656 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

erklärt, weil eigentlich Beschwerde geführt werde wegen Verletzung
privatrechtlicher Vorschriften des eidgenössischen Rechtes. In der
Sache wird ausgeführt, es sei im vorliegenden Falle nicht dargahan, dass
das Provokationsversahren gegen die eidgenössischen Vorschriften über
Verjährung verstosse, und überhaupt habe die Verfügung des Richters im
Provokationsverfahren, dass das Klagrecht im Falle der Nichteinhaltnng
einer bestimmten Frist erlösche, neben den eidgenössischen Vorschriften
über Verjährung sehr wohl Platz, da es sich dort um ein rein prozessuales
Justitut handle. Da nun die Proookation vor dem in der Hauptsache
zuständigen Richter anzubringen sei und der von Frau Hostettler erhobene
Anspruch an Rudolf Probst vor dem Gerichte von Laupen einzuklagen gewesen
wäre, so sei dieses auch zur Beurteilung der Provokationsklage kompetent
gewesen. Demgemäss wird beantragt, der Rekurs sei abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Mit der Provokationsklage wird nicht ein selbständiger persönlicher
Anspruch privatrechtlicher Natur geltend gemacht, sondern es wird dadurch
lediglich ein mit dem Hauptprozess in Verbindung stehendes Vorbei-fahren
eingeleitet, das den Zweck hat, den Kläger im Hauptprozess zur Anhebung
seiner Klage innert bestimmter Frist zu veranlassen. Es handelt sich also
um ein prozessualisches Gesuch, mit dem die negative Feststellungsklage
nur hinsichtlich des Zweckes, nicht aber hinsichtlich der juristischen
Struktur verglichen werden farm, und aus das Art· 59 B.-V. keine Anwendung
findet, welches vielmehr-, ohne dass bundesrechtlich dagegen etwas
einzuwenden ist, vor dem zur Beurteilung der Hauptsache zuständigen
Richter angebracht werden kann. Die Anrusung des Art. 59 B.-V. im
vorliegenden Falle ist danach eine verfehlte (vgl. Antti. Samml. der
bundesgerichtlichen Entscheide, Bd. I, S. 223; Bd. II, S. 413; Bd. VII,
S. 492).

2. Die Frage der Zuständigkeit siir die Provokationsklage ist durch
das Inkrafttreten des eidgenössischen Obligationenrechts in keiner
Weise berührt worden. Dagegen mag es sich allerdings fragen, ob bei
Ansprüchen, die durch das eidg. Obligationenrecht beherrscht werden, ein
Provokationsverfahren, das bezweckt, die Geltendmachung des Anspruchs
innert einer bestimmten kurzenVII. Gerichtsstand des Wobnortes. Nu
126. 657

Frist zu erzwingen, mit der Folge, dass bei Nichteinhaltung der Frist der
Anspruch als erloschen gelten soll, überhaupt noch zulässig sei. Allein,
wie das Bundesgericht in Sachen Hug (Amt? Samml Bd. XVIII, S. 4) bereits
ausgesprochen hat, stehen die Bestimmungen des Obligationenrechts Über
das Erlöschen der Obligationen, speziell diejenigen über Verjährung,
der Aufstellung von prozessualischen Fristen mit Präklusionsandrohung
durch das kantonale Recht nicht entgegen, da hiermit im Grunde bloss
die Verwirkung des prozessualischen Klagrechts ausgesprochen wird.
Auch aus dem Gesichtspunkte des Art. 64 B.-V. kann deshalb der Rekurs
nicht geschützt werden, abgesehen davon, ob nicht diese Frage auf dem
Wege der Berufung oder Kassation zum hundergerichtlichen Entscheide
hätte gebracht werden sollen. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

126. Urteil vom 25. Oktober 1898 in Sachen Probst gegen Hostettler.

Art. 59 li.-V. : Persönliche Ansprache .? Ist diese Frage nach frantonalem
Recht zu entscheiden ? Kiage auf Néchtigerhlcîrung eines

Liegensciraftenkaufes.

A. Vor dem Civilgericht des sreiburgischen Seebezirks wurde von Frau
Anna Hostettler geb. Hug in Murren handelnd unter der gesetzlichen
Beistandschast und Mttwirknng ihres Ehe mannes Rudolf Hostettlerti gegen
Franz Ludwig; Probst m Münchenwyler ein Rechtssireit über die Begehren
angehobenss.

olle: es ii. Die Richtigkeit wegen Simulation, Betrug, MangeL
an einer causa des Kaufaktes, welchen der Antworter am 3. zum ,
1887 mit Johann Hug, Jakobs sel. in Courianian, abgeschlossen Bei
Sg. Notar Friolet in Murten, verschrieben hat und wodurch er die im
Kataster der Gemeinde Courtaman sub Art. 176,553 Staatsrechtliche
Entscheidungen. i. Abschnitt. Bundesverfassung.

