119 Ia 71
12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. Februar 1993 i.S. Stürm gegen Instruktionsrichter I der Bezirke Ering und Gundis und Kantonsgericht des Kantons Wallis (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Briefverkehr, Meinungsäusserungsfreiheit, Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.
- Restriktive Auslegung der Regeln über die Eingriffsvoraussetzungen bei Beschränkung des Briefverkehrs eines Untersuchungsgefangenen wegen ungebührlicher oder beleidigender Äusserungen. Wann ein Brief deswegen zurückbehalten werden darf, lässt sich nicht allgemein umschreiben, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es ist zulässig, einen Brief nicht weiterzuleiten, in dem der Untersuchungsgefangene den Untersuchungsrichter als Schreibtischmörder im Stil eines Adolf Eichmann und als Schwein bezeichnet.
Regeste (fr):
- Droit au secret de la correspondance, liberté d'expression, art. 8 et 10 CEDH; refus de transmettre le courrier d'une personne placée en détention préventive.
- Interprétation restrictive des règles limitant le droit du prévenu de correspondre avec des tiers, en raison du caractère inconvenant ou offensant de certaines expressions utilisées par le rédacteur. Une définition générale des cas dans lesquels une lettre peut être retenue pour ce motif est malaisée; les circonstances de l'espèce sont déterminantes. Il est admissible de ne pas transmettre une lettre dans laquelle le prévenu qualifie le juge d'instruction de bureaucrate assassin, en le comparant à Adolf Eichmann, et de porc.
Regesto (it):
- Diritto al segreto della corrispondenza, libertà d'espressione, art. 8 e 10 CEDU; rifiuto di trasmettere lettere di una persona posta in detenzione preventiva.
- Interpretazione restrittiva delle disposizioni che limitano il diritto di una persona posta in detenzione preventiva di corrispondere con terze persone, a causa di espressioni sconvenienti o offensive. Le situazioni in cui una lettera deve essere trattenuta per questi motivi non sono definibili in maniera generale, ma dipendono dalle circostanze del singolo caso. È ammissibile non trasmettere una lettera in cui il prevenuto qualifica il giudice istruttore di burocrate assassino, comparandolo ad Adolf Eichmann, e di porco.
Sachverhalt ab Seite 72
BGE 119 Ia 71 S. 72
Walter Stürm befindet sich im Kanton Wallis in Untersuchungshaft. Im Juli 1992 war er aus gesundheitlichen Gründen in die Gefängnisabteilung des Kantonsspitals Genf verlegt worden. Dort verfasste er am 24. Juli 1992 einen Brief an Frau F., Redaktorin der "Wochen-Zeitung" in Zürich, und am 27. Juli 1992 ein Schreiben an Frau S., die für Amnesty International tätig ist. Der Instruktionsrichter I der Bezirke Ering und Gundis teilte Stürm mit Verfügung vom 31. Juli 1992 mit, dass er die Schreiben wegen der darin enthaltenen unanständigen und ehrverletzenden Äusserungen nicht an die Adressatinnen weiterleite. Stürm legte dagegen am 6. August 1992 Beschwerde beim Kantonsgericht des Kantons Wallis ein. Eine weitere Verfügung des Instruktionsrichters hatte Stürm am 3. August 1992 mit einer Beschwerde beim Kantonsgericht angefochten. Es handelte sich um die Verfügung vom 29. Juli 1992, mit der es der Instruktionsrichter ablehnte, eine Tonbandkassette, die ein Radioredaktor zusammen mit einem Brief und einem Fragebogen an Stürm gesandt hatte, an diesen weiterzuleiten. Mit Urteil vom 2. Oktober 1992 wies das Kantonsgericht die Beschwerden vom 3. und 6. August 1992 ab, büsste Stürm für die missbräuchliche Beschwerde vom 6. August 1992 mit Fr. 80.-- und auferlegte ihm die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Entscheids. Stürm reichte gegen das Urteil des Kantonsgerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs und Verletzung des Rechts auf freien Briefverkehr und freie Meinungsäusserung ein. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und hebt den Entscheid des Kantonsgerichts und die Verfügungen des Instruktionsrichters auf, soweit sie die Nichtweiterleitung der Tonbandkassette und des Briefes vom 24. Juli 1992, die Auferlegung einer Busse, der Kosten des Beschwerdeverfahrens und derjenigen des kantonsgerichtlichen Entscheids betreffen. Im übrigen weist es die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab, soweit es darauf eintritt.
