht der Umstand
nicht entgegen, dass die Klägerin dadurch zum Nachteil der Beklagten
begünstigt wird, während der Erblasser es gerade auf die Begünstigung
der letzteren abgesehen hatte; denn die besonderen Vorschriften über die
Teilung der Erbschaften, zu denen landwirtschaftliche Gewerbe gehören,
laufen nach der vom Gesetz verfolgten Absicht in den meisten Fällen
auf eine Begünstigung desjenigen Erben hinaus, welcher gestützt auf jene
Vorschriften die Zuweisung beanspruchen darf, und der Erblasser kann diese
gesetzliche Begünstigung nur anfällig durch eine Teilungsvorschrift oder
im Rahmen der Verfügungefreiheit durch ein Vermächtnis aufheben, durch
welche er das Gewerbe einem andern Erben oder auch einem Dritten zuweist,
nicht aber durch die Anordnung der Veräusserung, mindestens nicht mit
Wirkung gegen-über einem Erben, welchen das Gesetz zur Übernahme um den
Ertragswert berechtigt erklärt. Vermöchte danach sogar die ausdrückliche
Anordnung der Veräusserung des Gewerbes durch den Erblasser dem Anspruch
der Klägerin auf dessen Zuweisung nicht Eintrag zu tun, so kann es dem
Richter nicht zustehen, anderweitigen Verfügungen des Erblassers, welche
auf eine Begünstigung der Beklagten abzielen, eine solche Bedeutung
beizumessen, um diese Begünstigung wirkungsvoller zu gestalten. A8 50
Il 1924 32

464 Erbrecht N° 71.

2. Die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes an die Klägerin
wird aber auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass der Erblasser
durch Ehevertrag ' der Beklagten das lebenslängliche Nutzniessungsund
Verwaltungsrecht ,an seiner ganzen Erbschaft zugesichert hat. Wie
sich aus Art. 473 ZGB ohne weiteres ergibt und die Beklagte durch ihre
Erklärung vom 26. März 1923 auch selbst anerkannt hat, unterliegt diese
Zuwendung der Herabsetzung, und zwar wiirde offenbar die Beschränkung der
Nutzniessung auf das Landudrtsehaftsgewerbe nicht genügen, um sie auf das
erlaubte Mass herabzusetzen, weil jenes den hauptsächlichsten Teil der
Erbschaft ausmacht. Allein selbst wenn es sich hiemit anders verhielte, so
liesse sich daraus nichts gegen den Anspruch der Klägerin auf Zuweisung
des Gewerbes herleiten, sondern würde nur die Übernahme zu vollem
Genuss auf den Zeitpunkt des Todes der Beklagten hinausgeschoben. Die
Beklagte hat denn auch in der heutigen Verhandlung nicht mehr von dem
ihr zugesicherten Nutzniessungsrecht, sondern nur noch von dem ihr durch
Testament vermachten lebenslänglichen Hausund Wohnrecht behauptet, dass es
der Zuweisung des Gewerbes an die Klägerin entgegenstehe. Indessen umfasst
dieses _ Recht nach Art. 777 ZGB nicht schlechthin das ganze Haus, sondern
bemisst sich nach den persönlichen Bedürfnissen der Beklagten, wobei im
Sinne des Testaments auch ihr kleines Handelsgewerbe zu berücksichtigen
ist; es steht also dem Aufzug der Klägerin nicht grundsätzlich entgegen.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird begründet erklärt, das Urteil des Obergeriehts des
Kantons Aargau vom 14. Juli 1924 aufgehoben und die Klage zugesprochen.

Sachenrecht. N° 72. 465

IV. SACHENRECHT DROlTS RÉELS

72. Urteil der II. Zivila'bteilung vom B. Juni 1924 i. S. Eidonbenz
gegen Muenmgesellschafl Zürich. Ablösung einer Dienstbarkeit durch den

Richter, Voraussetzungen. ZGB Art. 736 .

A. Auf der Liegenschaft der Kläger an der Rämiund Stadelhoferstrasse in
Zürich lastet zu Gunsten der Liegenschaft der Beklagten, in der sie ihre
Bibliothek und Lesesäle einrichten will, die Dienstbarkeit des Verbotes,
die bestehenden Gebäulichkeiten höher zu führen. Diese Dienstbarkeit wurde
im Jahre 1771 begründet. Die Kläger wollen auf der belasteten Liegenschaft
einen hohen Neubau zu Mietwohnungen errichten. Dieser Neubau wird von
der Baubehörde nur bewilligt, wenn die Stadelhoferstrasse verbreitert
wird; in welchem Masse die Verbreiterung die klägerische Liegenschaft
anschneiden wird, steht noch nicht fest.

B. Mit ihrer Klage verlangen die Kläger unentgeltliche Ablösung der
Dienstbarkeit, eventuell Ablösung gegen eine vom Gericht festzusetzende
Vergütung.

Das Obergericht des Kantons Zürich hat mit Urteil vom 11. März 1924, in
Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichts Zürich, die Klage abgewiesen
und die

Kosten den Klägern auferlegt.

C. Mit der Berufung verlangen die Kläger Gutheissung der Klage,
event. Rückweisung des Prozesses an die Vorinstanz zur Beweisergänzung
unter Kostenund Entschädigungsfolge.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

'Das auf Löschung der Dienstbarkeit ohne Entschädigung gerichtete
Klagebegehren erweist sich ohne
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 50 II 459
Datum : 16. Juni 1924
Publiziert : 31. Dezember 1925
Quelle : Bundesgericht
Status : 50 II 459
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 453 Erbrecht. N° 70. sich nämlich nicht rechtfertigen, den ausschlagenden Erben,


Gesetzesregister
ZGB: 473  528  535  617  618  620  621  736  777
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • erblasser • ertragswert • erbe • erbrecht • bundesgericht • witwe • testament • inventar • pflichtteil • versteigerung • vorinstanz • wohnrecht • ehe • dienstbarkeit • weiler • aargau • neubau • vater • eigentum
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