177, 178, 179, 180, 181 bezeichneten Liegenschaften käuflich ert;arb,
gäsprochgecg werden durch Urteil.

. Su idiari verlangt die Klä erin der Ant tr ' ihr wegen Nichtausführung
der aus gdem,genanntenwTiteel griff vorgehenden Schuldpflichten die
Schuldpslicht von 3000 Fr anerkennen. '

3. Subsidiarisch verlangt sie, der Antworter soll aus demselben Grunde
die Schuldpflicht von wenigstens eintausend dreihundert acht und neunzig
Franken 95 Rp. anerkennen.

Zur Begründung dieser Begehren war in der Vorladung vom 81. Januar 1897
vorgebracht worden: Johann Jakob Hug m Courtaman sei der Klägerin 1100
Fr. schuldig gewesen efür welchenBetrag er ihr am 4. Dezember 1895
eine Obligation ausgestellt habesi Die hierauf gestützt angehobene
Betreibung habe zu etnemeerlustschein geführt; jedoch sei es der
Gläubigerin gelungen, die Forderungen des Joh. Jak. Hug gegen Franz
Ludwtg Probst zu pfänden. Der Prozess werde somit gestützt auf Tiefe
zwei Titel eingeleitet Unterm 3. Juni 1887 habe Joh. Jak. Hug dem Franz
Ludwig Probst ein Heimwesen in Emu-ta: man um 9000 Fr. verkauft; der
Kaufpreis habe durch Übernahme der Hypothekarschulden mit 6000 Fr. nebst
Zins im Betrage voit216 Fr. 65 Cts., durch Bezahlung von 1385 Fr durch
Ausstellung von zwei Wechseln von je 500 Fr. und einer

Tratte von 398 Fr. 35 Cts. bezahlt werden sollen. Zu jener

Zeit sei jedoch der Verkäuser mit S ulden über äu·t e

und er habe sich durch den Kaufaktchlediglich seiÉienTVîrÎÎÎIhî: tunan
zu entziehen gesucht. Der Kaufvertrag sei ein Scheingeschast gewesen;
die Behauptung, dass 1385 Fr. bar bezahlt worden, sei unrichtigz die
Wechsel seien sofort nach der Stum[attori vernichtet worden Auch sei
Joh. OHak. Hug stets im Besitze der Liegenschasten geblieben und habewdie
aszcinsen und Steuern

dafür bezahlt

13. Franz Ludwig Probst liess vor dem Civilgericht des Seebezirfs
11. a. die Einrede der Jnkompetenz erheben, die er damit begrundete,
dass er nach Art. 59 B.-V. im Kanton Bern wo er donnziliert sei, belangt
werden müsse. Das Gericht beurteilte diese Emrede in der Verhandlung
vom 24. Juni 1898, zu der Frau Hostettler nicht erschien, bahia, dass
es sich zur BeurteilungVII. Gerichtsstand des Wohnortes. N° 126. 659

des 2. und Z. Klagebegehrens unzuständig, dagegen zur Beurteilung
des ersten Begehrens zuständig erklärte. Der Entscheid betreffend das
erste Klagsbegehren wurde mit folgenden Erwägungen begründet: Dass der
Klagschluss Nr. 1 dahin zielt, die in Courtaman gelegenen Liegenschasten
wieder auf das Kapitel des Johann Hug tragen zu lassen, um der Klägerin
die Möglichkeit zu geben, auf dem Wege der Betreibuug gegen diese
Vor-eigentümer ihren angeblichen Schuldner sich an dies Jmmobiliargut
zu halten; dass er eine angebliche grundlose Eigentum-silbertragung,
sei es ein angeblich simnliertes Eigentumsrecht nichtig erklären lassen
will; dass dieser Klagschluss seiner Natur und seinem Objekte gemäss zu
den von 2111.10 O.-R. dem kantonalen Rechte vorbehaltenen Klagen gehört
und vor dem Gerichtsstand der Situation der betreffenden Liegenschasten
zu verhandeln ist

C. Mit Reknrsschrift vom 17. August 1898 stellt F L. Probst beim
Bundesgericht das Begehren, es sei der Entscheid des Civil: gerichtes des
freiburgischen Seebezirks, vom 24. Juni 1898, soweit sich dasselbe zur
Beurteilung der Klage der Frau Hostettler zuständig erklärte, aufzuheben
Es wird ausgeführt, dass es sich um eine Anfechtungsklage im Sinne von
Art. 285 ss. des eidgenössischen Betreibungsgesetzes, keineswegs um eine
Vindikationsklage handle, und dass die Ansechtungsklage als persönliche
am Wohnorte des Beklagten anzubringen sei.