BGE 119 Ia 71 S. 73
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. a) Die Meinungsäusserungsfreiheit ist durch das ungeschriebene Verfassungsrecht des Bundes und durch Art. 10 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
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IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
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BGE 119 Ia 71 S. 74
Reglements vom 13. Juli 1983 über die Strafanstalten des Kantons Wallis, welche Vorschrift jeden Verkehr des Untersuchungsgefangenen mit der Aussenwelt der Kontrolle des Untersuchungsrichters und der Direktion unterstellt. Diese Norm bildet nach der erwähnten Rechtsprechung eine genügende gesetzliche Grundlage für eine Beschränkung des Briefverkehrs und der Meinungsäusserungsfreiheit. c) Ausserdem ist ein Eingriff in das verfassungsmässige Recht auf freie Meinungsäusserung nur dann zulässig, wenn er im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist (BGE 117 Ia 479 E. 3d mit Hinweisen). Im gleichen Sinne, jedoch etwas detaillierter werden diese Eingriffsvoraussetzungen in den Art. 8 Ziff. 2
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
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IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
BGE 119 Ia 71 S. 75
25. März 1983 i.S. Silver u.a., a.a.O., Ziff. 64, 99c und 103 = EuGRZ 1984, S. 152 f.; ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 216). Die restriktive Auslegung von Art. 8 Ziff. 2
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
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BGE 119 Ia 71 S. 76
Wahrheit zu leiden habe. In ähnlichem Sinne argumentiert HENNERKES, der sich auf den Standpunkt stellt, kein Grundrecht gestatte die Begehung von Straftaten (Ehrverletzungen) oder die Verbreitung lügenhafter Aussagen, und wenn Briefe mit beleidigenden oder offensichtlich unwahren Äusserungen zurückgehalten würden, bedeute das keine Verletzung eines Rechts des Untersuchungsgefangenen. d) Es ist im Lichte dieser Erwägungen zu prüfen, ob die Nichtweiterleitung der hier in Frage stehenden Briefe eine notwendige Massnahme im Sinne der Art. 8 Ziff. 2
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
Im Brief vom 27. Juli 1992, der an die für Amnesty International tätige S. adressiert ist, kritisiert der Beschwerdeführer zunächst die Haftbedingungen im Falle des Mitangeschuldigten R. Er führt aus, dieser habe 75 Monate unter der Verantwortung von Untersuchungsrichter X. unter "allerübelsten Haftbedingungen" im Kanton Wallis in Untersuchungshaft gesessen, bis er endlich vor Gericht gestellt worden sei. Zufolge dieser "unendlich lange andauernden Folterhaftbedingungen" sei R. im Februar 1992 nicht mehr in der Lage gewesen, allein zu duschen, und praktisch unfähig gewesen, sich zu artikulieren. Im Anschluss daran schreibt der Beschwerdeführer: "Für mich sind deshalb Leute wie der UR X. nichts anderes als Schreibtischmörder, die sich von einem Adolf Eichmann nur durch die Anzahl der Opfer unterscheiden." Hernach kritisiert er die Haftbedingungen in seinem Fall und hält dabei fest: "So dauerte mein Aufenthalt in diesem Folterloch nur einige Wochen, die
BGE 119 Ia 71 S. 77
aber genügten, um zu begreifen, dass das Schwein nicht der mich fälschlicherweise belastende R. war." Im weiteren erwähnt er, dass er beim Kantonsgericht Beschwerde gegen einen Entscheid des Instruktionsrichters vom 16. Juni 1992 eingereicht habe, mit dem dieser einen von ihm aufgegebenen Brief nicht weitergeleitet, sondern in den Papierkorb geworfen habe. Er schreibt in diesem Zusammenhang: "Da aber im Wallis die Polizei und die Justiz eine grosse Familie ist, wo, den Krähen gleich, keiner dem andern ein Auge aushackt, hat das Kantonsgericht meine Beschwerde abgewiesen. Die Begründung dieser Abweisung war derart haarsträubend, dass ich in der dann gemachten Beschwerde an das Bundesgericht schreiben musste, ich müsse mich nach dem Lesen dieser Begründung fragen, ob man beim Kantonsgericht nur einfach blöd sei oder ob man mich verarschen wolle, eine andere Deutung dieses kantonsrichterlichen Geschreibes sei nicht möglich." bb) Das Kantonsgericht hielt im angefochtenen Entscheid fest, der Beschwerdeführer äussere sich in diesen Schreiben unnötig und ungebührlich über die Walliser Justizbehörden, werfe ihnen Vetternwirtschaft vor und bezeichne sie als blöd. Den Untersuchungsrichter bezeichne er als "Nilper", "Schwein" und "Schreibtischmörder", der sich "von einem Adolf Eichmann nur durch die Anzahl der Opfer" unterscheide. Das Kontrollrecht des Instruktionsrichters gemäss Art. 73 Abs. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |
BGE 119 Ia 71 S. 78
unbefangenen Leser nach den Umständen verstanden werden mussten. Geht man hievon aus, so ist dem Text des Briefes klar zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer darin den Instruktionsrichter als "Schreibtischmörder", der sich "von einem Adolf Eichmann nur durch die Anzahl der Opfer" unterscheide, und ausserdem als "Schwein" bezeichnete. Der gegenüber einem Richter erhobene Vorwurf, ein Schreibtischmörder im Stil eines Adolf Eichmann zu sein, stellt eine massiv ehrverletzende Äusserung dar. Auch die Behauptung, der Instruktionsrichter sei ein Schwein, muss als krass ehrverletzend eingestuft werden, geht es doch hier um eine grobe Beschimpfung. Das Bundesgericht warf im Urteil BGE 101 Ia 148 die Frage auf, ob nicht auch Briefe eines Untersuchungsgefangenen als "ungebührlich" zurückbehalten werden dürften, die "krass unanständige Bemerkungen" oder "unflätige Beleidigungen" enthielten. Es liess die Frage damals offen, weil sich in jenem Fall in den beanstandeten Briefen keine derartigen Äusserungen fanden. Im hier zu beurteilenden Fall betrifft nun der gerügte Eingriff einen Brief, der solche "unflätigen Beleidigungen" oder anders ausgedrückt krass ehrverletzenden Äusserungen enthält. Wird ein Schreiben, das einen krass ehrverletzenden Inhalt aufweist, von der Kontrollbehörde nicht angehalten, so wird sich das unter den Anstaltsinsassen rasch herumsprechen, und es könnte andere dazu animieren, in gleicher Art zu korrespondieren. Das könnte zu einer Spannung zwischen den Gefangenen und dem Anstaltspersonal führen und damit die Ordnung im Gefängnis gefährden. In diesem Sinne erachtete es das Bundesgericht im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Ordnung als zulässig, dass der Brief eines Strafgefangenen nicht weitergeleitet wurde, dem ein von Anstaltsinsassen unterzeichnetes Rundschreiben mit ehrverletzendem Inhalt beigefügt war (Urteil vom 24. Januar 1992 i.S. B., E. 3b/bb, publ. in Rivista di diritto amministrativo e tributario ticinese II-1992, Nr. 23, S. 51 f.). Sodann findet das Grundrecht des Untersuchungsgefangenen, sich in Briefen frei zu äussern, seine Schranken in dem Recht der persönlichen Ehre der mit der Strafsache befassten Beamten. Wohl mag der Untersuchungsgefangene ein besonderes Bedürfnis haben, dem aufgestauten Unmut über seine Situation in der Weise Luft zu machen, dass er in seinen Briefen zu wenig schmeichelhaften Ausdrücken greift, mit denen er seiner Kritik an den Gefängnisbehörden, dem Haftrichter oder andern Beamten Ausdruck verleiht. Dem ist Rechnung zu tragen, und der Brief eines Häftlings darf deshalb nicht schon dann zurückbehalten werden, wenn er eine unsachliche, unanständige, ungehörige oder ungebührliche Kritik an einem Justizbeamten enthält (vgl. den Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 11. Oktober 1980 i.S. Silver u.a.,