D. In der Antwort der Frau Hostettler wird auf Abweisung sdes Rekurses
angetragen. Die Klage der Frau Hostettler sei nicht eine Anfechtungsklage,
sondern sie mache, nachdem sie die Rechte sdes Joh. Jakob Hug und damit
auch seine Ansprüche an Franz Ludwig Probst gepsändet habe, an dessen
Stelle die Natllttät des zwischen diesen abgeschlossenen Kaufvertrages
wegen Simulation, Mangel einer causa und Betrug geltend. Welcher Natur
diese Klage sei, entscheide sich nach freiburgischem Rechte und das
Bundesgericht sei nicht kompetent, diese Frage zu entscheiden. Nach
sreibnrgischem Rechte aber sei die Nullitätsklage dinglicher Natur.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:.

1 ......

2. Ob sich der Rekurrent mit Recht auf Art. 59 der Bundesverfassung
berufe, hängt, da nicht bestritten wurde, dass er aus-

660 Staatsreehtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

rechtstehend und im Kanion Bern domiziliert ist, einzig davon ab,
ob der Anspruch, den Frau Hostettler mit ihrem ersten Wags: begehren
verfolgt, persönlicher Natur sei oder nicht. Bei der Beantwortung dieser
Frage kann nicht kantonales Recht zur Anwendung kommen. Durch Art. 59
B.-V. wird dem aufrechtstehenden Beklagten für jeden Fall, sofern es
sich nur tun interkantonale Verhältnisse handelt, der Gerichts-stand
des Wohnortes bundesrechtlich garantiert. Diese Garantie wäre in vielen
Fällen wirkungslos, wenn bei der Frage, ob ein Anspruch persönlicher
Natur sei oder nicht, auf das kantonale Recht zurückgegangen werden
müsste, und es wäre bei einer solchen Auffassung nicht möglich,
Konflikte, die daraus sich ergeben, dass das Recht des einen Kantons
dem in Frage stehenden Anspruch eine andere Natur beimisst, als das
Recht des andern, bundesrechtlich zu lösen (ng. auch Roguin, Oonflits
des Lois, S. 558). Vielmehr hat das Bundesgericht, dem die Wahrung
des verfassungsmässigen Grundsatzes des Art. 59 übertragen ist, ohne
Rücksicht auf das kantonale Recht, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu
entscheiden, ob man es mit einem persönlichen Anspruch zu thun habe oder
nicht. Hierüber kann im vorliegenden Falle ein Zweifel nicht bestehen
Massgebend für die Bestimmung der Natur des Anspruches sind der Wortlaut
des Klagebegehrens und die aus seinem Inhalt und der Begründung sich
ergebende Tendenz desselben (ng. z. B. Amtl. Samml Bd. III, S. 633z
Bd. IX, S. 33). Nun geht der in Frage stehende Klagschluss dahin, es
sei die Richtigkeit eines von Joh. Jakob Hug mit Franz Ludwig Probst
abgeschlossenen Jmmobiliarkaufvertrages auszusprechen wegen Simulation,
Betrug und Mangels einer causa. Es ist unklar, ob Frau Hostettler diesen
Anspruch jure proprio oder an Stelle des Joh. Jakob Hug erhebe. In beiden
Fällen hat man es mit einem Anspruch persönlicher Natur zu thun. Denn
Frau Hostettler behauptet keineswegs, dass ihr direkt ein Recht an
den Liegenschaften zustehe, sondern sie will nur, dass der Kaufvertrag
aufgehoben und dieselben auf den Verkäuser zurück übertragen werden. Nimmt
man an, Frau Hostettler klage jure proprio, so würde ihre Klage als
Anfechtungsklage zu qualifizieren sein, die durch die bundesrechtliche
Praxis stetsVII. Gerichtsstand des Wohnories. N° 126. 661

als persönliche bezeichnet worden ist. Geht man aber auch dazio; aus, dass
Frau Hostettler Rechte des Joh. Jakob Hug dge da mache, so stellt sich die
Klage doch nicht als dingliche arg m nicht die absolute Richtigkeit des
Kaufvertrages behauptet, 501; E1 t nur dessen Reseission wegen bestimmter
lAnfechtungsgrunde ver alc?t wird. Jst aber die Klage eine persönliches
so hat sich 31,11%; das Civilgericht des sreiburgischen Seebeztrkes zu
deren Bärin lung kompetent erklärt, und es ist sein daheriger Entschei
aufzuheben. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird für begründet erklärt undpdas Urteil des Civilgerichtes
des Seebezirkes des Kantons Freiburg 't lvolîn 24. Juni 1898, soweit
sich dadurch das Gericht zur Be? ei Itleî des Hauptklagebegehrens der
Rekursbeklagten Frau poste

(Ziff. i) zuständig erklärt hat, aufgehoben.

Siehe auch Nr. 132, Arrét (In 5 octobre î898, dans la cause

Bazinet contre de Castex.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 24 I 657
Datum : 25. Oktober 1898
Publiziert : 31. Dezember 1898
Quelle : Bundesgericht
Status : 24 I 657
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 656 Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. erklärt,


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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