BGE 119 Ia 71 S. 79
Serie B, Band 51, S. 87 u. 96, N. 356 u. 406). Wann die zulässige Grenze überschritten ist, kann nicht allgemein umschrieben werden, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Im hier zu beurteilenden Fall wurde die zulässige Grenze überschritten, denn die vom Beschwerdeführer gegenüber dem Instruktionsrichter erhobenen Vorwürfe, ein "Schreibtischmörder" im Stil eines "Adolf Eichmann" und ein "Schwein" zu sein, stellen einen schwerwiegenden Angriff auf die Ehre dieses Beamten dar. Was das Vorgehen der Kontrollbehörde anbelangt, so wäre es wohl vorzuziehen gewesen, wenn sie entweder die beanstandeten Ausdrücke unkenntlich gemacht und den Brief hernach in dieser korrigierten Form weitergeleitet hätte, oder aber den Brief unter genauem Hinweis auf die unzulässigen Passagen an den Beschwerdeführer zurückgesandt hätte, um diesem Gelegenheit zu geben, eine verbesserte Fassung des Briefes an die Adressatin abzusenden. Es steht indes der Behörde in diesem Bereich ein gewisser Spielraum des Ermessens offen, weshalb nicht gesagt werden kann, es sei eine unverhältnismässige Massnahme, dass der Instruktionsrichter keine dieser Möglichkeiten gewählt, sondern sich zur Nichtweiterleitung des Briefes entschlossen hat. Die Beschwerde ist in diesem Punkt im Sinne der Erwägungen abzuweisen. dd) Anders verhält es sich hinsichtlich der Nichtweiterleitung des Schreibens vom 24. Juli 1992, in welchem keine Ausdrücke wie "Schreibtischmörder" oder "Schwein" verwendet werden. Der Beschwerdeführer bezeichnet in diesem Brief den Instruktionsrichter als "Nilper". Was mit diesem Wort gemeint ist, weiss man nicht und kann auch dahingestellt bleiben, da es jedenfalls nicht zulässig wäre, das Schreiben deswegen zurückzubehalten. Im weiteren wird die Formulierung verwendet, der Instruktionsrichter habe die Briefbeilage (die er damals nicht weitergeleitet, sondern in den Papierkorb geworfen hatte) "geklaut". In Anbetracht des Umstandes, dass es hier nicht um das Briefpapier als Sache, sondern um die Weiterleitung einer brieflichen Mitteilung ging (vgl. das Urteil des Bundesgerichts vom 23. Oktober 1992 i.S. Stürm, S. 10), kann angenommen werden, der Beschwerdeführer wolle mit dem genannten Ausdruck nicht die Anschuldigung eines Diebstahls erheben, sondern bloss behaupten, der Instruktionsrichter habe das Schriftstück verschwinden lassen. Es kann in diesem Punkt nicht von einer ehrverletzenden und schon gar nicht von einer krass ehrverletzenden Äusserung gesprochen werden. Das gleiche gilt für die Kritik, die der Beschwerdeführer gegenüber dem Walliser Kantonsgericht im Zusammenhang mit einem abweisenden Beschwerdeentscheid vorbringt. Die Nichtweiterleitung des Briefes vom 24. Juli 1992 stellte daher
BGE 119 Ia 71 S. 80
keine notwendige Massnahme im Sinne der Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 10 Freiheit der Meinungsäusserung - (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäusserung. Dieses Recht schliesst die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. |